Eine Kostensenkungsaufforderung erhält, wer nach Auffassung des Jobcenters zu hohe Miete oder Heizkosten hat. Sie beruht auf § 22 SGB II und verpflichtet, innerhalb einer Frist die Kosten zu senken. Doch: Die Aufforderung selbst ist kein Verwaltungsakt – ein Widerspruch dagegen ist nicht möglich.
I. Grundlagen & Rechtsrahmen
Kosten der Unterkunft und Heizung werden nur in Höhe der angemessenen Aufwendungen übernommen. Übersteigen die tatsächlichen Kosten diese Grenzen, trifft Leistungsberechtigte eine Kostensenkungsobliegenheit. Grundlage ist § 22 Abs. 1 SGB II.
Vertiefend zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft:
Für den Lauf der sechsmonatigen Frist ist ebenfalls keine ausdrückliche, formelle Regelung (mehr) im Gesetz enthalten. Die Frist ist nur verzichtbar, wenn sich dem Berechtigten frei jeden vernünftigen Zweifels aufdrängen muss, dass die Kosten unangemessen hoch sind.
II. Karenzzeit beim Bürgergeld
Seit dem 1. Januar 2023 gilt eine Karenzzeit von einem Jahr. Während dieser Zeit übernimmt das Jobcenter die tatsächliche Miete, auch wenn sie unangemessen hoch ist. Erst nach Ablauf der Karenzzeit kann eine Kostensenkungsaufforderung wirksam werden.
III. Keine Anfechtung – kein Verwaltungsakt
Eine Kostensenkungsaufforderung ist ein Hinweisschreiben mit Aufklärungs- und Warnfunktion, kein Verwaltungsakt. Deshalb ist sie nicht isoliert anfechtbar (BSG, 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R; LSG NRW, 01.12.2012 – L 19 AS 1322/11).
IV. Anforderungen an die Aufforderung
Das Jobcenter muss die konkrete Angemessenheitsgrenze nennen – also den Betrag, den es künftig als Bruttokaltmiete anerkennt. Fehlt diese Angabe, ist die Kostensenkungsaufforderung unzureichend (BSG, 01.06.2010 – B 4 AS 78/09 R).
V. Rechtsschutzmöglichkeiten
Direkter Widerspruch ist ausgeschlossen. Rechtsschutz ist möglich, wenn:
- das Jobcenter nach Ablauf der Frist die Leistungen tatsächlich kürzt → dann Widerspruch/ Klage gegen den Bescheid,
- in besonderen Fällen eine Feststellungsklage oder ein einstweiliger Rechtsschutz geboten ist.
VI. Härtefälle & Modernisierung
Steigen die Kosten durch Modernisierung, kann eine Härte nach § 559 Abs. 4 BGB vorliegen. Gerichte haben betont, dass Grundsicherungsempfänger nicht durch Modernisierungskosten faktisch zum Umzug gezwungen werden dürfen (LG Berlin, 29.09.2021 – 64 S 111/20).
VII. Häufige Fragen (FAQ)
- Kann ich Widerspruch gegen die Kostensenkungsaufforderung einlegen?
Nein. Die Aufforderung ist kein Verwaltungsakt. Rechtsschutz gibt es erst gegen den Kürzungsbescheid. - Wie lange habe ich Zeit, meine Kosten zu senken?
Nach Ablauf der Karenzzeit meist sechs Monate. Innerhalb dieser Frist müssen Bemühungen um günstigeren Wohnraum dokumentiert werden. - Muss die Aufforderung einen konkreten Betrag nennen?
Ja. Ohne klare Angabe des angemessenen Mietpreises ist die Kostensenkungsaufforderung unzureichend.
VIII. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefend zu Unterkunftskosten und Angemessenheit:
- Angemessene Kosten der Unterkunft – § 22 SGB II / § 35 SGB XII
Leitfaden zu den angemessenen Kosten der Unterkunft (KdU): Wohnfläche, schlüssiges Konzept, WoGG-Fallback, BSG-Urteile & Praxis-Tipps.
... | mehr - Betriebskostennachzahlung & Guthaben im SGB II – Anspruch auf Kostenübernahme
Betriebskostennachzahlung und Guthaben im Bürgergeld: Wann muss das Jobcenter zahlen? Voraussetzungen, Ausnahmen & aktuelle BSG-Urteile im Überblick.
... | mehr - Remscheid: Angemessene KdU, „schlüssiges Konzept“ & Kostensenkung (Praxis & Urteil)
KdU in Remscheid rechtssicher durchsetzen: Angemessenheitsgrenzen, „schlüssiges Konzept“, WoGG-Fallback, Umgang mit Kostensenkungsaufforderungen – inkl. SG Düsseldorf (2019) & Checkliste
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Viktoriia says
Guten Tag.
Bitte erläutern Sie diesen Punkt: Während der einjährigen Wartezeit, die mit Einführung des Bürgergeldes neu geregelt wird, wird der Bedarf an Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Kosten anerkannt. Die Wartezeit verlängert sich um die Monate ohne Leistungsbezug, Absatz 1 Satz 4. Nach zwei Jahren ohne Leistungsbezug beginnt eine neue Wartezeit.“
Ich verstehe das nicht. Wenn jemand aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt zieht und zum Zeitpunkt des Umzugs hatte ich 11 Monate lang keine Leistungen erhalten (zuvor hatte ich sie anderthalb Jahre lang erhalten, dann habe ich eine Arbeit gefunden). Er hat keinen Anspruch mehr auf Übernahme der tatsächlichen Kosten, da noch keine 36 Monate vergangen sind? Wird diese Frist zurückgesetzt?
Habe ich das richtig verstanden:
„2. Zur Unterbrechung des Leistungsbezugs und zur Verlängerung der Wartezeit (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II):
BSG-Beschluss vom 24.06.2015 – B 4 AS 1/15 R
Kernbotschaft:
„Eine erneute Wartefrist ist zu gewähren, wenn nach einer Unterbrechung des Leistungsbezugs (zum Beispiel aufgrund einer Erwerbstätigkeit) erneut Leistungsbedarf besteht und ein Wohnortwechsel erfolgt.“
→ Begründung: Der Anspruch auf eine Wartefrist entsteht mit jedem neuen Hilfebedürftigkeitsfall neu. Bisherige Leistungen enden mit Wegfall der Hilfebedürftigkeit. Ein berufsbedingter Umzug löst eine neue 6-monatige Wartefrist aus.
Dieser Bescheid bestätigt, dass durch die Leistungsunterbrechung der bisherige Status aufgehoben wird und für einen Neuantrag neue Bedingungen gelten, darunter eine neue Wartezeit.“?
Vielen Dank für Ihre Antwort, beste Grüße
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Viktoriia,
schon den Beginn Ihre Anfrage vermag ich logisch nicht zu erfassen: ich kann dazu nur sagen, dass derjenige, der eine sehr teure Wohnung hat, weiterhin darin wohnen kann. Die Kosten der Unterkunft werden in voller Höhe zumindest ein Jahr ersetzt. Das ist doch prinzipiell eine gute Sache.
Wenn jemand in eine neue Stadt zieht und dort auch hohe Kosten der Unterkunft entstehen, soll noch einmal eine neue Frist gewährt werden, innerhalb derer hohe Unterkunftskosten im Fall der erneuten Bedürftigkeit ersetzt werden. Auch das finde ich gut.
Der Gesetgeber hat durch die Reformen zum Bürgergeld Druck von den Bedürftigen genommen, zu allem Unglück auch noch die Wohnung nicht mehr finanzieren zu können. Dennoch soll aber der Druck aufrecht erhalten werden, dass ein Bedürftiger grundsätzlich auf Dauer nicht besser stehen soll als ein nicht Bedürftiger. Er muss sich bei länger andauernder Bedürftigkeit eine angemessene Wohnung suchen (müssen). Das ist nicht schön. Aber so funktioniert die Gesellschaft.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt