Wird eine Kindergeldbewilligung rückwirkend aufgehoben, fordert die Familienkasse die Beträge zurück. Besonders für Haushalte mit niedrigem Einkommen ist das hart, weil rückwirkend kein Anspruch auf Bürgergeld oder Sozialhilfe besteht. Die Rückforderung kann daher existenzbedrohend wirken – ein Billigkeitserlass wird aber in der Praxis kaum gewährt.
1. Rechtliche Grundlagen
Im Hinblick auf die Rückforderung kann Erlass beantragt werden.
Die Möglichkeit eines Erlasses oder einer Stundung beruht auf § 227 AO:
„Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.“
Kindergeld ist steuerrechtlich geregelt (§ 31 EStG, § 62 ff. EStG). Die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit handeln hier als Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 AO). Daher gelten Abgabenordnung (AO) und Finanzgerichtsordnung (FGO), nicht das Sozialrecht.
2. Zuständigkeit und Rechtsweg
Über Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Rückforderung oder einem Billigkeitserlass entscheidet nicht das Sozialgericht, sondern das Finanzgericht (§ 33 FGO). Klagen sind gegen den ablehnenden Erlassbescheid der Familienkasse zu richten. Ein Einspruch muss innerhalb eines Monats eingelegt werden.
3. Keine rückwirkende Kompensation
Wird Kindergeld zurückgefordert, können Betroffene keine rückwirkenden Leistungen nach SGB II oder SGB XII beantragen. Nach § 37 SGB II und § 18 SGB XII wirken Anträge erst ab dem Monat der Antragstellung.
Die Folge: Für die Vergangenheit entsteht eine Lücke – Rückforderung ja, Nachzahlung nein.
Diese Lücke wird bislang nicht als unbillig im Sinne des § 227 AO anerkannt.
4. Rechtsprechung des BFH
Der BFH hat entschieden, dass eine Unbilligkeit der Rückforderung nicht allein daraus folgt, dass der Betroffene rückwirkend keine anderen Sozialleistungen erhält (vgl. BFH, 16.03.2021 – III R 30/19).
Ein Billigkeitserlass kommt nur in Betracht, wenn besondere atypische Umstände vorliegen, die der Gesetzgeber bei der typisierenden Regelung nicht berücksichtigt hat. Das bloße Fehlen einer sozialrechtlichen Kompensationsmöglichkeit genügt hierfür nicht.
Der BFH betont, dass die fehlende Rückwirkung der SGB-Leistungen keine „besondere Unbilligkeit“ begründet, sondern Folge der gesetzgeberischen Wertung ist.
5. Wann greift der Billigkeitserlass?
Ein Erlass kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa:
- bei behördlicher Fehlberatung oder Falschinformation,
- bei besonderer persönlicher Härte (z. B. unverschuldete Existenzgefährdung, Krankheit, Pflegefall),
- oder wenn die Rückforderung erkennbar unverhältnismäßig ist.
6. Häufige Fragen
- Wann ist ein Billigkeitserlass nach § 227 AO möglich?
Nur, wenn die Einziehung im Einzelfall unbillig wäre, etwa bei behördlichem Fehlverhalten oder unzumutbarer Härte. - Kann ich Bürgergeld oder Sozialhilfe rückwirkend beantragen?
Nein. Nach § 37 SGB II und § 18 SGB XII wirken Anträge erst ab dem Antragsmonat. - Kann ich gegen die Rückforderung vorgehen?
Ja, durch Einspruch und ggf. Klage beim Finanzgericht – Frist: ein Monat. - Was ist der Unterschied zwischen Erlass, Stundung und Niederschlagung?
Erlass = endgültige Aufhebung · Stundung = Zahlungsaufschub · Niederschlagung = Nichtbeitreibung.
7. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zum Kindergeld und zur Aufhebung:



Schreiben Sie einen Kommentar