Rechtsanwalt und Sozialrecht

von Rechtsanwalt Sönke Nippel in Remscheid

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Die Korrektur von Verwaltungsakten durch einen Überprüfungsantrag

vom 28. November 2018, zuletzt geändert am 27. November 2019

Eine Besonderheit beinhaltet der Antrag auf Überprüfung gemäß § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
 
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetautritt)
§ 44 SGB X
im Sozialrecht.

Der Überprüfungsantrag ist auch dann möglich, wenn die Widerspruchsfrist versäumt wurde und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen.

Anders als in anderen Rechtsgebieten (z. B. dem Verwaltungsrecht gemäß §§ 48, 51 VwVfG) kommt also im Sozialrecht eine Korrektur einer Entscheidung zur rechtswidrigen Ablehnung einer Leistung auch nach Eintritt der formellen Bestandskraft in Betracht. Es besteht ggf. ein klagbarer Anspruch darauf, dass eine bereits unanfechtbare Entscheidung korrigiert wird.

auf dieser Seite:
1. Antrag2. Frist3. belastender Verwaltungsakt4. Von Beginn an rechtswidriger Verwaltungsakt5. Anwendbarkeit auf nicht erbrachte Sozialleistungen und …

1. Antrag

 
Was ist ein Überprüfungsantrag?
Wo muss der Überprüngsantrag gestellt werden?
Wie soll der Überprüfungsantrag formuliert werden?

drei Frauen mit Fragezeichen, Zahnrädern und Glühbirne über dem Kopf

Der von einem rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt Betroffene kann einen Antrag auf Überprüfung stellen, dass ein zurückliegender Sachverhalt rechtlich erneut gewürdigt werden soll. Es geht um die Rücknahme eines rechtswidrigen Sozialleistungs- oder Beitragsverwaltungsaktes nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X oder um die Rücknahme eines sonstigen rechtswidrigen Verwaltungsaktes gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 SGG.

Der Antrag ist in der Regel bei der Behörde zu stellen, die den Ausgangsbescheid erlassen hat. Wird nach der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes eine neue Behörde zuständig, entscheidet diese zuständig geordene Behörde auch wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist, § 44 Abs. 3 2. Halbsatz SGB X.

Bei der Formulierung des Antrages sollte besondere Sorgfalt geübt werden. Die zu überprüfende(n) Entscheidung(en) müssen im Einzelnen genau benannt werden (s. u. Muster). „Pauschale Anträge“ sind unzulässig (vgl. dazu Bild: zum UrteilLink: www.juris.bundessozialgericht.deBSG vom 28. Oktober 2014, B 14 AS 39/13, Rdnr. 15):

Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, deren Umfang aber von dem Antrag und dessen Begründung abhängig ist. Eine solche Prüfung erfordert, dass der Antrag konkretisierbar ist und entweder aus dem Antrag selbst – ggf. nach Auslegung – oder aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsträgers der Umfang der Prüfpflicht für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar ist. Andernfalls ist der Leistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung des Antrags abzusehen. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, nach dem „im Einzelfall“ beim Vorliegen der Voraussetzungen die Rücknahme eines Verwaltungsaktes erfolgen soll, was in der Konsequenz bedeutet, dass der Überprüfungsantrag des Leistungsberechtigten einen oder ggf. mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret aufführen muss.

2. Frist

 
Welche Fristen gelten für den Überprüfungsantrag?

Ergibt sich aus der Überprüfung eine Nachzahlungspflicht der Behörde, so ist die 4-Jahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X zu beachten. Nachzahlungen werden für einen Zeitraum von bis zu 4 Jahren erbracht.

Besonderheiten gelten u. a. gemäß §§ 40 Anwendung von Verfahrensvorschriften
 
(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1…
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 40 SGB II
, § 330 Sonderregelungen für die Aufhebung von Verwaltungsakten
 
(1) Liegen die in § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen…
 
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)
330 SGB III
und § 100 Änderung und Ende
 
(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente…
 
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)
100 SGB VI
:

  • § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II enthält statt der 4-Jahresfrist eine nur 1 Jahr zurückliegende Nachzahlungspflicht (vom Beginn des Vorjahres an). Für Sozialhilfeleistungen und ALG-II-Leistungen gilt also, dass diese nur rückwirkend für einen Zeitraum von einem Jahr geltend gemacht werden können. Allerdings wirkt der Überprüfungsantrag auf den Beginn des Jahres zurück, in dem er gestellt wurde.
  • §§ 40 Abs. 3 S. 1 SGB II, 330 Abs. 1 SGB III und 100 Abs. 4 SGB VI bestimmen das Entfallen der Nachzahlung bei Verwaltungsakten, wenn sie auf einer Rechtsnorm beruhen, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für verfassungswidrig erklärt wurden. Dies gilt jedenfalls für die Zeit vor der Erklärung der Rechtswidrigkeit der Vorschrift.

Ein Überprüfungsantrag macht im Hinblick auf noch anfechtbare Bescheide keinen Sinn. Dann sollte das „normale“ Widerspruchsverfahren durchgeführt werden.

3. Belastender Verwaltungsakt

Der im Überprüfungsverfahren zu prüfende Verwaltungsakt muss für den Empfänger belastend sein.

Belastend in diesem Sinne können auch Verwaltungsakte mit „Doppelwirkung“ sein. So kann also ein Rentenbescheid, der einen späteren Rentenbeginn enthält, hinsichtlich des späten Beginns belastend, hinsichtlich der Gewährung der Rente begünstigend sein. Dann kann aber auch nur der belastende Teil aufgehoben werden.

4. Von Beginn an rechtswidriger Verwaltungsakt

Es muss ein von Beginn an rechtswidriger Verwaltungsakt vorliegen. Es muss also ein zum Erlasszeitpunkt rechtswidriger Verwaltungsakt vorliegen.

Es ist unerheblich, ob die Rechtswidrigkeit im Zeitpunkt der Entscheidung schon feststand. Allerdings darf die Rechtswidrigkeit auch nicht erst nachträglich entstanden sein.

5. Anwendbarkeit auf nicht erbrachte Sozialleistungen sowie auch auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide

Umstritten ist die Anwendbarkeit des §§ 44 SGB X im Hinblick auf Erstattungsforderungen, vgl. dazu unter anderem den Beitrag „der Antrag auf Überprüfung und dessen Anwendbarkeit auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide“.

Für den Bereich des SGB II gilt § 44 SGB X nicht nur dann, wenn durch die zu prüfende Entscheidung Sozialleistungen nicht erbracht worden sind. Eine analoge Anwendung auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist ebenfalls möglich (vgl. dazu Bild: zum UrteilLink: www.juris.bundessozialgericht.deBSG vom 13. Februar 2014 B 4 AS 19/13 R, Rdnr. 14):

2. Nach dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder – hier nicht von Interesse – Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Zutreffend ist der Beklagte zunächst davon ausgegangen, dass diese Regelung entsprechende Anwendung findet, soweit mit einem Aufhebungsbescheid eine Leistungsbewilligung zurückgenommen worden ist. …

Schließlich ist zu beachten, dass die Regelungen des §§ 44 SGB X im Sozialhilferecht und im Asylbewerberleistungsgesetz dann nicht gelten, wenn die Bedürftigkeit später entfällt (vgl. dazu unter anderem die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom Bild: zum UrteilLink: www.sozialgerichtsbarkeit.de29. September 2009, B 8 SO 16/08 R, Rdnr. 22).

Sind Leistungen rückwirkend (überhaupt) nicht mehr zu erbringen, kann regelmäßig trotz Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Bescheide dann aber auch kein Anspruch auf deren Rücknahme nach § 44 Abs. 1 SGB X anerkannt werden.

Die vorbenannte Einschränkung der weiter andauernden Bedürftigkeit gilt im Bereich des SGB II nicht (vgl. dazu das Bild: zum UrteilLink: www.juris.bundessozialgericht.deUrteil des Bundessozialgerichts vom 4. April 2017, B 4 AS 6/16 R, Leitsatz):

Der Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II und der Anspruch auf eine sich daraus ergebende Leistungsnachzahlung setzt keine bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens durchgehend bestehende Hilfebedürftigkeit voraus.

Hinweis:

Zur Anwendbarkeit der Regelungen des Überprüfungsantrages auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vergleiche auch den Beitrag

  • Der Über­prüfungs­an­trag – An­wend­barkeit auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide

    Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt … | mehr

_______________

Musterantrag bei der Behörde

Hiermit bitte ich um

Überprüfung

des/der Bescheide(s) vom … (Aktenzeichen: …), vom … (ggf. in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom … (Aktenzeichen: …) gemäß § 44 SGB X. Entgegen dem/den Bescheid(en) sollen Leistungen für die Zeit vom … bis … in Höhe von … gewährt werden.

Begründung:

…


 
 

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