Werden Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei einem Bürgergeld-Empfänger leistungsmindernd angerechnet?
Wird bei dem pflegenden Angehörigen weitergereichtes Pflegegeld auf die Leistungen angerechnet?
Was gilt für pflegende Dritte?
Kurzfassung: Pflegegeld nach SGB XI ist beim Leistungsempfänger wegen Zweckbestimmung nicht anzurechnen (§ 11a SGB II, § 13 SGB XI).
Bei der Pflegeperson sind nicht steuerpflichtige Einnahmen für Grundpflege/Haushalt kein Einkommen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 Bürgergeld-V).
Im SGB II ist geregelt, wie Pflegegeld der gesetzlichen Pflegeversicherung beim Empfänger zu berücksichtigen ist. Die Weitergabe an eine Pflegeperson wird im SGB II nicht eigenständig geregelt – hierfür greift die Bürgergeld-V.
1. Anrechnung bei dem Leistungsempfänger
Nach § 11a Abs. 3 S. 1 SGB II ist Pflegegeld beim Leistungsempfänger nicht als Einkommen zu berücksichtigen (Zweckbestimmung).
Eine ausdrückliche Regelung zu dem Pflegegeld in § 11 a Abs. 3 S. 2 SGB II ist – anders als zum Pflegegeld gemäß dem SGB VIII in § 11 a Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SGB II – entbehrlich. Derjenige, der Leistungen der Pflegeversicherung erhält, steht in der Regel nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung und fällt deshalb nicht in den Anwendungsbereich des SGB II.
Zusätzlich bestimmt § 13 Abs. 5 SGB XI, dass die Leistungen der Pflegeversicherung bei einkommensabhängigen Sozialleistungen unberücksichtigt bleiben.
2. Anrechnung bei der Pflegeperson
Für die Pflegeperson gilt: Nicht steuerpflichtige Einnahmen für Grundpflege/Haushalt sind kein Einkommen, § 1 Abs. 1 Nr. 4 Bürgergeld-V. Pflegegeld kann somit leistungsunschädlich weitergegeben werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen.
a) Steuerfreiheit
§ 3 Nr. 36 EStG regelt die Steuerfreiheit der Einnahmen, wenn Leistungen der Grundpflege/Betreuung/Haushalt von Angehörigen oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erbracht werden. Nur dann greift auch die Privilegierung in § 1 Bürgergeld-V.
b) Angehörige oder andere Personen
Erzielt eine pflegende Angehörige oder eine Person, die in sittlicher Pflicht pflegt, Einnahmen bis zur Höhe des weitergereichten Pflegegeldes, sind diese steuerfrei und nach § 1 Bürgergeld-V nicht als Einkommen anzurechnen.
Bei Pflege durch Dritte ohne Angehörigen- oder sittliche Pflicht ist die Steuerfreiheit regelmäßig nicht gegeben – die Einnahmen können dann anzurechnendes Einkommen sein.
Das LSG Hessen hat in einem Urteil zu einem Mitbewohner im Hinblick auf die „sittliche Pflicht“ ausgeführt (LSG Hessen, 12.11.2014 – L 6 AS 491/11):
[58] … Dies wäre nur dann der Fall, wenn er – der kein Angehöriger von Frau C. ist – die Leistungen zur Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung auf Grund einer sittlichen Pflicht gegenüber Frau C. erbracht hätte. Das ist – gerade nach der Darstellung des Klägers, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar seine Nähe zu Frau C. betont, aber grundsätzlich die Darstellung, er habe die Pflege als Mitbewohner und Freund übernommen, nochmals bestätigt hat, und angesichts der Gegenleistungen, also der streitigen Zahlungen und der niedrigen Mietzahlungen, die er für die Pflegetätigkeit erhalten hat – nach Auffassung des Senats hier nicht der Fall. …
Einnahmen einer Pflegeperson können also nur dann im Bürgergeld als nicht zu berücksichtigendes Einkommen gelten, wenn sie unter eine gesetzliche Privilegierung fallen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Zahlungen steuerfrei nach § 3 Nr. 36 EStG wären.
§ 3 Nr. 36 EStG setzt jedoch voraus, dass die Pflege durch Angehörige erfolgt oder durch andere Personen, die gegenüber dem Pflegebedürftigen eine „sittliche Pflicht“ im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG erfüllen. Diese sittliche Pflicht wird von der BFH-Rechtsprechung sehr eng verstanden.
Eine sittliche Pflicht besteht nur, wenn nach den Anschauungen der Allgemeinheit erwartet wird, dass die Pflegeperson die Pflege übernimmt – also bei familiären oder quasi-familiären Bindungen. Eine bloße Freundschaft oder persönliche Verbundenheit genügt ausdrücklich nicht (BFH, 29.08.1996 – III R 4/95).
