Kurz erklärt: Darlehen, die mit einer zivilrechtlich wirksamen Rückzahlungsverpflichtung belastet sind, gelten im Bürgergeld nicht als Einkommen, sondern sind nur „vorübergehend verfügbar“. Strenge Maßstäbe gelten, wenn Darlehen zwischen Verwandten oder Freunden gewährt werden, § 11 SGB II.
1. Grundsatz: § 11 SGB II und Darlehen
Nach § 11 Abs. 1 SGB II gilt als Einkommen jeder Zufluss in Geld, soweit er zur endgültigen Verwendung verbleibt. Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen, führen dagegen nicht zu einer dauerhaften Vermögensmehrung. Sie sind daher kein Einkommen, sondern „Vermögen auf Zeit“.
2. Darlehen aus Sozialleistungen (§ 11 Abs. 1 S. 3 SGB II)
Das Gesetz erwähnt ausdrücklich darlehensweise gewährte Sozialleistungen (z. B. Mietkaution, Stromnachzahlung). Diese sind als Einkommen zu berücksichtigen.
Im Umkehrschluss bedeutet das: andere Darlehen (z. B. von Verwandten oder Freunden) sind nicht als Einkommen zu werten – solange eine ernsthafte Rückzahlungspflicht besteht.
Nachweise (Vertrag/Tilgungen) müssen im Zweifel vorgelegt werden.
3. Sonstige Darlehen (Rückschluss)
Die Rechtsprechung hat klargestellt, dass auch private Darlehen bei Bürgergeld und Sozialhilfe anrechnungsfrei bleiben, wenn eine wirksame Rückzahlungsverpflichtung vereinbart ist (vgl. BSG, 20.12.2011 – B 4 AS 46/11 R).
Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Fremdvergleich zu: Würden die Vertragsbedingungen auch unter fremden Dritten üblich sein?
4. Rechtsprechung des BSG
BSG, 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R- Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die als Darlehen mit einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung belastet sind, sind bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht als Einkommen zu berücksichtigen.
- An den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrags unter Verwandten sind strenge Anforderungen zu stellen, um eine Darlehensgewährung eindeutig von einer Schenkung oder einer Unterhaltsleistung abgrenzen zu können.
Erbringen Dritte Zuwendungen zur Substituierung einer vom SGB II-Leistungsträger rechtswidrig verweigerten Leistung, die an eine Rückzahlungsverpflichtung durch den Leistungsberechtigten für den Fall der Nachzahlung des Leistungsträgers geknüpft sind, sind diese Zuwendungen kein Einkommen im Sinne des SGB II.
5. Praxis: Fremdvergleich & Nachweise
- Nachweis Rückzahlung: Kontoauszüge oder Quittungen sind entscheidend.
- Vertrag: Schriftform ist nicht zwingend, aber klare Regelungen helfen.
- Fremdvergleich: Konditionen sollten plausibel sein (z. B. Rückzahlungsmodalitäten).
- Problemfälle: rein mündliche Absprachen ohne klare Rückzahlungsabsicht → Risiko der Anrechnung.
- LSG NRW 2008 (L 7 AS 62/08): Onkel-Darlehen über 1.500 € → kein Einkommen, da Rückzahlungspflicht ernsthaft vereinbart.
- LSG Nds-Bremen 2008 (L 13 AS 97/08 ER): Eltern-Darlehen ohne klare Rückzahlungsvereinbarung → Einkommen.
…
[29] Einmalige Einnahmen wie z. B. Schenkungen (zur Arbeitslosenhilfe) sind bei Zufluss im Bewilligungszeitraum aufgrund der mit ihnen verbundenen Wertsteigerung als Einkommen zu berücksichtigen. …
[30] Kein Einkommen sind hingegen Mittel aus einem Darlehen, da diese mit Rücksicht auf die Rückzahlungsverpflichtung die Vermögenssituation des Hilfebedürftigen nicht verändern, es sei denn, die Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt. Entscheidungserheblich ist allein, ob im Zeitpunkt des Geldzuflusses die Rückzahlungsverpflichtung eindeutig festgestellt werden kann. Dies ist nach Prüfung der Umstände des Einzelfalles durch Beweiswürdigung zu entscheiden. Erst nach Prüfung der Umstände des Einzelfalles und nach Darlegung von Zweifeln im Rahmen der Beweislastverteilung sind die Grundsätze heranzuziehen, die einer Dokumentation im Sinne eines Fremdvergleiches standhält. …
…
LSG Nds-Bremen, 03.07.2008 – L 13 AS 97/08 ER
- Ein von einem Dritten dem Hilfesuchenden gewährtes Darlehen ist Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II , wenn er es zur Steuerung seiner Notlage einsetzen kann.
- Ein Hilfesuchender ist in der Regel nicht verpflichtet, zur Beseitigung seiner Notlage ein Darlehen aufzunehmen, wenn er ansonsten Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat.
- Im SGB II ist die Konfliktlage des Hilfesuchenden zwischen dem Verbrauch eines Darlehens zur Beseitigung seiner Bedürftigkeit und der zu erwartenden Verletzung der zivilrechtlichen Rückzahlungspflicht wegen seines wirtschaftlichen Unvermögens nicht zu Lasten der Öffentlichen Hand zu regeln (Abweichung von BSGE 58,160).
6. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefende Beiträge & Praxisbeispiele zum Widerspruchsverfahren, Einkommen und zur Berechnung der Leistungen:
Schulze, Eckhard says
Ist ein „Darlehen“ denkbar, dass nicht als „Einnahme“ charakterisiert wird, wenn das Darlehen mit Rückzahlungsverpflichtung dazu dient, einen bestehenden Schuldsaldo bei der Sparkasse abzudecken.
Wie muss ein Darlehensvertrag gestaltet werden, damit die „Verfügbarkeit“ beim SGB II-Empfänger nicht gegeben ist?
Das Darlehen soll mit kleinen Beträgen zurückgeführt werden; darüber hinaus soll eine ältere Dame z.B. im Garten bzw. bei Einkäufen (PKW-Führung) unterstützt werden. Ist solch eine Konstellation „kürzungsfrei“ denkbar?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Schulze,
grundsätzlich sind Fragen um ein Darlehen herum sehr problematisch, deswegen will ich mich auch hier mit genauen Angaben „bedeckt halten“. Dies gilt insbesondere, wenn ich den genauen Sachverhalt nicht kenne.
Allerdings sehe ich durchaus, dass einige ehrliche Leistungsempfänger eine „Dummensteuer“ zahlen, während andere, „gewieftere“ Leistungsempfänger dauernd Leistungen erhalten, ohne dass diese Leistungen als Einkommen angerechnet werden.
Zu beachten sind jedenfalls die obigen Ausführungen der Gerichte.
Grüße
Grüße
TenBaseT says
Folgender Sachverhalt: in 2012 habe ich dem Sohn meiner damaligen Lebenspartnerin ca. 1100 Euro geliehen. Drei Positionen waren Fahrtkosten, Anzug für Bewerbungsgespräch, eine Monatsmiete (was er nach eigenen Angaben alles vom Jobcenter zurückerhalten würde) alles zusammen ca 250 Euro. Dann flatterte ein Strafbefehl über ca. 850 Euro, zugestellt durch Feldjäger ins Haus, zahlbar innerhalb von vier Stunden oder ersatzweise Haft. Also nochmals vorgeschossen aber nur unter schriftlicher Anerkennung, dass das Geld „so bald wie möglich“ zurückzuzahlen sei. Eine genauere Terminierung war auf Grund seiner Lebensumstände zu dem Zeitpunkt nicht möglich.
Es folgte meinerseits ein dreijähriger Auslandsaufenthalt. Der Darlehensnehmer verweigerte jeglichen Kontakt (blocken in FB und Suchmaschinen) Durch Scheidung und betrügerische Machenschaften verlor ich mein gesamtes Vermögen und musste zurück nach Deutschland und Sozialhilfe beantragen. Da ein Schuldanerkenntnis vorliegt, wurde ein Mahnbescheid erstellt worauf eine Teilzahlung von 300 Euro geleistet und seinerseits ein Tilgungsplan (Raten von 100 Euro) mir zugestellt wurde. Jetzt kommt das Jobcenter, möchte von den geleisteten 300 Euro 270 Euro zurück haben und von den zu erwartenden Raten jeweils 70 Euro.
Wie kann es sein, dass der Kredit einerseits als Vermögen bewertet wird und andererseits die Rückzahlungen als Einkommen? Das kommt doch einem Verzicht auf das Vermögen gleich.
Gibt es Urteile zu diesem Sachverhalt?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo TenBaseT,
so ganz klar ist mir der Sachverhalt noch nicht: einmal ist die Rede von Sozialhilfe, das andere Mal vom Jobcenter. Ich gehe aber davon aus, dass jeweils das Jobcenter gemeint ist.
Meines Erachtens zielen Sie schließlich aber mit Ihrer Frage darauf ab, dass einerseits „Ihr Vermögen“ aus dem Schuldanerkenntnis des ehemaligen Lebensgefährten Ihrer Tochter 1.100,00 € betrug (jeweils abzüglich der Zahlungen), andererseits dann der Zufluss (aus dem Vermögen) jeweils als Einkommen gewertet wird. Dies ist meines Erachtens tatsächlich nicht zulässig. „Einkommen aus dem Vermögen“ kann meines Erachtens nicht als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II gewertet werden.
Gerne würde ich Sie in dem entsprechenden Widerspruchsverfahren (oder auch bei verspätetem Widerspruch in dem Überprüfungsverfahren – dann allerdings nur im Rahmen von Beratungshilfe) vertreten.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Flommer says
Ich bin jetzt schon länger auf der Suche nach einer Antwort, vielleicht können Sie mir dabei helfen:
Über Plattformen wie Auxmoney, Mintos und Co ist es heutzutage einfach privat Kredite zu vergeben bzw. per Crowdfunding Kredite zu vergeben. Wenn ich in diese P2P-Kredite investiere und irgendwann in die Arbeitslosigkeit gerate: Wie werden diese Anlagen angerechnet? Als Vermögen? Oder durch die monatliche Rückzahlung als Einkommen? Wenn es Einkommen ist, werden nur die Zinsen gewertet?
Ich hoffe Sie können mir darauf eine Antwort geben.
Viele Grüße und Danke im Voraus.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Flommer,
über die Behandlung von Krediten, die zurückgezahlt werden, habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht …
Nach einer ersten rechtlichen Einschätzung dürfte es nahe liegen, einen ausgereichten Kredit als Vermögen anzusehen … übersteigt dieses Vermögen die Schonbeträge, so muss es zum Lebensunterhalt eingesetzt werden … dann bestünde der Zwang, die monatlichen Rückzahlungen zum Lebensunterhalt einzusetzen … im Ergebnis würden dann die monatlichen Rückzahlungen ähnlich dem Einkommen leistungsmindernd angerechnet …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Mirco Müller says
Mein Vater ist Hartz IV-Empfänger, meine Mutter EU-Rentnerin und ich Azubi. Wenn ich jetzt einen 90 Tage Kredit über 300 € aufnehmen würde (für Reparaturzahlungen an meinem Auto), würde es vom Arbeitsamt angerechnet werden??
Danke im Voraus