Hat ein Leistungsempfänger beim Jobcenter keinen Folgeantrag gestellt, kann ihm dennoch ein Leistungsanspruch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zur Seite stehen. Insoweit bedarf es einer Pflichtverletzung des Leistungsträgers, die zum Beispiel vorliegen kann, wenn es der Leistungsträger pflichtwidrig unterlassen hat, den Leistungsberechtigten zeitnah vor dem Ende des vorhergehenden Bewilligungszeitraums auf die Notwendigkeit der erneuten Beantragung von Leistungen hinzuweisen.
Die Nebenpflicht des Leistungsträgers zum Hinweis kann sich aus dem Sozialrechtsverhältnis allgemein und dem Hinzutreten besonderer Umstände ergeben. Der Antrag muss auch nicht zwingend schriftlich erfolgen, auch eine (fern-) mündliche Antragstellung ist möglich. Nach § 16 Antragstellung
(1) Anträge auf Sozialleistungen sind beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Sie werden…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 16 SGB I gilt grundsätzlich, dass die Leistungsträger verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anfrage gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Der Leistungsträger muss selbst die Unterlagen bzw. Angaben einholen, die für die Entscheidung über die Leistungsbewilligung erforderlich sind.
Das Bundessozialgericht hat zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in einem www.sozialgerichtsbarkeit.deUrteil vom 18. Januar 2011 unter dem gerichtlichen Aktenzeichen B 4 AS 29/10 R eine Pflichtverletzung des Leistungsträgers festgestellt, wenn der Leistungsträger auf das Erfordernis eines Folgeantrages für den dritten Bewilligungsabschnitt nicht aufmerksam gemacht hat:
Das Jobcenter versäumt eine ihm obliegende Aufklärungspflicht, wenn es – nachdem es nach Ablauf des ersten Bewilligungszeitraums Alg II ohne einen Fortzahlungsantrag weitergezahlt hat – für den dritten Bewilligungsabschnitt nicht auf das Erfordernis eines Fortzahlungsantrages für die weitere Leistungsgewährung hinweist.
Weiter führt das Gericht aus:
[13] Der Beklagte hat es vorliegend pflichtwidrig unterlassen, den Kläger über die Erforderlichkeit eines Antrags auf Fortzahlung von AlG II in zeitlichem Zusammenhang mit dem Ende des letzten Bewilligungszeitraums hinzuweisen. Anders als vom LSG zugrunde gelegt, erschöpft sich die Beratungspflicht des Beklagten im konkreten Fall nicht in einer Bitte, bei Fortbestehen der Hilfebedürftigkeit rechtzeitig einen Antrag auf Weiterzahlung zu stellen. Aus dem Sozialrechtsverhältnis zwischen dem Grundsicherungsträger und dem Hilfebedürftigen folgt vielmehr die Verpflichtung – wie sie auch in den Fachlichen Hinweisen der BA unter Ziffer 37.11a ihren Niederschlag gefunden hat -, den Leistungsempfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vor dem Ende des letzten Bewilligungszeitraums darauf aufmerksam zu machen, dass eine Fortzahlung der Leistungen von einer Antragstellung abhängig ist und erst der Antrag die Leistungsgewährung auslöst, wenn das Antragserfordernis für den Leistungsempfänger nicht offensichtlich sein muss. So liegt der Fall hier.
[14] Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind §§ 14 Grundsatz des Förderns
(1) Die Träger der Leistungen nach diesem Buch unterstützen erwerbsfähige Leistungsberechtigte…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 14 SGB II, § 15 Eingliederungsvereinbarung
(1) Die Agentur für Arbeit soll unverzüglich zusammen mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 SGB II. Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw. des Sozialleistungsträgers besteht zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Leistungsberechtigten (vgl. BSG Urteil vom 17.8.2000 – B 13 RJ 87/98 R; BSG Urteil vom 14.11.2002 – B 13 RJ 39/01 R, SozR 3-2600 § 115 Nr. 9). Ausnahmsweise besteht nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Leistungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung in einem Sozialrechtsverhältnis dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter/Leistungsberechtigter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (BSG Urteil vom 8.2.2007 – B 7a AL 22/06 R; stRspr. des BSG; vgl. BSG Urteil vom 27.7.2004 – B 7 SF 1/03 R, SozR 4-1200 § 14 Nr. 5 mit Anm. Münder, SGb 2005, 239; BSG Urteil vom 10.12.2003 – B 9 VJ 2/02 R, BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr. 1; BSG Urteil vom 14.11.2002 – B 13 RJ 39/01 R, SozR 3-2600 § 115 Nr. 9 mit Anm. Köhler, SGb 2003, 407; BSG Urteil vom 5.4.2000 – B 5 RJ 50/98 R, SozR 3-1200 § 14 Nr. 29 mit Anm. Hase, SGb 2001, 593; BSG Urteil vom 5.8.1999 – B 7 AL 38/98 R, SozR 3-4100 § 110 Nr. 2; BSG Urteil vom 26.10.1994 – 11 RAr 5/94, SozR 3-1200 § 14 Nr. 16; BSG Urteil vom 6.5.1992 – 12 RK 45/91, SozR 3-1200 § 14 Nr. 6 S 13; BSG Urteil vom 22.10.1998 – B 5 RJ 56/97 R – SGb 1999, 26). Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (BSG Urteil vom 26.10.1994 – 11 RAr 5/94, SozR 3-1200 § 14 Nr. 16). Eine derartige Situation liegt hier vor.
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