Unter Heilungsbewährung ist im Schwerbehindertenrecht die beschleunigte und pauschale Anerkennung eines pauschalierten Grades der Behinderung (GdB) nach schwerer Erkrankung für einen bestimmten Zeitraum zu verstehen.
1. Was beinhaltet die Heilungsbewährung?
Bei der Heilungsbewährung im Schwerbehindertenrecht handelt es sich um ein sozialrechtliches Institut, welches nach Maßgabe der Versorgungsmedizinischen Grundsätze Folgendes beinhaltet:
Im Rahmen bestimmter Erkrankungen, wie zum Beispiel bösartiger Tumorerkrankungen, ist nach der Tumorentfernung für eine bestimmte Zeit pauschal ein höherer GdB anzunehmen, als in der Regel aufgrund der konkreten Funktionsbeeinträchtigungen gerechtfertigt wäre. Was bedeutet Heilungsbewährung in diesem Kontext? Es ist die Zeitspanne, in der die Wiederherstellung der Gesundheit abgewartet wird, bevor der GdB neu bewertet wird. So wird sichergestellt, dass Ihre Schwerbehinderung angemessen anerkannt und unterstützt wird, während Sie sich erholen.
2. Wann kann der GdB herabgesetzt werden?
Gemäß § 48 SGB X kann ein – von Anfang an rechtmäßiger – Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit der Festsetzung eines GdB im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Nach rückfallfreiem Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung tritt eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X ein. Dann kann nach medizinischer Erfahrung regelmäßig z. B. eine Krebserkrankung überwunden sein. Dann kann der GdB herabgesetzt bzw. entsprechend angepasst werden.
Vor einer Aufhebung sollte der Betroffene angehört werden, § 24 SGB X.
Der Aufhebungsbescheid kann mit Widerspruch angefochten werden.
3. Wo wird der Begriff der Heilungsbewährung bestimmt?
Die Heilungsbewährung im Schwerbehindertenrecht findet ihre gesetzliche Grundlage im Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere im Neunten Buch (SGB IX), welches die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen regelt.
Der Begriff der Heilungsbewährung wird am Anfang der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (zu A. Allgemeine Grundsätze, 2. h), und 7 b) definiert:
Teil A. Allgemeine Grundsätze
…
2. Grad der Schädigungsfolgen (GdS), Grad der Behinderung (GdB)
…
h) Gesundheitsstörungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, sind beim GdS nicht zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit des Abwartens einer Heilungsbewährung stellt eine andere Situation dar; während der Zeit dieser Heilungsbewährung ist ein höherer GdS gerechtfertigt, als er sich aus dem festgestellten Schaden ergibt.
…
7. Wesentliche Änderung der Verhältnisse
…
b) Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist auch bei gleichbleibenden Symptomen eine Neubewertung des GdS zulässig, weil der Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt.
…
Unter B. (GdS-Tabelle) heißt es dann weiter:
Teil B. GdS-Tabelle
1. Allgemeine Hinweise zur GdS-Tabelle
…
c) Eine Heilungsbewährung ist abzuwarten nach Transplantationen innerer Organe und nach der Behandlung von Krankheiten, bei denen dies in der Tabelle vorgegeben ist. …
…
2. Kopf und Gesicht
…
3. Nervensystem und Psyche
…
…
In der Folge beschreibt dann die GdS-Tabelle unter B. bei den einzelnen Körperteilen und Leiden im Einzelnen, in welchem Umfang eine Heilungsbewährung in Betracht kommt.
Darüber hinaus könnte sich die Frage stellen, ob eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vorliegt, wenn der Betroffene ein Alter erreicht hat, in dem die bei ihm vorliegende Funktionsbeeinträchtigung nicht mehr von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Eine derartige Entscheidung einer Behörde oder eines Gerichts zur Anpassung des GdB ist allerdings hier nicht bekannt. Eine entsprechende Entscheidung dürfte auch praktisch kaum begründbar sein, weil kaum empirische Daten dafür vorliegen dürften, wann welche Funktionsbeeinträchtigung in welchem Alter typischerweise auftritt und zu welchen Ergebnissen führt.
4. Wie lange dauert die Heilungsbewährung?
Die Dauer der Heilungsbewährung beträgt regelmäßig 5 Jahre.
Zum Teil sind aber auch kürzere Zeiträume von 2 bis 3 Jahren in der VersMedV ausdrücklich geregelt.
– Beginn der Heilungsbewährung
Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Heilungsbewährung ist gemäß Teil B Ziffer 1 c) der Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann:
…
Teil B. Allgemeine Hinweise zur GdS-Tabelle
…
c) … Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Heilungsbewährung ist gemäß Teil B Ziffer 1 c) der Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann;
– Transplantationen
Bei Transplantationen gelten verschiedene Bewährungszeiten – abhängig von den jeweiligen „abstrakten“ Erfolgsaussichten des Eingriffs.
So beträgt z. B. die Heilungsbewährung für eine Herztransplantation und die Lebertransplantation 2 Jahre (Teil B 9.1.4 und 10.3.4 VersMedV), während für die Knochenmark- und Stammzellentransplantation eine Heilungsbewährung von 3 Jahren gilt (Teil B 16.8 VersMedV).
– Krebserkrankungen
Bei Krebserkrankungen beträgt die Heilungsbewährung in der Regel fünf Jahre.
Die VersMedV sieht auch hier für einzelne Erkrankungen kürzere Bewährungszeiten vor.
Die Verordnung lässt aber diesbezügliche Einzelfallentscheidungen in Bezug auf einen individuellen Zeitraum nicht vor (vgl. dazu LSG Bayern, Beschl. 28.04.2016 – L 3 SB 20/16):
- Auch eine insgesamt ungünstige Prognose einer bösartigen Erkrankung kann regelmäßig nicht zu einer Verlängerung der Heilungsbewährungszeit führen.
- Bei Krebserkrankungen beträgt die Heilungsbewährung in der Regel fünf Jahre.
Der Wortlaut in der Regel betrifft hierbei die Abkürzung des Zeitraums bei bestimmten Erkrankungsbildern, nicht aber die Eröffnung der Möglichkeit einer jeweiligen Einzelfallentscheidung in Bezug auf eine Bestimmung des individuell angemessenen Zeitraums der Heilungsbewährung.
– andere Erkrankungen
Auch bei anderen Erkrankungen, z. B. Schizophrenen und affektive Psychosen, Abhängigkeiten, … nennt die VersMedV ausdrücklich Heilungsbewährungszeiten.
- LSG Bayern, Beschl. 28.04.2016 – L 3 SB 20/16:
Heilungsbewährung regelmäßig 5 Jahre; Verlängerung nur bei ausdrücklicher Regelung in der VersMedV,
nicht durch Prognose im Einzelfall. - BSG, 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R:
Wesentliche Erhöhung des GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung nur bei nachvollziehbarer funktioneller Mehrbelastung.
5. Welcher GdB gilt nach der Heilungsbewährung?
Wenn Sie sich mit dem Thema der Heilungsbewährung im Schwerbehindertenrecht befassen, ist es wichtig zu verstehen, dass nach Ablauf dieser Phase die „normalen Regeln“ wieder Anwendung finden. Die Heilungsbewährung ist ein Zeitraum, in dem beobachtet wird, ob eine Krankheit oder Behinderung tatsächlich überwunden wurde. Nach dieser Frist wird der Grad der Behinderung (GdB) erneut geprüft. Ist die Gesundheitsstörung nachweislich und dauerhaft ausgestanden, kann eine Anpassung des GdB erfolgen. Der GdB nach Heilungsbewährung wird entsprechend der aktuellen gesundheitlichen Situation festgesetzt. Wichtig ist, dass Sie alle relevanten medizinischen Nachweise bereithalten, um die Neubewertung Ihres GdB zu unterstützen.
6. Häufige Fragen
Wie lange dauert die Heilungsbewährung?
In der Regel 5 Jahre; bei einigen Krankheiten auch kürzer (z. B. 2 Jahre nach Herz- oder Lebertransplantation, 3 Jahre nach Stammzelltransplantation).
Wann beginnt die Heilungsbewährung?
Mit dem Zeitpunkt der erfolgreichen Primärtherapie (z. B. Tumoroperation oder Abschluss einer Erstbehandlung), nicht mit der Diagnose.
Was passiert nach Ablauf der Heilungsbewährung?
Der GdB wird neu bewertet. Ist die Erkrankung überwunden, kann eine Herabsetzung erfolgen (§ 48 SGB X).
Welche Krankheiten fallen typischerweise unter die Heilungsbewährung?
Vor allem Krebserkrankungen sowie Organtransplantationen (Herz, Leber, Knochenmark, Stammzellen). Auch einige psychische Erkrankungen (z. B. Schizophrenie) werden in der VersMedV mit Heilungsbewährungszeiten genannt.
Kann ich gegen eine Herabsetzung vorgehen?
Ja, mit Widerspruch innerhalb eines Monats (§ 84 Abs. 1 SGG); danach ggf. Klage beim Sozialgericht.
7. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefende Beiträge zu GdB, Heilungsbewährung und angrenzenden Themen:
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