Fraglich ist, inwieweit eine Schwerbehinderung Einfluss auf die angemessene Wohnfläche im Sinne von § 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung
(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, …
(Link: zum kommentierten Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 22 SGB II und damit auf den Ersatz der Kosten der Unterkunft beim Hartz IV haben kann.
In Niedersachsen hat z. B. das zuständige Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in einem Urteil vom 20. Juli 2012 (L 9 AS 117/11) zu der angemessenen Wohnfläche bei Vorliegen einer Schwerbehinderung (Erfordernis eines Rollators oder eines Rollstuhls) festgestellt:
Zu berücksichtigen ist indessen noch die Schwerbehinderung des Berufungsbeklagten, der seit dem Jahre 1987 einen GdB von 60 hat. Nach Nr. 11.4 S. 1 WFB erhöht sich die angemessene Wohnfläche für Alleinerziehende und für jeden schwerbehinderten Menschen um jeweils weitere zehn qm. …
…
In Nordrhein-Westfalen sind Anforderungen für den Erhalt eines Wohnungsberechtigungsscheins in den Wohnraumnutzungsbestimmungen
(WNB)
Zum Vollzug der Teile 4 bis 6 des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen …
(Link: www.gesetze-im-internet.de vom Bundesministerium der Justiz)Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) geregelt. Diese Regelungen dürften nach meiner ersten Einschätzung entsprechend auf den schwerbehinderten Menschen übertragbar sein, der Hartz IV bezieht:
…
8.2
…
Ein zusätzlicher Raum oder eine zusätzliche Wohnfläche von 15 qm ist wegen besonderer persönlicher oder beruflicher Bedürfnisse einer haushaltsangehörigen Person oder eines nach der Lebenserfahrung in absehbarer Zeit zu erwartenden zusätzlichen Raumbedarfs zuzubilligen: z.B. …, ferner Blinden, rollstuhlfahrenden Schwerbehinderten, Alleinerziehenden mit … .
8.3
Zu Abs. 3:
8.3.1
Zur Vermeidung einer besonderen Härte kann eine Abweichung von allen Kriterien der Wohnberechtigung zugelassen werden. …
…
Dass ein „Mehr an Unterkunftsbedarf“ bei Vorliegen von Besonderheiten, insbesondere bei einer Schwerbehinderung regelmäßig anerkannt werden kann, geht u. a. auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum BSHG hervor (vgl. Urteil des BVerwG vom 20. Juli 1988):
… Das kann einerseits ein über das normale Maß hinausgehender und dementsprechend nach § 3 Abs. 1 BSHG besonders zu berücksichtigender Bedarf des Hilfesuchenden an Unterkunft sein. Andererseits können die besonderen Umstände, die ein anerkennenswertes Mehr an Unterkunftsbedarf ausmachen, in der Person eines der nicht hilfebedürftigen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft bestehen, Umstände, die auch sonst von Belang sind, wenn es darum geht, in Anwendung der §§ 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 S. 1 BSHG und des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO den angemessenen Umfang von Aufwendungen für die Unterkunft festzustellen (siehe dazu die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 1985 BVerwGE 72, 88 und 27. November 1986 BVerwGE 75, 168). Zu denken ist hierbei insbesondere an Fälle der Behinderung oder Pflegebedürftigkeit. „Besonderheiten“ in diesem Sinne hat die Klägerin zu keiner Zeit geltend gemacht. …
Soweit diesseits ersichtlich, liegt Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den vorbenannten Fragestellungen noch nicht vor.
p. s.: Mit dem Thema „behinderungsbedingter Mehrbedarf“ und insbesondere „Kosten der Unterkunft“ setzt sich das www.bsg.bund.deBSG in einem Urteil vom 4. April 2019, B 8 SO 12/17 R auseinander:
[28] Als Leistung der sozialen Teilhabe nach §§ 53 ff SGB XII iVm § 55 Abs 2 SGB IX aF „insbesondere“ ist ein Anspruch auf Gewährung von laufenden Kosten der Unterkunft nicht von vornherein ausgeschlossen. Bedarfe für Kosten der Unterkunft können für den behinderten Menschen (auch) als Leistung der sozialen Teilhabe abzudecken sein …
[29] Leistungen der Eingliederungshilfe sind allerdings dort nicht notwendig (§ 4 SGB IX), wo sie durch Ansprüche auf andere Sozialleistungen abgedeckt werden. Insoweit ordnen das SGB II und das SGB XII sowie das BAföG die Kosten für die Unterkunft zwar nicht abschließend den Leistungen für den Lebensunterhalt zu, wie das LSG meint. Sie gehen allerdings möglichen Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe vor, soweit …
Zephania3 meint
Die Urteile zum Thema Wohnungsgröße bei Grundsicherung, Schwerbehinderung sind leider schon recht alt.
Gibt es aktuelle Urteile in punkto angemessene Wohnungsgröße bei Grundsicherung, Schwerbehinderung 100%, Rollstuhl, Pflegegrad 3?
ich habe aktuell schwierigkeiten mit dem sozialamt. verfügbare und geeignete wohnungen sind entweder zu groß oder zu teuer. es gibt aber keine kleineren wohnungen, welche für mich in frage kommen. muss das sozialamt dann die höhere miete zahlen? meine jetzige wohnung kann ich nicht nutzen, da diese im dachgeschoss ist und kein fahrstuhl vorhanden ist. durch eine akute, nicht vorhersehbare erkrankung lag ich einige wochen im koma und befinde mich seit 145 tagen ununterbrochen in krankenhäusern und in einer reha-klinik.
Michael B meint
Guten Tag, in meinem Schwerbehindertenausweis steht 60 GdB
Was bedeutet das für mich bei meiner Wohnungssuche ?
Wieviel kann ich extra bzw. könnte ich überhaupt einen Mehrbedarf anmelden?
Ich habe weder einen Rollator noch einen Rollstuhl, jedoch eine Gehbehinderung, …
Würde mich über eine Mail freuen wenn sie mir da weiter helfen könnten. Bevor ich jetzt wegen nichts und wieder nichts das Amt anschreibe und keine Argumente habe, die mir helfen bei einem Mehrbedarf
MFG
Rechtsanwalt S. Nippel meint
Hallo Michael,
ein Mehrbedarf im Hinblick auf die Wohnflächengrenze wird wahrscheinlich nicht bestehen.
Im Hinblick auf einen Mehrbedarf wegen des Grades der Behinderung und/oder das Merkzeichen schauen Sie sich bitte den Beitrag Mehrbedarf für behinderte Menschen beim Hartz IV und der Sozialhilfe an.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt