Die Pressestelle des Bundessozialgerichts gab am 19. Mai 2015 die unten noch einmal abgedruckte Medieninformation zu einer Entscheidung des 14. Senats vom 19. August 2015 zur Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des Jobcenters Duisburg zur Beantragung einer vorzeigen Rente zur Durchsetzung der Verpflichtung der Leistungsberechtigten gemäß § 12 a Vorrangige Leistungen
Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 12 a Nr. 1 SGB II bekannt. Diesseits erscheint jedenfalls kritikwürdig, dass diejenigen, die sich überhaupt die Möglichkeit „verdient haben“, vorzeitig mit Abschlägen in Rente zu gehen, dafür scheinbar „bestraft“ werden dürfen.
Allerdings lautet der letzte Satz der Medieninformation sinngemäß, dass sich dem Senat in dem zu entscheidenden Fall Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung insbesondere deshalb nicht aufdrängten, da „die vorzeitige Altersrente trotz der Abschläge erheblich höher als der Arbeitslosengeld II-Bedarf des Klägers ist“.
Darüber hinaus soll die Gerichtssprecherin Nicola Behrend nach Presseberichten ausgeführt haben, dass Ausnahmen bei besonderen Härten für den Betroffenen anerkannt seien. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn in nächster Zukunft eine Altersrente abschlagsfrei in Anspruch genommen werden könnte. Darüber hinaus müssten die Jobcenter bei einer Ermessensentscheidung auch Einzelfallgesichtspunkte berücksichtigen, etwa ob der Verweis auf die vorgezogene Rente mit 63 Jahren unmittelbar dazu führe, dass ergänzend Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden müssten.
Diejenigen, die zuvor befürchten mussten, zum Rentenantrag aufgefordert zu werden um dann ggf. bis zum Beginn der Regelaltersrente noch nicht einmal Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 41 SGB XII, sondern lediglich Sozialhilfe zu erhalten, können also möglicherweise aufatmen.
Die Ausarbeitung der genauen Entscheidungsgründe muss offensichtlich noch abgewartet werden.
Kassel, den 19. August 2015
Medieninformation Nr. 20/15Vorzeitige Verrentung von SGB II-Leistungsbeziehern rechtmäßig
Der im März 1950 geborene Kläger bezog mit seiner Ehefrau als Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II vom beklagten Jobcenter. Er konnte in den letzten Jahren nicht mehr in Arbeit vermittelt werden.
Seine rentenrechtliche Situation stellt sich wie folgt dar: Mit Vollendung seines 63. Lebensjahres kann der Kläger eine vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen, die nach der gesetzlichen Regelung für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,3 % zu kürzen ist. Erst zum 1. August 2015 erfüllt er die Voraussetzungen für den Bezug einer abschlagsfreien Regelaltersrente. Diese beträgt nach einer Auskunft des Rentenversicherungsträgers vom 31. Mai 2011 monatlich 924,66 Euro.
Der Beklagte forderte den Kläger unter Hinweis auf dessen durch § 12a SGB II konkretisierte Selbsthilfeverpflichtung im September 2012 auf, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente beginnend ab Vollendung seines 63. Lebensjahres beim Rentenversicherungsträger Deutsche Rentenversicherung Rheinland zu stellen. Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos. Die Vorinstanzen hielten seine Aufforderung zur Antragstellung, die als Verwaltungsakt erfolgt sei, durch das Jobcenter für rechtmäßig.
Während des gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung laufenden Klageverfahrens hat das Jobcenter am 8. Juli 2013 unter Berufung auf § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II für den Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf vorzeitige Altersrente gestellt. Gegen den wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers erteilten ablehnenden Bescheid des Rentenversicherungsträgers hat das Jobcenter während des Revisionsverfahrens Widerspruch eingelegt.
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die Revision des Klägers am 19. August 2015 entschieden, dass die angefochtene Aufforderung zur Rentenantragstellung rechtmäßig ist. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür (§ 5 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit § 12 a SGB II) sind erfüllt. Danach kann der SGB II-Leistungsträger, kommt der Leistungsberechtigte seiner Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen eines anderen Trägers nicht nach, ihn zur Beantragung dieser Leistungen auffordern und bei unterbliebener Mitwirkung für den Leistungsberechtigten den Antrag stellen. Zu den vorrangigen Leistungen gehört grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente durch den Kläger ist erforderlich, weil dies zur Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt. Der Verpflichtung des Klägers steht die Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht entgegen, weil keiner der in der Unbilligkeitsverordnung abschließend geregelten Ausnahmetatbestände eingreift. Im Rahmen seiner Ermessensausübung hinsichtlich des Ob einer Aufforderung zur Antragstellung hat sich der Beklagte mit den vom Kläger gegen eine vorzeitige Renteninanspruchnahme vorgebrachten Argumenten auseinander gesetzt und andere Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Regelfall der vorzeitigen Inanspruchnahme nicht erkennen können. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Sie drängen sich auch für den Senat nicht auf, zumal die vorzeitige Altersrente trotz der Abschläge erheblich höher als der Arbeitslosengeld II-Bedarf des Klägers ist, weshalb er durch deren Bezug nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB XII würde.
Az.: B 14 AS 1/15 R K. ./. Jobcenter Duisburg
Im Ergebnis schränkt § 12a S. 2 Nr. 1 SGB II also die Pflicht bezogen auf die Altersrente ein: bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet, eine geminderte Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Verpflichtung besteht, eine Altersrente auch vor Vollendung des 63.Lebensjahres dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie ungemindert ist und mit Vollendung des 63. Lebensjahres auch eine vorzeitige, d. h. mit Abschlägen geminderte Rente in Anspruch zu nehmen.
schjoschi says
Eine vorzeitige Verrentung von SGB II-Leistungsbeziehern halte ich nicht nur vor dem Hintergrund des GG, sondern auch aus anderen Gründen insgesamt für bedenklich.
So hatte ich vor kurzem z.B. ein Schreiben von meinem JC erhalten, worin es sich auf § 428 des SGB III berufen hatte (Grundsicherung f. Arbeitssuchende). Darin wurde aber interessanterweise der Abs. 3 außer Acht gelassen. Da ich nämlich schwerbehindert bin, und Anspruch auf Leistungen nach dem SGB IX habe. Dies bedeutet nach meinem Verständnis, dass das JC von Anfang an bereits schon – nachweislich – mit seiner Vorgehensweise (Maßnahmen ohne Hinzuziehung/Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt) gegen seine eigenen Vorschriften verstoßen hatte. Konkret § 1 Abs. 2 Satz 5 SGB II.
Was nun tun?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo schjoschi,
so ganz verstehe ich die Fragestellung nicht.
Gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 Nr. 5 SGB sind Leistungen des Jobcenters insbesondere darauf auszurichten, dass behindertenspezifische Nachteile überwunden werden.
§ 428 Abs. 3 SGB III beschäftigt sich mit einer Teilrente wegen Alters oder eine ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art.
Inwiefern sind Sie betroffen bzw. inwiefern stellt sich das Schreiben des Jobcenters als Verstoß „gegen eigene Vorschriften“ dar?
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt