Kurz erklärt: Eine Schwerbehinderung kann dazu führen, dass ein höherer Wohnflächenbedarf anerkannt wird. Im Bürgergeld nach § 22 SGB II oder in der Sozialhilfe bedeutet das: zusätzliche Quadratmeter oder höhere Mietobergrenzen können als angemessen gelten. Maßgeblich sind Gesetze, Wohnraumnutzungsbestimmungen der Länder und Urteile der Sozialgerichte.
1. Rechtsgrundlagen
Im Bürgergeld (§ 22 SGB II) und in der Sozialhilfe (§ 35 SGB XII) werden die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernommen, soweit sie „angemessen“ sind. Bei Schwerbehinderung kann ein Mehrbedarf an Wohnfläche anerkannt werden, z. B. bei Rollstuhlnutzung oder besonderen gesundheitlichen Anforderungen.
2. Urteil LSG Niedersachsen-Bremen
… Zu berücksichtigen ist indessen noch die Schwerbehinderung des Berufungsbeklagten, der seit dem Jahre 1987 einen GdB von 60 hat. Nach Nr. 11.4 S. 1 WFB erhöht sich die angemessene Wohnfläche für Alleinerziehende und für jeden schwerbehinderten Menschen um jeweils weitere zehn qm. …
3. NRW: Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB)
Nach den WNB (Wohnraumnutzungsbestimmungen NRW) gilt:
- Zusätzlicher Raum oder +15 qm sind zu gewähren bei besonderen persönlichen Bedürfnissen (z. B. Blinde, Rollstuhlfahrer, Alleinerziehende).
- Härtefallregelung: Abweichungen von allen Kriterien der Wohnberechtigung möglich.
4. Bundesverwaltungsgericht
… Das kann einerseits ein über das normale Maß hinausgehender und dementsprechend nach § 3 Abs. 1 BSHG besonders zu berücksichtigender Bedarf des Hilfesuchenden an Unterkunft sein. Andererseits können die besonderen Umstände, die ein anerkennenswertes Mehr an Unterkunftsbedarf ausmachen, in der Person eines der nicht hilfebedürftigen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft bestehen, Umstände, die auch sonst von Belang sind, wenn es darum geht, in Anwendung der §§ 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 S. 1 BSHG und des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO den angemessenen Umfang von Aufwendungen für die Unterkunft festzustellen (siehe dazu die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 1985 BVerwGE 72, 88 und 27. November 1986 BVerwGE 75, 168). Zu denken ist hierbei insbesondere an Fälle der Behinderung oder Pflegebedürftigkeit. „Besonderheiten“ in diesem Sinne hat die Klägerin zu keiner Zeit geltend gemacht. …
5. BSG 2019 – Kosten der Unterkunft & Teilhabe
www.bsg.bund.deBSG in einem Urteil vom 4. April 2019, B 8 SO 12/17 R
[28] Als Leistung der sozialen Teilhabe nach §§ 53 ff SGB XII iVm § 55 Abs 2 SGB IX aF „insbesondere“ ist ein Anspruch auf Gewährung von laufenden Kosten der Unterkunft nicht von vornherein ausgeschlossen. Bedarfe für Kosten der Unterkunft können für den behinderten Menschen (auch) als Leistung der sozialen Teilhabe abzudecken sein …
[29] Leistungen der Eingliederungshilfe sind allerdings dort nicht notwendig (§ 4 SGB IX), wo sie durch Ansprüche auf andere Sozialleistungen abgedeckt werden. Insoweit ordnen das SGB II und das SGB XII sowie das BAföG die Kosten für die Unterkunft zwar nicht abschließend den Leistungen für den Lebensunterhalt zu, wie das LSG meint. Sie gehen allerdings möglichen Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe vor, soweit …
6. Häufige Fragen
Wie viele Quadratmeter stehen Schwerbehinderten zu?
Häufig +10 qm (je nach Bundesland oder kommunaler Richtlinie), in NRW teils +15 qm oder ein Zusatzraum. Entscheidend sind die örtlichen Angemessenheitsvorgaben.
Gilt das im Bürgergeld und in der Sozialhilfe?
Ja. Sowohl § 22 SGB II (Bürgergeld) als auch § 35 SGB XII (Sozialhilfe) ermöglichen eine Anpassung der Wohnfläche bei besonderen Umständen wie Schwerbehinderung.
Welche Nachweise brauche ich?
In der Regel den Schwerbehindertenausweis (z. B. mit Merkzeichen G/aG) oder ärztliche Atteste, die den erhöhten Platzbedarf belegen.
Kann ich bei zu kleiner Wohnung einen Umzug verlangen?
Ja, wenn die Wohnung wegen der Behinderung ungeeignet ist (z. B. kein Platz für Rollstuhl oder Hilfsmittel). Die Kosten für einen angemessenen Umzug können übernommen werden.
7. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefende Beiträge zum Thema:
Thematisch verwandt (Kosten der Unterkunft / Wohnungsgröße):
Zephania3 says
Die Urteile zum Thema Wohnungsgröße bei Grundsicherung, Schwerbehinderung sind leider schon recht alt.
Gibt es aktuelle Urteile in punkto angemessene Wohnungsgröße bei Grundsicherung, Schwerbehinderung 100%, Rollstuhl, Pflegegrad 3?
Ich habe aktuell Schwierigkeiten mit dem Sozialamt. Verfügbare und geeignete Wohnungen sind entweder zu groß oder zu teuer. Es gibt aber keine kleineren Wohnungen, welche für mich in frage kommen. muss das Sozialamt dann die höhere miete zahlen? meine jetzige wohnung kann ich nicht nutzen, da diese im Dachgeschoss ist und kein Fahrstuhl vorhanden ist. Durch eine akute, nicht vorhersehbare Erkrankung lag ich einige Wochen im Koma und befinde mich seit 145 Tagen ununterbrochen in Krankenhäusern und in einer Reha-klinik.
Michael B says
Guten Tag, in meinem Schwerbehindertenausweis steht 60 GdB
Was bedeutet das für mich bei meiner Wohnungssuche ?
Wieviel kann ich extra bzw. könnte ich überhaupt einen Mehrbedarf anmelden?
Ich habe weder einen Rollator noch einen Rollstuhl, jedoch eine Gehbehinderung, …
Würde mich über eine Mail freuen wenn sie mir da weiter helfen könnten. Bevor ich jetzt wegen nichts und wieder nichts das Amt anschreibe und keine Argumente habe, die mir helfen bei einem Mehrbedarf
MFG
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Michael,
ein Mehrbedarf im Hinblick auf die Wohnflächengrenze wird wahrscheinlich nicht bestehen.
Im Hinblick auf einen Mehrbedarf wegen des Grades der Behinderung und/oder das Merkzeichen schauen Sie sich bitte den Beitrag Mehrbedarf für behinderte Menschen beim Bürgergeld und der Sozialhilfe an.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Eddy says
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Nippel,
zunächst einmal ein frohes neues Jahr vor allem viel Gesundheit.
Ich bin derzeit in einer Notunterkunft untergebracht. Das Zimmer kostet pro Tag 75 Euro. Ich bin im Besitz eines Schwerbehindertenausweises und einem GdB in Höhe von 100% mit den Merkzeichen AG, G & RF. Benötige durch meine Schwerbehinderung einen Rollator, einen Aktiv- & einen Elektrorollstuhl im Innen-& Außenbereich. Nun habe ich ein Mietangebot über eine Wohnung mit ebenerdiger Dusche, und 2 Zimmer. Im EG gelegen und barrierefreien Zugang zur Wohnung. Die derzeitigen Mieter würden die komplette Kücheneinrichtung nebst Waschmaschine gegen Abstand hinterlassen. Somit kann man von einer möblierten Wohnung sprechen.
Die Wohnung hat 59 qm und soll 701 Euro kalt kosten. Laut Schwerbehindertenrecht würde ich bedingt durch die Hilfsmittel als Zwei-Personen-Haushalt und hätte laut der Mietspiegel-Liste vom Sozialamt eine Kaltmiete in Höhe von 675 Euro plus der zehn Prozent, die man als Spielraum hat, käme ich auf 719 Euro. Die Wohnung kostet aber nur 701 Euro kalt. Trotz der Rechtsprechungen und Vorgaben im Schwerbehindertenrecht lehnt das Sozialamt die Wohnung ab und will mich in einer 50 qm kleinen Wohnung sehen. Ich habe schon einen Antrag auf Mehrbedarf gestellt und habe eine Bescheinigung in meinen Unterlagen gefunden, in der 2019 bescheinigt wurde, dass bei der Wohnungsgröße und/oder der Grundmiete aufgrund meiner gesundheitlichen Situation zugebilligt werden kann. Was kann ich ggf. noch tun oder damit argumentieren, damit das Amt die Wohnung letztlich dann doch bezahlen wird?!
Vielen Dank im Voraus. Viele Grüße Francois B-H
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Eddy,
wurde denn nicht per Bescheid die Zustimmung zum Umzug abgelehnt? Wurde auf § 35 SGB XII Bezug genommen?
„Eigentlich“ muss durch Bescheid die Zustimmung erteilt bzw. nicht erteilt werden. Dann gilt offensichtlich das unter dem Bescheid (wahrscheinlich) Abgedruckte: Sie können Widerspruch erheben!
Sie sollten also Widerspruch erheben bzw. auf eine entsprechende Bescheidung drängen. Ggf. müssen Sie klagen bzw. auch an den Eilrechtsschutz denken. Die „Notunterkunft“ kann ja nur für eine vorübergehende Unterbringung dienen.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Astrid says
Hallo,
ich bin schwerbehindert – 70 Prozent G, B und habe Pflegestufe 3. Wie teuer darf die Miete sein? Bräuchte dringend eine barrierefreie Wohnung. Das was ich dringend brauche.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Astrid,
eine pauschale Antwort ist hier nicht möglich.
Wenn Sie Leistungen zur Grundsicherung beziehen, können die besonderen Umstände ein anerkennenswertes Mehr an Unterkunftsbedarf ausmachen. Dann muss geklärt werden, in welcher Höhe ggf. über den angemessenen Kosten liegende Kosten vom Träger der Grundsicherung ersetzt werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Wolfgang Hellwig says
Werter Herr Nippel, im Zuge dreifacher Herzinfarkte, zweier Schlaganfälle (linksseitige Lähmung/Folge: Rollstuhl /Rollator)sowie zweier kuenstl. Darmausgaenge wurde mir GdB 100 Merkzeichen G zuerkannt. Eine 68qm-Wohnung wird mit der Begründung „Unangemessen“ abgelehnt. Ich bin sozusagen alleinstehend jedoch aufgrund der Einschränkungen auf pers. als auch med. Assistenz angewiesen. Begründung des Sozialamtes: Mietstufe I 1-Personenhaushalt
bewilligt 50 qm.
Mir ist nach bisherigen Auskünften durch die Kontrolle des Pflegedienstes nicht verständlich, warum mir 15qm mehr nicht zugestanden werden.
Könnten Sie vielleicht eine Hilfestellung geben?
Herzlichen Dank
Freundliche Grüße
Wolfgang Hellwig
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Hellwig,
tatsächlich wird nach meiner Kenntnis ein größerer Wohnraum bei einer entsprechenden medizinischen Indikation als angemessen angesehen. Es müsste also „medizinisch“ argumentiert werden. Was sagt Ihr Pflegepersonal dazu? Brauchen Sie z. B. ein Pflegebett, das von allen Seiten zugänglich ist? Sind Sie auf einen Rollstuhl angewiesen?
Im Ergebnis sollten Sie also schon gegen den ersten Bescheid, der die Kosten der Unterkunft nicht in voller Höhe anerkennt, Widerspruch und ggf. Klage erheben.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt