Rechtsanwalt und Sozialrecht

von Rechtsanwalt Sönke Nippel in Remscheid

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Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen des Jobcenters

9. Mai 2016, aktualisiert am 8. Dezember 2020 | 1 Kommentar

Schild Hartz IV gelb

§ 43 Aufrechnung
 
(1) Die Jobcenter können gegen Ansprüche von leistungsberechtigten Personen auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 43 Abs. 1 SGB II
regelt die Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen des Jobcenters. Die Höhe der Aufrechnung kann bis zu 30 % des Regelbedarfs betragen.

in diesem Beitrag:
1. Voraussetzungen2. Folgen3. Form4. Ermessensausübung5. Rechtsschutz

1. Voraussetzungen

§ 43 Abs. 1 SGB II sieht gegenüber den allgemeinen Aufrechnungsregelungen des § 51 Aufrechnung
 
(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 51 SGB I
für das Jobcenter erleichterte Voraussetzungen vor.

Es muss eine Aufrechnungslage bestehen. Zwei gleichartige Ansprüche müssen sich gegenüberstehen. Die Forderung des Jobcenters muss darüber hinaus fällig sein. Da Widerspruch und Klage gegen Erstattungs- und Ersatzansprüche aufschiebende Wirkung haben, kann eine Aufrechnung nicht erfolgen, wenn und soweit ein solcher Anspruch noch nicht bestandskräftig ist. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die sofortige Vollziehbarkeit nach § 86a aufschiebende Wirkung
 
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden…
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetautritt)
§ 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG
angeordnet ist. Es muss sich um eine Leistung des Jobcenters handeln. Die Gegenforderung muss sich auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehen. Es müsse sich um gegenseitige und gleichartige Ansprüche handeln (vgl. § 387 BGB). Zieht der Leistungsempfänger um und ist dann ein anderer Leistungsträger zuständig, so ist eine Aufrechnung nicht möglich. Dann kommt nur eine Verrechnung gemäß § 52 Verrechnung
 
Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche …
 
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§ 52 SGB I
in Frage.

2. Folgen

§ 43 Abs. 2 SGB II enthält schließlich Begrenzungen zur Höhe der Aufrechnung. Die Höhe hängt von der Art der Forderung des Jobcenters ab.

Mit 10 Prozent der maßgebenden Regelleistung kann aufgerechnet werden bei Erstattung nach Zahlung entsprechend §§ 42 und § 43 Aufrechnung
 
(1) Die Jobcenter können gegen Ansprüche von leistungsberechtigten Personen auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen…
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
43 SGB I
, bei endgültigen Festsetzungen gemäß § 328 Vorläufige Entscheidung
 
(1) Über die Erbringung von Geldleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn …
 
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 328 Abs. 3 S. 2 SGB III
sowie bei Aufhebungen nach § 48 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse
 
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, …
 
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§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X
, § 43 Abs. 2 S. 1 1. Halbsatz SGB II.

In den sonstigen Fällen ist eine Aufrechnung mit bis zu 30 Prozent der maßgebenden Regelleistung möglich, § 43 Vorläufige Leistungen
 
(1) Besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen und ist zwischen mehreren Leistungsträgern streitig, …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 43 Abs. 2 S. 1 2. Halbsatz SGB II
. Dies sind insbesondere Fälle, in denen dem Leistungsberechtigten sein Verhalten vorgeworfen werden kann.

Bezugsgröße der Minderung ist immer der „für den Leistungsberechtigten maßgebende Regelbedarf“ im Sinne des § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II.

3. Form

Die Aufrechnung muss durch Verwaltungsakt erklärt werden, § 43 Abs. 4 S. 1 SGB II. Der Verwaltungsakt muss hinreichend bestimmt sein und die Dauer sowie die Höhe der Aufrechnung bezeichnen.

4. Ermessensausübung

Die vom Jobcenter anzustellenden Ermessenserwägungen müssen erkennbar sein, § 35 Begründung des Verwaltungsaktes
 
(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 35 Abs. 1 S. 3 SGB X
.

Gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X muss die Begründung der Ermessensentscheidung die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Regelmäßig steht nur noch das „ob“ der Aufrechnung (Entschließungsermessen) im Ermessen des Grundsicherungsträgers und bedarf einer entsprechenden Begründung. Fehlt eine entsprechende Begründung hinsichtlich des Entschließungsermessens, so liegt eine Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bereits wegen eines „Ermessensnichtgebrauchs“ vor. Bei der Ausübung des Ermessens wird das Jobcenter stets zu beachten haben, dass der existenzsichernde Bedarf gewährleistet sein muss.

