Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX ist keine bloße Ordnungsvorschrift. Sein Unterlassen kann erhebliche rechtliche Folgen haben – sowohl im Hinblick auf Schadensersatzansprüche als auch bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Ziel der Vorschrift ist es, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um das Beschäftigungsverhältnis schwerbehinderter Menschen dauerhaft zu sichern.
1. Schadenersatz
Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben nach § 164 Abs. 4 SGB IX Anspruch auf eine behinderungsgerechte Gestaltung und Ausstattung ihres Arbeitsplatzes. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht schuldhaft, kann ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 164 Abs. 4 SGB IX entstehen.
Das BAG stellte hierzu klar (BAG, 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04):
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II. …
1. Versäumt es der Arbeitgeber schuldhaft, die behinderungsgerechte Beschäftigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 bis 5 SGB IX (heute:164 SGB IX) zu ermöglichen, hat der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch in Höhe der ihm entgangenen Vergütung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX.
Auch die Nichtdurchführung eines BEM kann als Pflichtverletzung gewertet werden, wenn dadurch der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Beschäftigten gefährdet oder der Kündigungsschutz beeinträchtigt wird.
2. Folgen bei einer Kündigung – Verschiebung der Beweislast
Unterlässt der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement, führt dies nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit einer Kündigung.
Nach der Rechtsprechung des BAG wirkt sich das Versäumnis jedoch beweisrechtlich zu Lasten des Arbeitgebers aus (BAG, 24. März 2011 – 2 AZR 170/10).
[22] Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX (heute: § 167 Abs. 2 SGB IX) ein Verfahren durchgeführt hat, das nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein BEM genügt.
[23] Hat der Arbeitgeber ein BEM deshalb nicht durchgeführt, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber den Betroffenen zuvor auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hatte. …
[24] Stimmt der Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zu, ist das Unterlassen eines BEM „kündigungsneutral“. …
[25] Möglich ist, dass auch ein BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Sofern dies der Fall ist, kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines BEM kein Nachteil entstehen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein BEM deshalb entbehrlich war, weil es wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers unter keinen Umständen ein positives Ergebnis hätte bringen können, trägt der Arbeitgeber. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, erneuten Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vorzubeugen und ihm den Arbeitsplatz zu erhalten.
[25] Unterbleibt das BEM ohne nachvollziehbaren Grund, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass auch bei Durchführung des BEM kein positives Ergebnis zu erwarten gewesen wäre.
Das Fehlen eines ordnungsgemäßen BEM erschwert es dem Arbeitgeber, die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung darzulegen.
Im Kündigungsschutzprozess kann dies die Erfolgsaussichten des Arbeitnehmers erheblich verbessern.
Das BAG betonte zudem, dass die in § 167 Abs. 1 SGB IX geregelte Prävention dem Ziel dient, eine drohende Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig zu vermeiden(BAG, 7. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06).
3. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu BEM, Ausgleichsabgabe und Integrationsamt:



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