Kurz erklärt: Die Begriffe Schwerbehinderung, Erwerbsminderung und Arbeitsunfähigkeit stammen aus unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern und erfüllen verschiedene Zwecke:
- Schwerbehinderung (§§ 2, 152 SGB IX): GdB ≥ 50, Grundlage für Nachteilsausgleiche.
- Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI): Leistungsfähigkeit < 6 Stunden täglich, Voraussetzung für die Erwerbsminderungsrente.
- Arbeitsunfähigkeit (§ 44 SGB V): krankheitsbedingte Unfähigkeit, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auszuüben, Voraussetzung für Krankengeld.
Wichtig: Die Begriffe überschneiden sich nicht automatisch.
1. Schwerbehinderung (SGB IX)
Die Schwerbehinderung wird nach § 2 SGB IX und § 152 SGB IX festgestellt.
Menschen gelten als schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 vorliegt. Grundlage sind die Versorgungsmedizinischen Grundsätze.
- Feststellung durch die zuständige Behörde (Versorgungsamt), § 152 SGB IX.
- Rechtsfolgen: z. B. besonderer Kündigungsschutz, Zusatzurlaub, steuerliche Vergünstigungen.
- Ein GdB betrifft die körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionsbeeinträchtigungen, aber nicht die Arbeitsmarktfähigkeit.
Ein GdB ≥ 50 bedeutet nicht automatisch, dass eine Erwerbsminderung oder Arbeitsunfähigkeit besteht.
2. Erwerbsminderung (SGB VI)
Die Erwerbsminderung wird nach § 43 SGB VI bestimmt. Maßgeblich ist die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – nicht die letzte Tätigkeit.
- Volle Erwerbsminderung: Leistungsfähigkeit unter 3 Stunden täglich.
- Teilweise Erwerbsminderung: Leistungsfähigkeit zwischen 3 und unter 6 Stunden.
- Die Beurteilung erfolgt auf Grundlage medizinischer Befunde und arbeitsmarktneutral.
- Eine Schwerbehinderung kann begleitend vorliegen – muss aber nicht.
Für die Rente wegen Erwerbsminderung ist entscheidend, wieviel Stunden am Tag noch gearbeitet werden kann – nicht, ob ein GdB besteht.
3. Arbeitsunfähigkeit (SGB V)
Arbeitsunfähigkeit (AU) betrifft allein die Fähigkeit, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit weiterhin auszuüben.
Rechtsgrundlage ist § 44 SGB V (Krankengeld), systematisch ergänzt durch die AU-Richtlinie.
- AU liegt vor, wenn die Tätigkeit wegen Krankheit nicht möglich ist oder der Krankheitszustand sich verschlimmern würde.
- Maßstab ist der letzte Arbeitsplatz – nicht der allgemeine Arbeitsmarkt.
- AU ist zeitlich begrenzt und wird durch ärztliche Feststellung gesichert.
Eine Person kann voll erwerbsfähig sein (6 Stunden +), aber vorübergehend arbeitsunfähig sein. Umgekehrt kann jemand dauerhaft erwerbsgemindert sein, aber aktuell nicht arbeitsunfähig.
4. Abgrenzung & typische Irrtümer
- GdB vs. Erwerbsminderung: Ein hoher GdB führt nicht automatisch zur Erwerbsminderungsrente.
- Erwerbsminderung vs. Arbeitsunfähigkeit: AU ist kurzfristig und tätigkeitsbezogen; EM ist langfristig und arbeitsmarktbezogen.
- Schwerbehinderung vs. AU: Viele schwerbehinderte Menschen arbeiten vollzeit ohne Einschränkungen.
· Erwerbsminderung = Leistungsfähigkeit (3/6-Stunden-Regel)
· Arbeitsunfähigkeit = keine Tätigkeit im bisherigen Job möglich
5. Häufige Fragen
Bekomme ich automatisch eine Erwerbsminderungsrente, wenn ich einen GdB von 50 habe?
Nein. Die Feststellung des GdB sagt nichts darüber aus, wie viele Stunden täglich gearbeitet werden kann.
Kann ich trotz voller Erwerbsminderung schwerbehindert sein?
Ja. Beide Systeme sind unabhängig voneinander.
Ist Arbeitsunfähigkeit das Gleiche wie Erwerbsminderung?
Nein. AU ist kurzfristig und tätigkeitsbezogen; EM betrifft die dauerhafte Leistungsfähigkeit unter 6 bzw. 3 Stunden.
Wie spielt die Arbeitsunfähigkeit bei der EM-Rente eine Rolle?
AU kann Hinweise geben, aber entscheidend für die EM-Rente ist die tägliche Leistungsfähigkeit, nicht die AU-Bescheinigung.
6. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefend zu Schwerbehinderung, GdB-Bewertung, EM-Rente und Krankengeld:



hugo says
hallo habe folgendes Problem:
Erwerbsminderungsrente abgelehnt wegen Fehlzeiten, bin im Jan. 2010 schwer erkrankt (mir wurde die Galle, Milz und Bauspeicheldrüse entfernt und bin jetzt auch noch Diabetiker), habe die letzten Jahre nur geringfügige Arbeiten gemacht, so dass ich die letzten 5 Jahre nur auf 21 Monate komme – habe jetzt Klage beim Sozialgericht eingereicht so wie es aussieht, wird diese wieder abgelehnt – habe bis jetzt 423 Monate eingezahlt, habe zurzeit 50 GdB (neuer Antrag wurde gestellt) – was kann man dagegen tun? Kann weniger als 2 stunden arbeiten … welche Firma nimmt einen noch … bekomme auch kein Krankengeld … müssen von der Rente meiner frau leben und das ist nicht viel
MIT FREUNDLICHEM GRUSS HUGO
Rechtsanwalt S. ippel says
Hallo Hugo,
§ 50 SGB VI regelt die Wartezeit:
§ 50 Wartezeiten
(1) Die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf
1. Regelaltersrente,
2. Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und
3. Rente wegen Todes.
Die allgemeine Wartezeit gilt als erfüllt für einen Anspruch auf
1. Regelaltersrente, wenn der Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente bezogen hat,
2. Hinterbliebenenrente, wenn der verstorbene Versicherte bis zum Tod eine Rente bezogen hat.
(2) Die Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung an Versicherte, die die allgemeine Wartezeit vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung nicht erfüllt haben.
(3) Die Erfüllung der Wartezeit von 25 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf
1. Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute und
2. Rente für Bergleute vom 50. Lebensjahr an.
(4) Die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf
1. Altersrente für langjährig Versicherte und
2. Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Sind die Voraussetzungen bei Ihnen tatsächlich nicht erfüllt (bei 423 Monaten)???
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Nikolaos,
wenn Sie schon vor dem Gericht sind, sollten Sie dies mit Ihrem Anwalt besprechen – es scheint ja schon Einiges geschehen zu sein, was sich hier nicht darstellen lässt.
Grüße
Sönke Nippel
Peter Zeller says
Ich bekommebefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Könnte man sagen das ich für diese zeit Arbeitsunfähig bin oder oder sehe ich das falsch?
MfG. Peter Zeller
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Zeller,
jedenfalls besagt die Feststellung der vollen Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass Sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Grüße
Sönke Nippel
Mandäla Franc says
Mein Rentenberater hat anstelle einer Erwerbsminderungs-Rente, einen Antarg auf Schwerbehinderungsrente gestellt!
Wie kann ich es korrigieren lassen? Es war falsche Beratung..
Danke
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo,
warum stellen Sie jetzt nicht einfach den erforderlichen Antrag hinsichtlich der Rente?
Grüße
Horst Winter says
Sehr geehrter Herr Nippel,
ich möchte anfragen, ob der folgende Text korrekt ist oder welche Gesetzesalternative sich für den Tatbestand anbietet.
Anrechnungszeiten-Tatbestände, wie in meinem Fall, Zeiten ohne Leistungsbezug vor Beginn der vollen Erwerbsminderung aufgrund von krankheitsbedingter Wohnungslosigkeit, die gleichwohl keine Anrechnungszeiten nach § 58 SGB VI sind, weil sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht unterbrechen, kommen nach § 43 Abs. 4 Nr. 3 als Verlängerungstatbestand in Betracht.
Vielen Dank.
Mit freundlichem Gruß
H. Winter
Oliver Däubler says
Hallo,
ich bin seit 1999 100% schwerbehindert und erhalte seit einigen Jahren volle Erwerbsminderungsrente 371,99€ + ergänzende Sozialhilfe und Mehrbedarf ca.110,90 €!
Nun meine Frage: Nach allen Abzügen (Strom, Telefon usw.) bleiben mir ca. 230 € zum Leben! Bin ich nun bedürftig bzw. stehen mir noch andere Zahlungen zu (Unterhalt) oder ähnliches ?!?
Bürger says
Als Empfänger von voller Erwerbsminderungsrente, haben sie meiner Ansicht nach Anspruch auf Grundsicherung (etwa 800 € pro Monat).
Resi says
Ich bekomme für 3 Jahre volle Erwerbsminderungsrente. Sollte ich nicht wenigstens für diese Zeit einen Behindertenausweis bekommen?
Freue mich auf eine Antwort!