Im sozialgerichtlichen Verfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Ein Kläger muss daher grundsätzlich keinen Beweisantrag stellen; das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Wenn die bisherigen ärztlichen Feststellungen nicht überzeugen oder ein eingeholtes Gutachten ungünstig ist, kann der Kläger mit § 109 SGG die Anhörung eines Arztes seines Vertrauens erzwingen.
1. Amtsermittlungsgrundsatz
Nach § 103 S. 1 SGG ermittelt das Gericht alle entscheidungserheblichen Tatsachen selbst. An Beweisanträge ist es nicht gebunden, § 103 S. 2 SGG. Der Vorsitzende wirkt nach § 106 Abs. 1 SGG auf sachdienliche Anträge und Ergänzungen hin, muss aber nicht ausdrücklich auf die Möglichkeit eines 109-Antrags hinweisen (BSG, 22.07.2010 – B 13 R 585/09 B).
2. Anhörung eines bestimmten Arztes (§ 109 SGG)
Wie erzwinge ich ein weiteres Gutachten durch einen Arzt meines Vertrauens?
§ 109 SGG durchbricht die Bindungsfreiheit des Gerichts bei der Beweiserhebung: Auf Antrag des Versicherten/behinderten Menschen/Versorgungsberechtigten/Hinterbliebenen ist ein konkret benannter Arzt (Name/Anschrift) als Sachverständiger zu hören.
- Benennung: konkreter Arzt mit Name und Anschrift; das Beweisthema muss nicht ausformuliert sein (eine kurze Leitfrage genügt).
- Zeitpunkt: rechtzeitig bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung der jeweiligen Instanz stellen (bei Gerichtsbescheid rechtzeitig Antrag auf mündliche Verhandlung erwägen).
- Ablehnung nur ausnahmsweise: wenn die Einholung den Rechtsstreit objektiv verzögert oder der Antrag in Verschleppungsabsicht gestellt ist.
- Gerichtliche Pflicht bleibt: Parallel prüft das Gericht, ob von Amts wegen ein Gutachten nötig ist; eine verfrühte Antragstellung schadet nicht (LSG München, 27.11.2018 – 2 L SB 109/17 B).
Kostenrisiko (§ 109 Abs. 1 S. 2 SGG):
Das Gericht kann die Anhörung davon abhängig machen, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und – vorbehaltlich anderer Entscheidung – endgültig trägt. Die Kosten eines § 109-Gutachtens werden grundsätzlich nicht über Prozesskostenhilfe übernommen. Über die endgültige Kostentragung entscheidet das Gericht nach Ermessen (beschwerdefähiger Beschluss).
Einen behandelnden Arzt zu benennen ist oft nicht sinnvoll: Es drohen Objektivitätskonflikte (der Behandler hat regelmäßig bereits Stellung genommen). Häufig sind unabhängige Fachgutachter überzeugender.
3. Musterschriftsatz
… beantrage ich,
gemäß § 109 SGG Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von
Dr. …, Straße, PLZ Ort,
zu folgendem Beweisthema:
„Spricht mehr dafür als dagegen, dass die bei der Klägerin festgestellten Einschränkungen – unter Berücksichtigung der Anamnese, der Befunde und des aktuellen Leitlinienstandes – wie folgt zu bewerten sind: … ?“
Begründung:
Das vom Gericht eingeholte Gutachten vom … (Sachverständiger Dr. …) bewertet die Einschränkungen mit …. Demgegenüber gelangen die behandelnden Ärzte Dr. …/Befundberichte vom … zu … . Aus Gründen der Waffengleichheit und zur vollständigen Sachaufklärung ist die Einholung eines weiteren Gutachtens durch den benannten, fachlich ausgewiesenen Sachverständigen erforderlich.
4. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu Amtsermittlung, richterlicher Hinwirkung und Anhörung eines bestimmten Arztes:

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