Folge:
Erhält die pflegende Person Zahlungen aus dem Pflegegeld eines nicht verwandten Pflegebedürftigen, mit dem nur eine freundschaftliche Beziehung besteht, sind diese Zahlungen grundsätzlich steuerpflichtige Einnahmen und werden sozialrechtlich regelmäßig als Einkommen berücksichtigt. Eine Nichtanrechnung kommt nur in gesetzlich ausdrücklich geregelten Ausnahmefällen in Betracht.
Entsprechendes gilt bei privaten Pflege-Versicherungen: Werden vergleichbare Leistungen nach den Vorgaben des SGB XI erbracht, kann die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 36 S. 2 EStG greifen – dann auch keine Anrechnung nach § 1 Bürgergeld-V.
Wird Verhinderungspflege als Einkommen angerechnet?
Die Leistung Verhinderungspflege (SGB XI) ist zweckbestimmt beim Pflegebedürftigen. Zahlungen an Ersatzpflegepersonen sind nur dann nicht anzurechnen, wenn sie steuerfrei sind (vgl. § 3 EStG Nr. 36) und damit unter § 1 Bürgergeld-V fallen.
Muss ich Verhinderungspflege dem Jobcenter melden?
Ja – alle relevanten Einnahmen/Vorteile offenlegen. Ob eine Anrechnung erfolgt, hängt von Steuerfreiheit und Zweckbestimmung ab (s. o.).
3. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu Einkommen, Hinzuverdienst und Berechnung des Bürgergelds:



Guni says
Ich beziehe Hartz 4, mein Ex Mann lebt mit in unserem Haus. Er hatte vor 4 Wochen einen leichten Schlaganfall.
Nun haben wir die Pflegestufe beantragt für ihn. Meine Frage ist, ob das Pflegegeld – würde es auf mein Konto gehen – bei mir angerechnet wird. Mein Ex-Mann hat kein Konto.
Er möchte auch, dass ich mich um alles kümmere.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Guni,
gemäß dem oben Ausgeführten darf das Pflegegeld nicht leistungsmindernd zum Ansatz gebracht werden.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Renate says
Wirklich ein toller Artikel!
Mich würde interessieren ob das Pflegegeld einer nicht staatlichen Quelle, wie eine große Versicherung, welches man durch Abschluss einer Pflegezusatzversicherung, beim Jobcenter auch angerechnet wird.
Damit meine ich, wenn man gleich zwei Stellen hat, von denen man Pflegegeld bekommt.
Sinn einer solchen Zusatzversicherung ist es ja, das nicht auszureichende staatliche Pflegegeld zu kompensieren. Wenn es aber angerechnet wird, lohnt sich eine solche Versicherung rein garnicht. Oder liege ich da falsch?
Ich glaube der Sinn dahinter scheint ja zu sein, dass wenn man pflegebedürftig wird, man meist auch einen Antrag auf Bürgergeld oder Sozialhilfe stellen muss, weil das Geld nicht reicht.
Das fände ich mal sehr interessant zu erfahren.
Liebe Grüße
Renate
Sandra says
genau das Problem ist bei mir der Fall. Wird voll eingerechnet. Hab aber auch von anderen gehört, dass es da nicht eingerechnet wird …
Daniel says
Vielen Dank für Ihre ausführlichen und hilfreichen Informationen.
Sind die Regelungen im SGB XII (Sozialhilfe oder Grundsicherung) ähnlich?
Gibt es für die Pflegeperson (Sozialhilfeemfänger) eine ausdrückliche Regelung?
Kann eine im Leistungsbezug stehende Person Pflegegeld ohne Anrechnung auf die Leistungen erhalten? Kann an die Pflegeperson (sittliche Pflicht) das Pflegegeld (oder Verhinderungspflege) ohne leistungsmindernde Anrechnung bei der Pflegeperson weitergegeben werden.
Welche rechtlichen Grundlagen gibt es?
Andreas says
Ich habe Pflegegrad 3, meine Ex Frau hat sich von mir getrennt.
Aber nach 13 Jahren Ehe und einem weiterhin vertrauensvollen Umgang miteinander, möchte ich das Sie mich unabhängig der getrennten Wohnungen weiterhin pflegt.
Sie bezieht nun leider Bürgergeld.
Wird es bei Ihr angerechnet wenn ich das Pflegegeld an Sie auszahle?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Andreas,
meine erste Einschätzung ist, dass „eigentlich“ das Einkommen bei der Ex-Frau (geschieden?) leistungsmindernd angerechnet werden müsste – aber dazu müsste ich noch genau recherchieren.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Val says
Hallo,
ich beziehe Bürgergeld und pflege mein Vater. Wir leben getrennt. Wenn mein Vater mir Pflegegeld auszahlt, wird das auf mein Bürgergeld angerechnet? … und wo kann man das in welchem Gesetzbuch nachlesen?
danke im voraus
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Val,
wenn Sie für die Pflege Geld erhalten, erzielen Sie Einkommen. Einkommen wird leistungsmindernd angerechnet, vgl. §§ 11 ff. SGB II.
Würde Ihr Vater Bürgergeld beziehen, so wäre dieses Einkommen aus dem Pflegegeld ausnahmsweise gemäß dem oben Ausgeführten nicht anzurechnen, weil Pflegegeld quasi wegen eines „Mehrbedarfes“ (dies ist juristisch nicht einwandfrei ausgedrückt) nicht leistungsmindernd angerechnet wird. Ihr Vater hat ja entsprechende Ausgaben.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Rowe says
pflege von angehörigen ist nicht anrechnungsfrei, bei getrennten Wohnungen?
Sandra says
hallo,
mein Sohn(14) hat Pflegegerad 2. Er bekommt von gesetzl. Pflegeversicherung Pflegegeld und Pflegetagegeld steuerfrei von einer großen Versicherung, wo ich eine Krankenzusatzversicherung mit Pflegeversicherung abgeschlossen habe.
Das private Pflegetagegeld würde nun auf Bürgergeld angerechnet.
Gibt es ein Gesetz, wo festgelegt ist, dass dieses Geld nicht beim Bürgergeld eingerechnet werden darf?
MfG
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Sandra,
meines Erachtens wird zusätzliches Einkommen aus einer privaten Versicherung auch als Einkommen angerechnet.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Meara says
Hallo!
Meine Tochter hat einen Pflegegrad und ich habe eine Dame kennengelernt, die die Verhinderungspflege übernehmen könnte.
Da sie Bürgergeld bezieht, stellt sich die Frage, ob bei stundenweiser, regelmäßiger Verhinderungspflege ca. 2-4h/Woche das von mir an sie ausgezahlte Pflegegeld auf ihren Anspruch auf Bürgergeld Auswirkungen hat.
Wir sind nicht verwandt und sie lebt nicht in meinem Haushalt.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Meara,
m. E gelten die allgemeinen Regeln: Einkommen ist leistungsmindernd abzusetzen. Es gelten allerdings Absetzbeträge:
Weiterführend:
So viel bleibt vom Zuverdienst beim Bürgergeld: 100-€-Pauschale, 20/30/10-%-Freibeträge, Fahrtkosten (0,20 €/Entfernungskm), Versicherungspauschale u. a. Mit Rechenbeispielen 2025 nach § 11b SGB II & Bürgergeld-V
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Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Meara says
Danke für die Antwort.
Das bedeutet bis 100 Euro monatlich wäre das für die Dame problemlos, richtig?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Marea,
so wie ich das sehe ja!
Grüße
Susi Gr. says
Ich soll einen Teil des Pflegegelds erhalten, für eine Person, die mir in den letzten Jahren oft geholfen hat. Wir fühlen uns persönlich verbunden. Wir wohnen getrennt. Reicht das aus, für den Begriff: Sittliche Pflicht? Wie viel Pflegegeld darf ich erhalten, ohne dass es mir vom Bürgergeld abgezogen wird? (Pflegestufe drei)
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Susi,
Danke für Ihre Anfrage. Leider wird die Rechtslage hier wahrscheinlich recht streng beurteilt:
Zahlungen aus dem Pflegegeld sind für die Pflegeperson nur dann steuerfrei (§ 3 Nr. 36 EStG) und damit im Bürgergeld nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wenn die Pflege durch Angehörige erfolgt oder eine sittliche Pflicht besteht.
Diese sittliche Pflicht wird von der Rechtsprechung sehr eng verstanden und setzt quasi-familiäre Bindungen voraus.
Eine Freundschaft, auch eine langjährige, genügt dafür nicht.
Daher wird das Jobcenter die Zahlungen bei Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit als Einkommen werten und auf das Bürgergeld anrechnen.
Ein kleiner Hinweis aus der Praxis:
Manchmal lohnt es sich dennoch, den Sachverhalt einfach einmal vorzulegen und zu sehen, wie das Jobcenter entscheidet. Mehr als „nein“ sagen kann es nicht.
Und ganz allgemein gilt: Behörden können nur das beurteilen, was ihnen bekannt wird – darauf verlassen sollte man sich allerdings keinesfalls.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Susi Gr. says
Ganz herzlichen Dank für ihre schnelle Antwort! Ich habe vergessen zu erzählen, dass wir seit vier Jahren verlobt sind. Ist dies ausreichend um als familiäre Bindung und sittlicher Verpflichtung gewertet zu werden? Dankbarer Gruß!