Wenn Bürgergeld-Beziehende ein Arbeitsangebot ablehnen, kommt es entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit zumutbar war. Nach aktueller Rechtslage (2025) darf eine Sanktion nur verhängt werden, wenn das Stellenangebot rechtmäßig, wirtschaftlich angemessen und durch eine konkrete Rechtsfolgenbelehrung abgesichert war.
Dieser Beitrag erklärt die heute maßgeblichen Kriterien.
1. Mindestlohn als harte Untergrenze
Eine Arbeit ist nach § 10 SGB II nur zumutbar, wenn sie rechtmäßig ist.
Liegt der angebotene Lohn unter dem gesetzlichen Mindestlohn nach MiLoG, ist die Tätigkeit rechtswidrig – und damit unzumutbar.
Rechtsfolge:
→ Ablehnung immer zulässig
→ keine Sanktion
Beispiel (2025):
Mindestlohn: 12,82 €
Angebot: 12,00 € → rechtswidrig → Ablehnung sanktionsfrei
2. Lohnwucher: Die 2/3-Tariflohngrenze
Auch bei Einhaltung des Mindestlohns kann ein Angebot sittenwidrig sein (§ 138 BGB).
Das Bundesarbeitsgericht hat dazu ein wichtiges Kriterium entwickelt:
BAG, 18. November 2015 – 5 AZR 814/14
Liegt ein Lohn also deutlich unter dem Branchentarif, ist die Tätigkeit nach
§ 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II unzumutbar.
Beispiel:
Tariflohn: 16,00 € → 2/3-Grenze: 10,67 €
Angebot: 10,00 € → sittenwidrig → Ablehnung ohne Sanktion
3. Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung
Selbst ein rechtmäßiges Angebot darf nur sanktioniert werden, wenn eine
konkrete, konkrete, individualisierte Rechtsfolgenbelehrung (RFB) erteilt wurde.
Die RFB muss:
- verständlich, konkret und individuell sein,
- genau das konkrete Stellenangebot benennen,
- die exakte Rechtsfolge erläutern,
- zeitnah erfolgen.
Allgemeine Textbausteine („bei Pflichtverletzung kann…“) sind unwirksam.
Fehlt eine ordnungsgemäße RFB, ist jede Sanktion rechtswidrig.
4. Grenzen der Sanktionen (BVerfG 2019)
Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 die Sanktionsbefugnisse eingeschränkt ( BVerfG, 5. November 2019 – 1 BvL 7/16):
- maximal 30 % Minderung,
- Totalsanktionen verboten,
- Härtefälle schließen Sanktionen aus,
- starre Drei-Monats-Fristen verfassungswidrig.
5. Was gilt in der Praxis?
Nach § 10 SGB II ist eine Tätigkeit nur zumutbar, wenn sie rechtmäßig ist. Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II („Ein-Euro-Jobs“) sind kein Arbeitsverhältnis und daher nicht mindestlohnpflichtig. Sie müssen aber zusätzlich, im öffentlichen Interesse und wettbewerbsneutral sein. Geförderte Beschäftigungen nach § 16e SGB II sind dagegen reguläre Arbeitsverhältnisse – dort gilt der Mindestlohn.
Verstößt ein Angebot gegen diese Vorgaben (z. B. produktive Tätigkeiten bei § 16d oder Lohn unter Mindestlohn bei § 16e), ist es unzumutbar – eine Sanktion scheidet aus.
- rechtmäßige Ausgestaltung der Maßnahme
- Lohn ≥ Mindestlohn (gilt nur für reguläre Jobs/§ 16e)
- keine sittenwidrige Unterbezahlung (2/3-Tariflohngrenze)
- konkrete Rechtsfolgenbelehrung
- kein Härtefall
Fehlt eine dieser Voraussetzungen → keine Sanktion.
6. Häufige Fragen
Ist die Ablehnung einer Arbeit unter Mindestlohn sanktionsfrei?
Ja. Das Angebot ist rechtswidrig und damit unzumutbar.
Gilt der Mindestlohn auch bei Minijobs?
Ja, nach MiLoG ohne Ausnahme.
Kann ein Job über Mindestlohn trotzdem unzumutbar sein?
Ja – wenn er unter der 2/3-Tariflohngrenze liegt (Lohnwucher).
Wann ist die Rechtsfolgenbelehrung unwirksam?
Wenn sie nicht konkret auf das einzelne Jobangebot zugeschnitten ist.
Kann eine Sanktion 100 % betragen?
Nein. Maximal 30 % (BVerfG 2019).
Gilt der Mindestlohn auch im Ein-Euro-Job (§ 16d SGB II)?
Nein. Arbeitsgelegenheiten sind kein Arbeitsverhältnis und deshalb nicht mindestlohnpflichtig. Sie müssen aber zusätzlich, wettbewerbsneutral und im öffentlichen Interesse sein. Verstöße machen das Angebot unzumutbar.
7. Weiterführende Beiträge
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