Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist, § 39 Abs. 2 SGB X.
Die Rechtsgrundlagen für eine nachträgliche Änderung einer Entscheidung der Sozialbehörden finden sich in den §§ 44-49 SGB X. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich u. a. mit den folgenden Fragen:
– Wann ist eine Aufhebung einer Behördenentscheidung möglich?
– Wie lange ist eine Aufhebung möglich?
– Ist eine Aufhebung nur zugunsten der Behörde möglich?
- 1. § 44 SGB X – Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
- 2. § 45 SGB X Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes
- 3. § 46 SGB X Widerruf eines rechtmäßigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
- 4. § 47 SGB X Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes
- 5. § 48 SGB X Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse
- 6. § 49 SGB X Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren
- 7. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
1. Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes, § 44 SGB X
Nach Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes erfolgt dessen „Überprüfung“ bei Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen. So ist eine sachliche Neubescheidung zu Gunsten eines Sozialleistungsempfängers möglich.
Von Amts wegen fordert das Gesetz von der Behörde eine erneute Sachprüfung nur, „soweit sich im Einzelfall ergibt“ (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X), dass eine rechtswidrige Belastung zurückzunehmen ist.
§ 44 SGB X verpflichtet die Behörde, eine zulasten des Bürgers ergangene rechtswidrige Entscheidung zu korrigieren. Der Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsaktes wird zugunsten der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit durchbrochen.
Sozialleistungen werden nach den Vorschriften längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X.
Beispiel:
Ein Rückforderungsbescheid verpflichtet den Betroffenen zur Erstattung von Sozialleistungen, die nach den Ausführungen des Rückforderungsbescheides ohne Rechtsgrund erbracht worden seien. Der Rückforderungsbescheid erweist sich schließlich als rechtswidrig.
Der Verwaltungsakt ist nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X zurückzunehmen.
beachte:
Anstelle des vierjährigen Erstattungsanspruches gemäß § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X gilt gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende lediglich ein Erstattungszeitraum von einem Jahr bzw. von Beginn des Jahres an, in dem der Verwaltungsakt durch Erstattungsbescheid zurückgenommen wird.
ausführlich zu § 44 SGB X:
2. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes, § 45 SGB X
§ 45 SGB X betont den Gedanken von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden.
Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes, auch wenn er rechtswidrig ist, kommt nur dann in Betracht, wenn das Vertrauen des Betroffenen auf den Bestand des Verwaltungsaktes hinter dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme zurückstehen muss,§ 45 Abs. 2 S. 1 SGB X.
Beispiel:
Der Rentenversicherungsträger spricht die begehrte Befreiung von der Versicherungspflicht durch Verwaltungsakt aus.
Dieser Befreiungsbescheid bleibt „begünstigend“. Der Befreiungsbescheid kann nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 1 sowie Abs. 2-4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
ausführlich zu § 45 SGB X (mit Prüfschema):
3. Widerruf eines rechtmäßigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes, § 46 SGB X
Der Widerrufs-Tatbestand des § 46 SGB X erfasst rechtmäßige Verwaltungsakte, also Entscheidungen, die in materieller Hinsicht mit dem Gesetz übereinstimmen.
Nach § 46 SGB X kann ein rechtmäßiger, nicht begünstigenden Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts neu erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist, § 46 Abs. 1 SGB X.
Beispiel:
Eine behördliche Änderung des inzwischen unanfechtbaren Verwaltungsaktes ist bei dessen anzunehmender Rechtmäßigkeit im Wege des Widerrufs statthaft.
4. Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes, § 47 SGB X
§ 47 SGB X ist als Widerrufsbestimmung nur anwendbar auf wirksame, rechtmäßige Verwaltungsakte, die eine begünstigende Entscheidung treffen.
Anders als nach § 46 SGB X kann auch eine gebundene Entscheidung Gegenstand der Entscheidung sein. Dies gilt allerdings nur für die Zukunft (vergleiche § 47 Abs. 1 S. 1 SGB X) und wenn der Widerruf durch Rechtsvorschriften zugelassen ist (§ 47 Abs. 1 Nr. eins SGB X) und/oder wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (§ 47 Abs. 1 Nr. zwei SGB X).
Beispiele:
• Befreiung von der Versicherungspflicht,
• Bewilligung einer Kfz-Beihilfe,
• Feststellung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
5. Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse, § 48 SGB X
§ 48 SGB X ist von erheblicher praktischer Bedeutung.
§ 48 SGB X bildet die einschlägige Korrekturnorm, wenn erst die Veränderung von Umständen nach Erlass eines Verwaltungsaktes (mit Dauerwirkung) eine Diskrepanz zur materiellen Rechtslage herbeiführt. Die Tatbestandsvarianten des § 48 SGB X regeln dabei grundsätzlich drei unterschiedliche Sachverhalte:
Während Abs. 1 die Anpassung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung an geänderte Verhältnisse mit Wirkung nur für die Zukunft (S. 1) oder auch für die Vergangenheit (S. 2) regelt, bestimmt Abs. 3 die Anpassung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung an für den Berechtigten günstige Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und Abs. 4 das „Einfrieren“ zu Unrecht gewährter Leistungen.
Beispiel:
Einem Versicherten wird vom zuständigen Rentenversicherungsträger eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bewilligt. Später stellt die Berufsgenossenschaft rückwirkend eine Unfallrente höher fest.
Diese nachträgliche Korrektur der Berufsgenossenschaft führt zur erforderlichen Korrektur des Rentenversicherungsbescheides über § 48 Abs. 1 SGB X.
ausführlich zu § 48 SGB X (mit Prüfschema):
6. Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren, § 49 SGB X (bei Anfechtung durch einen Dritten)
Wie die Bestimmung des allgemeinen Verwaltungsrechts verbindet § 49 SGB X die Prüfung eines Verwaltungsaktes im Rechtsbehelfsverfahren mit der Korrektur einer bestandskräftigen, begünstigenden Entscheidung nach den §§ 45, 47 oder 48 SGB X.
Nach § 49 SGB X gelten § 45 Abs. 1-4, §§ 47 f. nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Die Vorschrift verdrängt damit die Regelungen zur Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes, sei er rechtswidrig oder rechtmäßig, wenn ein Dritter den Verwaltungsakt zulässigerweise anficht.
7. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefende Beiträge (inkl. Beispiele & Prüfschemata):
§ 39 SGB X · § 44 SGB X · § 45 SGB X · § 46 SGB X · § 47 SGB X · § 48 SGB X · § 49 SGB X · § 50 SGB X
Folgt aus Rücknahme/Widerruf eine Erstattung, richtet sich die Rückforderung regelmäßig nach § 50 SGB X.
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