Einen Leistungsträger kann eine Schadenersatzpflicht gemäß § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. …
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(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 839 BGB wegen der Verletzung einer Beratungspflicht gemäß § 14 Beratung
Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 14 S. 1 SGB I treffen, wenn ein dringender Beratungsbedarf erkennbar ist.
Der Bundesgerichtshof führt zu der Amtspflichtverletzung eines Sozialamtes – Nicht- oder Schlechtberatung bei erkennbarem rentenrechtlichen Beratungsbedarf – in einem Urteil vom 2. August 2018 unter dem gerichtlichen www.juris.bundesgerichtshof.deAktenzeichen III ZR 466/16 aus (Rdnrn. 13 und 15):
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[13] Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen Auskünfte, die ein Beamter erteilt, dem Stand seiner Erkenntnismöglichkeit entsprechend, sachgerecht, d. h. vollständig, richtig und unmissverständlich, sein, sodass der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann. Wenn Rechts- und Fachkenntnisse über den Gegenstand der Auskunft beim Empfänger nicht vorausgesetzt werden können, muss die Auskunft nach Form und Inhalt so klar und eindeutig sein, dass Missverständnisse und Zweifel, wie sie bei unerfahrenen Personen leicht entstehen können, möglichst ausgeschlossen sind. Diese Amtspflicht besteht gegenüber jedem Dritten, in dessen Interesse oder auf dessen Antrag die Auskunft erteilt wird (…).
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[15] Besondere Beratung und Betreuungspflichten bestehen im Sozialrecht für die Sozialleistungsträger (vergleiche § 2 Abs. 2 Halbsatz 2, §§ 14,15 und 17 Abs. 1 SGB I). Denn eine umfassende Beratung des Versicherten ist die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems. Im Vordergrund steht dabei nicht nur die Beantwortung von Fragen oder bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung des Versicherten, d. h. die aufmerksame Prüfung durch den Sachbearbeiter, ob Anlass besteht, den Versicherten auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit seinem Anliegen verbinden; denn schon gezielte Fragen setzen Sachkunde voraus, über die der Versicherte oft nicht verfügt (…). …
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Der BGH geht in dem in Rede stehenden Fall davon aus, dass das Sozialamt gegenüber einem Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung verpflichtet ist, den Leistungsempfänger auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, eine Rente zu beantragen. Der Leistungsempfänger hatte einen Rentenantrag im Hinblick auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente nicht gestellt. Die deutsche Rentenversicherung stellte schließlich fest, dass der Leistungsempfänger bereits einige Jahre lang die Rente hätte bekommen können. Die deutsche Rentenversicherung lehnte aber mit Hinweis auf die rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften zur Antragstellung gemäß § 99 SGB VI („ohne Antrag keine Rente“) eine rückwirkende Auszahlung der Rente ab. Dem Leistungsempfänger war so durch die nicht und/oder schlecht erfolgte Beratung des Sozialamtes ein Schaden in Höhe von ca. 50.000 € entstanden.
Ein Amtshaftungsanspruch ist gemäß § 839 Abs. 1 S. 2 BGB nur dann begründet, wenn der Geschädigte „auf andere Weise keinen Ersatz zu erlangen vermag“.
Ein Ersatz des entstandenen Schadens „auf andere Weise“ im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB kam in dem vom BGH beurteilten Fall jedenfalls im Hinblick auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht in Betracht (siehe oben Urteil des BGH, Rdnr. 28), da die Deutsche Rentenversicherung wegen § 99 SGB I die Rente nicht rückwirkend über vier Jahre hinaus bewilligen durfte – der Schaden konnte also nicht durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln beseitigt werden.
Grundsätzlich hielt es der BGH aber für möglich, dass der Leistungsempfänger gegenüber dem Sozialamt Ansprüche in Höhe von 50.000 € geltend machen kann. Jedoch verwies der BGH die Angelegenheit an das Berufungsgericht zurück, weil dieses noch weitere Entscheidungen zu treffen habe.
Zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auch den folgenden Beitrag:
Im Ergebnis kann über den Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB ein Schadenersatzanspruch gegenüber der eine Beratungspflicht verletzenden Behörde geltend gemacht werden, wenn die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht vorliegen.
Ob die Ausführungen des BGH allerdings tatsächlich einen Amtshaftungsanspruch in der hier in Rede stehenden Höhe von 50.000 € entstehen lassen, erscheint eher fragwürdig. Zielrichtung der Entscheidung liegt möglicherweise darin, den Behörden – hier: dem Sozialamt (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) – dringlich vor Augen zu führen, dass sie einen Kunden ordnungsgemäß beraten sollen. Nicht zuletzt dürfte allerdings auch dem Sozialamt bzw. dem hinter stehenden Kreis bzw. der Stadt durch die fehlerhafte Beratung ein erheblicher Schaden entstanden sein: jahrelang erfolgte Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hätten vermieden werden können.
Ob die Ausführungen des BGH z. B. auf ein Jobcenter (eine weitere „Grundsicherungsbehörde“) übertragen werden können, ist ebenfalls eher zweifelhaft. Schließlich sind die „Grundsicherungsbehörden“, die für die Leistungen im Alter und bei Erwerbsminderung zuständig sind, viel näher am Thema „Rente“.
Festzuhalten ist allerdings, dass die Verletzung einer Beratungspflicht gemäß § 14 SGB I durch einen Grundsicherungsträger grundsätzlich geeignet ist, einen Amtshaftungsanspruch zu begründen.
Fragesteller says
Sehr geehrter Herr Nippel,
Unter der Annahme, dass der Kläger vor dem Beratungsfehler wegen seiner Bedürftigkeit eine Grundsicherung im Alter erhalten hat, bzw. die Bedarfsgemeinschaft ggf. ALG II bezogen hat, gehe ich davon aus, dass die Anrechnungsregelungen wie bspw. § 82 SGB XII greifen. Macht ein Kläger jetzt Ansprüche wie im oben genannten Sachverhalt geltend, ist, so vermute ich, der Schaden auf den tatsächlichen finanziellen Nachteil beschränkt.
1. Kann Wohngeld, als andere Sozialleistung, die anstelle einer Grundsicherung hätte gezahlt werden können, sich positiv auf die Schadenssumme auswirken, sodass der Schaden in der Differenz zwischen bspw. ALG und Rente wg. EU + Wohngeld, obwohl zu keinem Zeitpunkt ein Antrag auf Wohngeld gestellt worden ist?
2. Welche Partei muss in einem Verfahren diese tatsächliche Verrechnung belegen? Angenommen der Beratungsfehler erfolgte erstmals 2006 und ist vor Gericht nicht streitig. Muss die Klägerpartei beweisen, dass Sie keine solchen Leistungen bezogen hat, oder muss die Beklagte beweisen, in welchen Zeiträumen Leistungen bezogen wurden, sodass sich wegen der weit zurückliegenden Sozialdaten, die nicht mehr vorliegen, Beweisschwierigkeiten ergeben, die wem zugute fallen? Wie weit ist hier das Ermessen des Richters eine Beweislast umzukehren?
3. Inwieweit kann die Klägerpartei geltend machen, dass die Beklagte bestimmte Sozialdaten als Beweis nicht in das Zivilverfahren einbringen darf, wenn Sie nach möglichen gesetzlichen Regelungen diese Daten bereits hätte löschen müssen? Welche Rolle spielt dabei ggf. eine besonders überlange und rechtswidrige Speicherung von Daten?
Vielen Dank!
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Fragesteller,
1. Was ist mit „positiv auf die Schadenssumme auswirken“ gemeint? Der Bezug von Wohngeld sollte höher ausfallen als der bloße Bezug von Leistungen zur Grundsicherung. Dann könnte auch ein Schaden höher sein, wenn im Ergebnis keine Leistungen gewährt wurden (aber ein Anspruch auf Leistungen bestand und eine entsprechende Aufklärungspflicht bestand).
2. Meines Erachtens muss der Kläger die für ihn günstigen Umstände darlegen und beweisen. Dies dürfte jedenfalls bei substantiiertem Bestreiten durch die Behörde gelten. Dann müsste der Kläger wohl darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe ein Schaden entstanden ist.
3. Die Löschung von Sozialdaten in der Datenverarbeitung (sowohl digital als auch in Papierform) ist „ein weites Feld“. Ob allerdings ein Anspruch auf Löschung besteht, wenn aus den Daten eine ungeklärte Sachlage „klärbar“ wäre, vermag ich nicht zu beurteilen. Möglicherweise greift § 84 Abs. 1 und 2 SGB X:
Mit freundlichen