Kurz erklärt:
Die freiwillige Krankenversicherung erfasst die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – auch Mieten, Kapitalerträge oder das Einkommen des Ehegatten. Diese weite Bemessung führt zu Unterschieden bei Rentnern, Selbständigen und Ehepartnern und wirft teilweise verfassungsrechtliche Fragen auf.
1. Ungleichbehandlung von Rentnern
Bei pflichtversicherten Rentnern wird nur der Zahlbetrag der gesetzlichen Rente und ggf. das Arbeitseinkommen (§ § 237 SGB V) herangezogen. Bei freiwillig versicherten Rentnern hingegen fließen auch Kapitalerträge, Mieten und sonstige Einnahmen in die Beitragsbemessung ein (§ § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V).
Das Bundesverfassungsgericht erklärte bereits im Jahr 2000 eine damalige Regelung zur 9/10-Regelung für verfassungswidrig (BVerfG, 15.03.2000 – 1 BvL 16-20/96 und 18/97):
„Die dargestellte Ungleichbehandlung ist durch keinen hinreichenden sachlichen Grund gerechtfertigt.“
In der Folge wurden seit 2002 auch ehemals freiwillig Versicherte in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) aufgenommen. Dennoch bleibt eine faktische Ungleichbehandlung bestehen: Freiwillig versicherte Rentner zahlen weiterhin Beiträge auf alle Einkunftsarten, während Pflichtversicherte von der Begrenzung auf Rente und Erwerbseinkommen profitieren.
2. Ungleichbehandlung von Selbständigen und Pflichtversicherten
Auch bei Selbständigen (zwangsläufig freiwillig versichert) und Arbeitnehmern zeigt sich eine strukturelle Ungleichbehandlung:
- Selbständige zahlen Beiträge auf alle betrieblichen Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ § 240 Abs. 4 SGB V).
Darüber hinaus werden bei den „freiwillig Versicherten“ auch noch z. B. Kapitalerträge und Mieteinkünfte verbeitragt.
- Arbeitnehmer hingegen nur auf ihr Arbeitsentgelt, wobei die Beiträge vom Arbeitgeber mitgetragen werden (§ § 249a SGB V).
Ob diese Differenzierung – insbesondere angesichts der deutlich höheren Beitragslast vieler kleiner Selbständiger – noch sachlich gerechtfertigt ist, erscheint fraglich. Eine verfassungsgerichtliche Klärung steht bislang aus.
3. Fiktives Familieneinkommen bei der freiwilligen Krankenversicherung
Bei freiwillig Versicherten kann das Einkommen des Ehegatten fiktiv in die Beitragsbemessung einbezogen werden – insbesondere dann, wenn das Mitglied selbst nicht oder nur geringfügig erwerbstätig ist und über keine oder nur geringe eigene Einnahmen verfügt. Die Krankenkassen dürfen hierzu in ihren Satzungen entsprechende Regelungen treffen.
In einem Urteil vom 24. April 2002 befasste sich das Bundessozialgericht mit der Berechnung eines solchen „fiktiven“ Einkommens. Der erwerbslose Versicherte war mit einer privat krankenversicherten Ehefrau verheiratet. Das Gericht beanstandete nicht, dass nach der Satzung der Krankenkasse das Einkommen der Ehefrau bis zur Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze als fiktives Einkommen des Versicherten herangezogen wurde ( BSG, 24. April 2002 – B 7/1 A 1/00 R).
1. Nach § 240 SGB V können die Krankenkassen in ihren Satzungen bestimmen, dass Einkommen des Ehegatten bei der Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder berücksichtigt wird, wenn diese keine oder nur geringe eigene Einnahmen haben.
2. Eine satzungsrechtliche Begrenzung auf die Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze ist mit höherrangigem Recht vereinbar, sofern die Anrechnung nur für Mitglieder gilt, deren Ehegatte nicht gesetzlich krankenversichert ist.
3. Die Satzung darf Abzüge für unterhaltsberechtigte Kinder auch dann zulassen, wenn diese über eine beitragsfreie Familienversicherung abgesichert sind.
Das BSG hat diese Rechtsprechung später bestätigt. In einem Urteil vom 28. September 2011 stellte es klar, dass die Heranziehung der Hälfte der Einnahmen des privatversicherten Ehegatten keine verfassungsrechtlichen Bedenken aufwirft, soweit sie auf einer klaren Satzungsgrundlage beruht ( BSG, 28. September 2011 – B 12 KR 9/10 R.
[17] § 240 Abs. 1 S. 1 SGB V ermächtigt die Krankenkassen, in ihrer Satzung festzulegen, dass bei freiwillig versicherten Mitgliedern die Hälfte der Einnahmen des privatversicherten Ehegatten in die Beitragsbemessung einbezogen wird, wenn das Mitglied selbst über keine oder geringere eigene Einnahmen verfügt. Hiergegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern die Satzung eine eindeutige Regelung enthält.
Die Anrechnung des Ehegatteneinkommens beruht damit nicht auf einer gesetzlichen Pflicht, sondern auf der Satzungsautonomie der Krankenkassen. Sie soll vermeiden, dass sich beitragsfreie Mitversicherungsmöglichkeiten in der privaten Krankenversicherung auf die gesetzliche Solidargemeinschaft auswirken. Zugleich zeigt sich hier ein weiterer Punkt, an dem freiwillig Versicherte anders und oftmals stärker belastet werden als Pflichtversicherte.
4. Verfassungsrechtliche Bewertung
Das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit nach Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, dass gleiche Sachverhalte gleich behandelt werden. Der Gesetzgeber darf zwar unterschiedliche Einkommensarten unterschiedlich bewerten, muss aber eine Verhältnismäßigkeit zwischen Beitragspflicht und Leistungsfähigkeit wahren.
Die Argumentation des BVerfG von 2000 – Ungleichbehandlung nur mit sachlichem Grund zulässig – lässt sich auch auf heutige Fälle übertragen. Gerade bei selbständigen Kleinunternehmern führt die Heranziehung aller Einkünfte zur Beitragsbemessung teils zu einer überproportionalen Belastung.
5. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefend zu Systematik, Beitragsbemessung und § 240 SGB V:


Michael Kunze says
in ihrem Kommentar lautet es
„Die Regelung, dass eine Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung der Rentner nur erfolgt, wenn seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums auf Grund einer Pflichtversicherung versichert waren, wurde jedenfalls im Hinblick auf die Aufnahme ehemals freiwillig Versicherter in die Pflichtversicherung der Rentner für verfassungswidrig erklärt.“
Auf den Seiten der Krankenkassen wird aber auch heute noch genau dieses Schema als Grundlage der Einstufung angeführt. Wie ist denn nun die aktuelle Rechtslage 2014?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Kunze,
auf welchen Seiten der Krankenkassen wird auf ein Schema verwiesen, das eine Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung der Rentner nur unter sehr „engen Bedingungen“ zulässt?
Grüße
Sönke Nippel
Elvira says
Mich betrifft diese Vorgehensweise. 47 Arbeitsjahre, in der ersten Hälfte, der Versicherungszeit, war ich 23 Jahre in der gesetzlichen Krankenkasse. Von 2001 -2014 war ich in einer privaten KK. Danach wieder in der gesetzlichen KK. Jetzt bin ich, vorzeitig mit Abzüge, in Rente gegangen. Ich möchte in der gesetzlichen KK bleiben- nicht möglich. Ich muss mich freiwillig Krankenversichern. Was ist da freiwillig!
Ich muss die Lohnsteuerbescheide einreichen, nach denen die Beiträge errechnet werden.
Ich finde die Abzüge nicht gerechtfertigt. Wer kann mir helfen? Wohin kann ich mich wenden.
Ich würde mich freuen, wenn ich Hilfe bekommen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Otto E. Leser says
Sehr geehrter Herr Nippel,
Ihre Einladung, eine Frage zu stellen, nehme ich gerne an.
Folgender Sachverhalt ist gegeben: Meine Frau und ich sind verheiratet, sie ist Rentnerin, Alter 70 Jahre, bei der Barmer GEK (= BEK) freiwillig krankenversichert. Ich bin ebenfalls Rentner, zusätzlich selbständig tätig, 68 J. alt, bei der AXA privat krankenversichert.
Die BEK verlangt nun, dass ich mein Einkommen mit unserem ESt-Bescheid offenlege. Die Beitragsbemessung freiwillig Versicherter richtet sich nämlich nach § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V nach der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mitglieds, wozu auch das Familieneinkommen rechnet.
Meine Frage nun: Ist dieses Begehren der BEK rechtens – auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gem. Art. 6 Abs. 1 GG? Er verbietet nämlich, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen.
Gerne höre bzw. lese ich von Ihnen.
Mit besten Grüßen
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Leser,
nach einer ersten rechtlichen Einschätzung gehe ich zunächst davon aus, dass die Berücksichtigung des Familieneinkommens im Rahmen des § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V vorgesehen ist. Schauen Sie sich dazu z. B. das Urteil des BSG vom 28. September 2011 (B 12 KR 9/10 Rdnrn. 14 ff.) an:
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
M.Wannke says
Hallo,
vielen Dank für diesen Artikel, der die gleichen Fragen aufwirft, die ich mir auch stelle. Insbesondere ergibt sich durch die Berücksichtigung der Summe der POSITIVEN Einkünfte – ohne Querverrechnung – gerade bei Selbständigen mit geringen Einkünften, dafür aber aus mehreren QUellen, bspw. Verlust aus selbst. Tätigkeit, aber Kapitalerträge, dass der Krankenkassenbeitrag (KKB) sogar bis zu 100% der (vor Abzug des KKB) effektiv zur Verfügung stehenden Einnahmen betragen kann.
Das kann m. E. kaum verfassungstreu sein, insbesondere nach Einführung des umfassenden Versicherungszwanges, durch den der Abschluss einer KV ja verpflichtend ist. M. E. entstehen hierdurch Verstöße gegen Art. 1, Art. 2 GG(Recht auf Leben, freie Entfaltung, wenn mir im oben skizzierten Fall alle Mittel zum Leben genommen werden) sowie Art. 12 (1) GG(Berufsfreiheit, wenn ich de facto per Sozialgesetz gezwungen werde, eine Tätigkeit als Angestellter anstatt als Selbständiger auszuüben, wobei das Gesetz genau dies nicht regeln sollte)
Gibt es denn hierzu mittlerweile Rechtsprechung des BVerfG?
MfG, M.W.
Klaeschen says
Guten Tag Herr Nippel,
wie ich hier lese, verstehen auch Sie die Ungleichbehandlung von Angestellten und Selbständigen also freiwillig gesetzlich Versicherten als verfassungswiedrig, richtig?
In meinem Fall hatte ich 2020 ca 30tsd euro Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit und musste in dem Jahr einen großen Teil Aktien veräußern. Diese Gewinne in Höhe von ca 25tsd Euro werden nun der GKV zugrundegelegt, was ja so bei Angestellten nicht stattfinden würde. Aufgrund dessen wird bei mir für 2019 und 2020 der Beitrag jeweils um ca 2000-5000Euro höher sein, als wenn ich bei gleichem Einkommen angestellt wäre. Das kann verfassungsrechtlich doch nicht richtig sein.
Macht es ggf Sinn gegen diese Regelung vorzugehen.
Vielen Dank für Ihre Meinung.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Klaeschen,
ja, ich persönlich bin der Meinung, dass insbesondere Regelungen zur Verbeitragung von Einnahmen aus selbst von dem/der Versicherten eingezahlten privaten Versicherungen zur Altersvorsorge keine „Einnahmen“ im Sinne des Beitragsrechts sind, sondern Vermögen aus bereits verbeitragtem Einkommen. Sprich: Wenn ein in der Krankenversicherung Pflichtversicherter eine Lebensversicherung abschließt, werden Auszahlungen aus dieser Lebensversicherung nicht als Einnahmen des Pflichtversicherten verbeitragt. Das ist auch richtig. Das Einkommen wurde bereits verbeitragt und Vermögen soll und darf nicht verbeitragt werden.
Wenn ein freiwillig Versicherter selbst (und nicht der Arbeitgeber) aus „verbeitragtem“ Einkommen Einzahlung z. B. in eine Direktlebensversicherung leistet (Vermögen aufbaut nachdem er die Versicherung vom Arbeitgeber weitergeführt hat), soll bei Auszahlung des bereits verbeitragten Einkommens (Vermögens) die Auszahlung erneut verbeitragt werden – nicht nur mit einem Ertragsanteil. Das leuchtet mir nicht ein und daran wird meines Erachtens zurecht Kritik geübt.
An einer „doppelten Verbeitragung von Einkommen“ des freiwillig Versicherten scheint sich nicht wirklich etwas geändert zu haben. Hier gelten immer noch die Ausführungen des BVerfG vom 7. September 2010, 1 BvR 739/08, Rdnrn. 10 und 12 :
…
[10] … Zwar hat das Bundesverfassungsgericht für das Steuerrecht den Grundsatz entwickelt, dass steuerbares Einkommen nur beim erstmaligen Zufluss beziehungsweise bei der erstmaligen Realisierung zu versteuern sei (BVerfGE 105, 73 ≪122≫). Für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung als eines Versicherungssystems gelten jedoch andere Grundsätze. …
…
[12] Vor Art. 3 Abs. 1 GG ist es nicht zu beanstanden, dass der Beschwerdeführer auf die ausgezahlten Kapitalleistungen der betrieblichen Direktversicherung Beiträge nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz seiner Krankenkasse zu zahlen hat …
…
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Matze says
Sehr geehrter Herr Nippel,
ich bin freiberuflich tätig und freiwilliges GKV Mitglied. Wie hier schon vielfach beschrieben verlangt die GKV auch von meinen sonstigen Einnahmen neben dem Gewinn aus Freiberuflichkeit, wie z.B. Mieteinnahmen, Kapitalerträge usw. den vollen Beitragssatz. Hätte ein Arbeitnehmer völlig identische sonstige Einnahmen, wie ich, wären diese für Ihn beitragsfrei. Das kann m.E. mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht im Einklang stehen und ist eine schreiende Ungerechtigkeit.
Ist hierzu aktuell ein Verfahren höchstrichterlich anhängig und wird sich hieran Ihres Erachtens in den nächsten 10 Jahren etwas ändern?
Herzlichen Dank!
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Matze,
ein aktuelles Verfahren ist mir nicht bekannt.
Ich gehe nicht davon aus, dass sich mittelfristig etwas ändern wird.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt