Die Berechnung der Leistungen eines Bürgergeld-Leistungsemfängers in der Haushaltsgemeinschaft mit Angehörigen wirft „eigentlich“ keine schwierigen Fragen auf:
Das um Absetzbeträge bereinigte Einkommen des Angehörigen abzüglich des doppelten Regelbedarfs und der anteiligen Kosten der Unterkunft gilt als Freibetrag. Darüber hinaus erzieltes Einkommen ist hälftig leistungsmindernd einzusetzen.
Die Berechnung erfolgt gemäß § 1 Nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen
(1) …
(2) Bei der § 9 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zugrunde liegenden Vermutung, dass Verwandte und Verschwägerte …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1 Abs. 2 Bürgergeld-V:
Der Leistungsberechtigte L lebt mit seinem Verwandten oder auch mit seinem Verschwägerten V zusammen. V „kümmert sich um L“. Es besteht eine Haushaltsgemeinschaft.
V hat ein Nettoeinkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 2.000,00 €.
Die angemessenen Wohnkosten betragen insgesamt 600,00 €.
Regelbedarf für L (Regelbedarfsstufe 1) | 502,00 € (Stand: 2023) |
anteilige Kosten der Unterkunft | 300,00 € |
Gesamtbedarf L | 802,00 € |
Einkommen V | 1.900,00 € |
– Absetzbeträge nach § 11 b Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 2 Nrn. 1 bis 3 SGB II (100 € + 84 € + 144 € + 20 €) | – 348,00 € |
– doppelter Regelbedarf | – 1004,00 € |
– 1/2 Kosten der Unterkunft | – 300,00 € |
= Einkommensüberhang V | = 248,00 € |
– 50 % des anrechenbaren Einkommens des V | – 124,00 € |
Gesamtbedarf des L (s. o.) | 802,00 € |
– 50 % des anrechenbaren Einkommens des V | – 124,00 € |
Leistungsanspruch L | 678,00 € |
Die vorstehende Berechnung richtet sich nach § 1 Nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen
(1) …
(2) … Absetzbeträge nach § 11b …, … Freibetrag in Höhe des doppelten Betrags … zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung … darüber hinausgehend 50 Prozent der diesen Freibetrag übersteigenden Einkommens…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1 Abs. 2 S. 1 Bürgergeld-V:
- zuerst ist das Einkommen um Absetzbegträge gemäß § 11b Absetzbeträge
(1) Vom Einkommen abzusetzen sind
…
1. …
…
(2) …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 11 b SGB II zu bereinigen, vgl. § 1 Nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen
(1) …
(2) … sind die um die Absetzbeträge nach § 11b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch bereinigten Einnahmen in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen, …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1 Abs. 2 S. 1 Bürgergeld-V; - es gilt ein Freibetrag von 2 Regelbedarfen der Stufe 1 (= 1.004,00 € = 2 x 502,00 € – Stand: 2023, § 8 RBEG – Regelbedarfsstufen
Die Regelbedarfsstufen nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch belaufen sich zum 1. Januar 2021
1. in der Regelbedarfsstufe 1 auf 446 Euro für jede erwachsene Person, …
…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 8 Nr. 1 RBEG) zuzüglich der anteiligen Kosten für Miete und Heizung, § 1 Nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen
(1) …
(2) … soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Betrags des nach § 20 Absatz 2 Satz 1 maßgebenden Regelbedarfs zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1 Abs. 2 S. 1 Bürgergeld-V; - darüber hinaus erzieltes Einkommen ist hälftig einzusetzen, § 1 Nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen
(1) …
(2) … sowie darüber hinausgehend 50 Prozent der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1 Abs. 2 S. 1 Bürgergeld-V.
Ist der Verwandte V ein Kind des L, das sich um Vater oder Mutter kümmert, könnte evtl. insgesamt vom Einsatz des Einkommens des V bei der Berechnung der Leistungen abgesehen werden. Dies könnte gelten, wenn zur Ermittlung der „bereinigten Einnahmen“ im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 Bürgergeld-V auch Freibeträge nach der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt würden (zu D. I. der Düsseldorfer Tabelle). Dann müssten Einnahmen des V im Hinblick auf eine Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber den Eltern erst ab den im Angehörigen-Entlastungsgesetz geregelten Beträgen (Jahreseinkommen über 100.000 Euro) leistungsmindernd zum Ansatz gebracht werden. Das Einkommen des V müsste in dem Beispielsfall nicht mehr leistungsmindernd zu Lasten des V berücksichtigt werden. Dann würden allerdings die vom BVerwG zur Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens eines Angehörigen in der Haushaltsgemeinschaft zum BSHG entwickelten Grundsätze weitgehend bedeutungs- und evtl. auch sinnlos. Nur in wenigen Fällen – wenn das Kind Einkommen über 100.000 Euro erzielt – müsste Einkommen berücksichtigt werden. Warum dann Einkommen weiter entfernter Verwandter oder verschwägerter Angehöriger – anders als beim sich sorgenden Kind – leistungsmindernd eingesetzt werden soll, wäre kaum noch zu begründen.
Insbesondere im Verhältnis Eltern – