Erstattungsansprüchen des Jobcenters (und auch anderer Leistungsträger) kann eine Beschränkung der Minderjährigenhaftung gemäß § 1629a Beschränkung der Minderjährigenhaftung
(1) Die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1629 a BGB entgegenstehen. Gemäß § 1629 a BGB haftet der „Volljähriggewordene“ für Verbindlichkeiten nur mit dem Vermögen, das zum Zeitpunkt seiner Volljährigkeit vorhanden ist.
1. Ist die Beschränkung der Minderjährigenhaftung auch beim Bürgergeld anwendbar?
§ 1629 a BGB ist auch im Rahmen der Rückforderung/Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II entsprechend anwendbar (vgl. www.sozialgerichtsbarkeit.deBundessozialgericht vom 7. Juli 2011, B 14 AS 153/10R):
[41] 1. Dem Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Revisionsklägerin gemäß § 50 Abs 1 S. 1 SGB X kann die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entgegenstehen.
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[45] 2. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann diese entsprechende Geltung der Haftungsbeschränkung gemäß § 1629 a BGB nicht erst im Verwaltungsvollstreckungsverfahren Anwendung finden. …
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[49] 3. Der Haftungsbeschränkung der Klägerin steht vorliegend nicht entgegen, dass die Haftungsbeschränkung nicht für Rechtsgeschäfte aus der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse gilt (§ 1629 a Abs 2 Alt 2 BGB). Denn diese Regelung zielt entsprechend dem Begriff „persönliche Bedürfnisse“ nicht auf das durch das SGB II abgedeckte Existenzminimum, sondern auf Kleingeschäfte des täglichen Lebens seitens des Minderjährigen oder größere altersgerechte Anschaffungen wie ein Fahrrad oder einen Computer ab.
Die durch das Minderjährigenhaftungsbegrenzungsgesetz 1998 in Kraft getretene Vorschrift begrenzt die Auswirkungen der Vertretungsmacht der Sorgeberechtigten in der Weise, dass ein Volljähriger für Verpflichtungen aus Geschäften, die während seiner Minderjährigkeit eingegangen wurden, nur mit dem beim Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögen haftet.
Der Volljährige kann die Haftung für von seinen Eltern verantwortete Verbindlichkeiten auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen beschränken, indem er die Einrede gemäß § 1629 a Abs. 1 S. 2 BGB erhebt, sich also auf die Haftungsbeschränkung für Minderjährige beruft.
Die Haftungsbeschränkung muss durch Einrede im Verfahren geltend gemacht werden. Wenn feststeht, dass zum Zeitpunkt der Volljährigkeit kein vollstreckbares Vermögen vorliegt, hat die Geltendmachung der Einrede Aussicht auf Erfolg.
2. Auf welchen Zeitpunkt ist für die Frage, in welcher Höhe Vermögen vorliegt, abzustellen?
In einer weiteren Entscheidung vom 28. November 2018 nahm das Bundessozialgericht zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines noch nicht bestandskräftigen Erstattungsbescheides im Hinblick auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629 a BGB Stellung (www.sozialgerichtsbarkeit.deB 4 AS 43/17 R):
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines noch nicht bestandskräftigen Erstattungsbescheides ist im Hinblick auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach dem BGB der Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit (vgl. z. B. Rdnr. 15 des Urteils). Trotz der Faustformel, dass es bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit einer angegriffenen Entscheidung bei Anfechtungsklagen auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt, bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Minderjährigenhaftung letztlich nach materiellem Recht und nicht nach der Klageart (Rdnrn. 16 f. des Urteils).
§ 40 Anwendung von Verfahrensvorschriften
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(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.
(10) …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 40 Abs. 9 SGB II nennt ab dem Inkrafttreten des Bürgergeld ausdrücklich die Beschränkung der Haftung gemäß § 1629 a BGB.
Es gilt ab dem 1. Januar 2023 ein Freibetrag in Höhe von 15.000 €.
Angela says
Ein 18-Jähriger ist im Juni 2020 bei seiner Mutter ausgezogen und bekommt im August 2020 eine Rückforderung vom Jobcenter. Das Jobcenter fordert für sechs Monate (Dez. 2019 bis einschließlich Mai 2020) die Kosten der Unterkunft anteilig von ihm zurück.