Die Erforderlichkeit einer Ermessensausübung gilt seit 2011 nicht mehr im Hinblick auf die Frage, in welcher Höhe die Aufrechnung erklärt wird. Die Aufrechnung ist in § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II auf 10 Prozent bzw. auf 30 Prozent festgesetzt. Diesbezüglich ist ein Ermessensspielraum nicht mehr vorgesehen. Dies bestätigte auch das Bundessozialgericht gemäß einem Bild: in neuem Tab öffnen - zum Urteilwww.juris.bundessozialgericht.deUrteil vom 9. März 2016 (B 14 AS 20/15 R):

Urteil des BSG vom 9. März 2016, B 14 AS 20/15 R Rdnrn. 27 und 34

…
[27] cc) Die Höhe der vom Beklagten im Grundlagenverwaltungsakt erklärten monatlichen Aufrechnung in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs entspricht der ein Ermessen ausschließenden Vorgabe in § 43 Abs 2 S. 1 SGB II. Danach beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die nicht auf §§ 42 und 43 SGB II, § 328 Abs 3 S. 2 SGB III oder § 48 Abs 1 S. 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X beruhen, 30 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs. Aufgrund dieser Regelung ziehen alle anderen Erstattungsansprüche nach § 50 SGB X, die nicht einer Aufhebung nach § 48 Abs 1 S. 2 Nr 3 SGB X folgen, eine Aufrechnung in Höhe von 30 % nach sich (BT-Drucks 17/4095 S 35).
…
[34] a) Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Aufrechnung in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre bei einer auf vorwerfbarem Verhalten des Leistungsberechtigten beruhenden Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen steht mit Verfassungsrecht in Einklang.
…

Demgegenüber düfte bei einer Entscheidung über eine Aufrechnung gegenüber minderjährigen Kindern das Unterbleiben der Aufrechnung gefordert werden dürfen. Minderjährige Kinder haben meist keine Möglichkeit, die Reduzierung des Regelbedarfs durch Entnahmen aus einem Schonvermögen oder durch Erwerbseinkommen auszugleichen. Auch eine Aufrechnung von 30 % über einen längeren Zeitraum dürfte sich nicht grundsätzlich ohne Weiteres rechtfertigen lassen.

5. Rechtsschutz

Der Widerspruch gegen den Bescheid über die Aufrechnung hat aufschiebende Wirkung.

Die Regelung des § 39 Sofortige Vollziehbarkeit
 
Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,
1. der Leistungen …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 39 SGB II
über die sofortige Vollziehbarkeit erfasst nicht die Aufrechnung (vergleiche dazu unter anderem eine Bild: in neuem Tab öffnen - zum Urteilwww.sozialgerichtsbarkeit.deEntscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Juli 2007 (L 28 B 1053/07). Bis zur Bestandskraft der Entscheidung über den Widerspruch kann daher keine Kürzung der Leistungen erfolgen.

Gegen den Bescheid über die Aufrechnung ist nach Erlass des Widerspruchsbescheides die Anfechtungsklage möglich.

Tipp

Möglichst sollten bei einem Widerspruch gegen einen Bescheid, in dem Entscheidungen zur Rückforderung und Erstattung sowie zur Aufrechnung erfolgen, ausdrücklich alle Entscheidungen angegriffen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass eine der Entscheidungen rechtskräftig werden könnte.

 

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1 Kommentar (Frage/Antwort)

  1. Kiko meint

    1. November 2019

    Gibt es für die Aufrechnung einer Heizkostenrückerstattung eine Frist?
    Die Abrechnung für 2017 ist vom Vermieter mit dem 16.10.2018 datiert und wurde am 29.10.2018 eingereicht. Die Rückerstattung erfolgte am 28.11.2018 als Gutschrift. Damals hätte ich eine Aufrechnung auf die Leistungen für Dezember 2018 also verkraften können.
    Im Schreiben vom 25.10. 2019 stellt das Jobcenter fest, dass meine Ansprüche sich ab, 01.12.2018 vermindert hätten. Einen Bescheid dazu hatte ich damals nicht erhalten. Das „Polster“ auf meinem Konto ist nun nach über einem Jahr nicht mehr vorhanden. Nun beabsichtigt das Jobcenter Die Rückerstattung auf meine zukünftigen Leistungen aufzurechnen.
    Geht das noch?

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