Der Sachverhalt:
Das Sozialamt gewährt einem bedürftigen Rentner Leistungen zur Grundsicherung im Alter gemäß den Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Erster Abschnitt
§ 41 Leistungsberechtigte
§ 41a Vorübergehender Auslandsaufenthalt …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§§ 41 ff. SGB XII. Der Ehepartner des Leistungsempfängers arbeitet und erzielt ein geringes Einkommen, welches zumindest teilweise die an den Leistungsempfänger auszukehrenden Leistungen mindert.Die beiden Ehegatten haben gemeinsames Vermögen in Höhe von ca. 5.000 €.
Das Sozialamt ist der Auffassung, § 1
Kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte im Sinne des § 90 Abs. 2 Nummer 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind:
1. für jede in § 19 Abs. 3, …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1 Nr. 2 der Durchführungsverordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII (im Folgenden: DVO) sei anwendbar. Den Ehegatten stünde insgesamt nur ein Schonvermögen in Höhe von 3.214 € zu. Das Vermögen sei also in Höhe von 1.796 € einzusetzen.Das Sozialgericht scheint zunächst dem Vortrag der beklagten Stadt zu folgen. Das Sozialgericht fragt nach dem Hinweis der Beklagten auf § 1 Abs. 2 DVO an, ob die auf Berücksichtigung des Vermögens in Höhe von 5.000 € als Schonvermögen im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII gerichtete Klage zurückgenommen wird.
Der Gesetzgeber hat zum 1. April 2017 und zum 1. Januar 2023 die Beträge zum Schonvermögen auf 5.000 € bzw. 10.000 € angehoben!
1. Mögliche Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 1 Abs. 2 DVO
Gemäß § 1 Nr. 1 DVO steht einem über 60-jährigen Hilfebedürftigen ein Schonvermögen gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Höhe von 2.600 € zu (ab dem 1. Januar 2023: 10.000 €).
Gemäß § 1 Nr. 2 DVO steht der hilfesuchenden Person und dem Ehegatten ein Schonvermögen in Höhe von zusätzlich 614 € zu. Insgesamt stehe also den Ehegatten ein Schonvermögen in Höhe von 3.214 € zu.
Meines Erachtens ist die Regelung des § 1 Abs. 2 DVO schlichtweg verfassungswidrig. Ich kann einfach nicht verstehen, dass einer Person gemäß § 1 Nr. 1 a) 2. Alt. DVO ein Schonvermögen in Höhe von 2.600 € zustehen soll, zwei Personen über 60 Lebensjahren aber nur ein Schonvermögen in Höhe von 3.214 € gemäß § 1 Nr. 2 DVO. Meines Erachtens wäre es allenfalls möglich, bei den beiden Personen das Schonvermögen gemäß § 1 Nr. 1 DVO anzuerkennen, ggf. abzüglich einer Haushaltsersparnis in Höhe von 10 %. Ansonsten würden nämlich Ehegatten, die gemäß Art. 6 GG geschützt sind, schlechter stehen als Alleinstehende. Auch Lebenspartner würden meines Erachtens unzulässig schlechter gestellt.
2. Niedriger Schonbetrag gemäß § 1 DVO, solange nicht beide Ehepartner gemäß dem SGB XII bedürftig sind
Als vorläufigen „Rettungsanker“ gegenüber dem Vortrag der Beklagten und der Anfrage des Sozialgerichts, ob ich die Klage zurücknehmen will, habe ich aber schließlich Ausführungen in einem www.sozialgerichtsbarkeit.deUrteil des BSG vom 20. September 2012 (B 8 SO 13/11 R) gefunden. Das BSG führt dort u. a. aus (zu 2):
Die gemeinsame Vermögensprivilegierung des SGB II entfällt erst, wenn beide Eheleute dem System des SGB XII unterworfen sind; erst dann gilt der weitaus niedrigere – ebenfalls – gemeinsame Freibetrag in Höhe von 3214 Euro.
Solange also ein Ehepartner noch dem SGB II unterfällt, gelten die höheren Regelungen zum Schonvermögen des § 12 SGB II. Dies muss meines Erachtens erst recht für den hier vorliegenden Fall gelten, dass ein Ehegatte noch nicht einmal Leistungen nach dem SGB II bezieht. Die Berechnungen des Sozialamtes halte ich für skandalös!
Schließlich wäre ich für Hinweise dankbar, dass die hier wohl ständig vom Sozialamt (eventuell auch von anderen Sozialämtern) geübte Praxis der Kürzung des Schonvermögens von Eheleuten bei Gewährung von Grundsicherung im Alter gemäß der DVO rechtswidrig und/oder verfassungswidrig ist (evtl. auch § 1 DVO „falsch gelesen wird“). Gerne würde ich auch Fälle sammeln und Unterstützung erhalten, um die meines Erachtens rechtswidrige/verfassungswidrige Regelung in § 1 Nr. 2 DVO (und/oder die zumindest rechtswidrige Verwaltungspraxis) zu kippen. Auch für Hinweise hinsichtlich weiterer Argumentationsmöglichkeiten gegenüber dem Sozialamt und dem Gericht wäre ich dankbar! …
Zum 1. Januar 2023 ist im SGB XII das Schonvermögen für alle volljährigen Personen angestiegen, die alleine oder in einer sozialrechtlichen Einstandsgemeinschaft leben von 5.000 EUR auf 10.000 EUR pro Person (einschließlich Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und Blindenhilfe), für jede weitere unterhaltene Person um 500 EUR, § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Damit werden dann auch KFZ’s innerhalb der Schonvermögensgrenzen in Geldeswert möglich.
Auch Tacheles geht in Erläuterungen zum Barvermögen davon aus, dass heute ein Gesamtschonbetrag von 10.000 Euro zu beachten ist!
RA Hötte, Stolberg says
Sehr geehrter Herr Kollege,
ich hatte mal eine BG als Mandantschaft, da existierte eine Alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Sie war unstreitig voll EM. Da aber die ältere Tochter 15 Jahre alt war, gab es Leistungen nach dem SGB II, die Mutter erhielt Sozialgeld.
Nach Ihrem Sachvortrag müsste auch hier über § 7 II, III Nr. 3 a) SGB-II das JC in der Leistungspflicht für beide Eheleute stehen.
Oder gibt es noch andere spezielle Konstellationen, die hier eine BG ausschließen?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Kollege,
die Ausführungen in der von mir zitierten Entscheidung des BSG beziehen sich auf die Anerkennung von Schonvermögen gemäß § 90 SGB XII und ggf. auch auf das Schonvermögen gemäß § 12 SGB II.
Nach meiner ersten Einschätzung ist aber bei dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt für die Mutter der Sozialhilfeträger gemäß dem SGB XII und nicht das Jobcenter gemäß dem SGB II zuständig. Dann kann auch nicht mehr von einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 SGB II gesprochen werden. Ggf. könnte eine Einstandsgemeinschaft bzw. eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne des SGB XII vorliegen (vgl. u. a. §§ 27, 39 SGB XII).
Grüße
RA Hötte, Stolberg says
Herr Kollege,
von der Systematik her müssten beide Gesetzbücher auf gleichem Niveau stehen. Da aber Vermögen der beiden „Partner“ ggenseitig zusammengerechnet werden dürfen (anders als bei Kindern, deren Freibeträge können sich die Eltern (leider) nicht „übertragen“), müsste das SGB II hier durchschlagen. So interpretiere ich auch das Kondensat jenes BSG-urteils in der Presseveröffentlichung (ich habe allerdings noch nicht die Gründe im Volltext zur Kenntnis genommen).
Ich sehe deshalb wirklich keine Veranlassung, sich zu einer Klagerücknahme bewegen zu lassen.