Die Person wurde am 12. März 2020 volljährig. Kann sich die Person auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung berufen? Für die Monate Dezember bis Februar müsste diese greifen. Was ist mit den Monaten März bis Mai? Zwar war er da schon volljährig, aber der Antrag wurde ja schließlich von seiner Mutter im Rahmen ihrer Vertretungsvollmacht vor dem 12. März 2020 gestellt.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Angela,
so richtig verstehe ich Ihre Fragestellung nicht. Gemäß § 1629 a BGB haftet der „Volljähriggewordene“ für Verbindlichkeiten nur mit dem Vermögen, das zum Zeitpunkt seiner Volljährigkeit vorhanden ist.
Das zum Zeitpunkt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen zählt – also das Vermögen, was am 12. März vorhanden war. Warum soll dieser Zeitpunkt vorverlegt werden? War die Vermögenslage bei Antragstellung von Dezember bis Februar grundlegend anders?
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Phillip says
Hallo,
ich habe einen Erstattungsanspruch des Jobcenters über Minderjährigskeitshaftung bei Volljährigkeit am 14.07.2022.
Die Forderung ist aus dem Jahre 2015 (da war ich 11 Jahre), wurde bei mir nie angemahnt, ist nicht nachvollziehbar also ohne Begründung und betrifft eigentlich den Sorgeberechtigten der damals Arbeitslos in einer Weiterbildungsmaßnahme war, der zur Zeit ohne Arbeit also ohne Einkommen ist. Da ich am Tag der Volljährigkeit Vermögenslos war und noch bin bis auf einen BSP- Vertrag in Höhe von zur Zeit 266,00 € Guthaben der aber nicht bedient wird und noch in der Ausbildung bin. Mein monatliches Schulgeld beträgt 170,00 € und ich habe Fahrtkosten in Höhe von monatlich 50,00 € die ich vom Kindergeld abdrücke. Trotz mehrmaligen Einspruch kommt jetzt die Forderung den Betrag in Höhe von 266,00 € zu überweisen also den BSP-Vertrag aufzulösen. Ernährt werde ich von den Großeltern.
Was läuft hier schief?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Phillip,
wenn Sie bei Erlass des Erstattungsbescheides noch nicht volljährig waren, ist der Erstattungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses zunächst rechtmäßig gewesen. Dies entspricht der § 1629a BGB zugrunde liegenden unbeschränkten Haftung des Minderjährigen bis zum Eintritt der Volljährigkeit (vgl. nur Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1629a BGB RdNr 8; kritisch hierzu K. Schmidt, Festschrift für Derleder, 2005, S 601, 607 entsprechend den Hinweisen in dem oben genannten Urteil des BSG, Rdnr. 47). Soweit aber bei Eintritt der Volljährigkeit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt, kommt die Haftungsbeschränkung zum Zuge. In diesem Fall besteht gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X ein Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides (s. o. BSG, Rdnr. 47).
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Also:
Antonia says
Hallo,
ich bin 21 Jahre und ich habe vom Inkasso Recklinghausen einen Vollstreckungsbescheid in Höhe von 444,47 € bekommen.
Zu diesem Zeitpunkt war ich aber 13 Jahre alt. Bin ich verpflichtet das zurückzuzahlen? Oder muss dass mein Elternteil zurückzahlen. Immerhin war ich minderjährig.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Antonia,
in einem Vollstreckungsbescheid werden doch eigentlich „zivilrechtliche“ Forderungen und keine „sozialrechtlichen“ Forderungen benannt. Das Jobcenter macht Forderungen jedenfalls nicht mit einem Vollstreckungsbescheid, sondern mit einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid geltend.
Gegenüber diesem Erstattungsbescheid sollte ggf. der Einwand der Beschränkung der Minderjährigenhaftung erhoben werden. Dies sollte möglichst innerhalb der Monatsfrist gemäß der Rechtsmittelbelehrung geschehen.
Wenn es allerdings tatsächlich um Forderungen aus einem Vollstreckungsbescheid gehen sollte, so sollten Sie erwägen, innerhalb der zweiwöchigen Frist Widerspruch zu erheben. Dies kann allerdings bei erfolglosem Widerspruch zu einer weiteren Kostenlast führen.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt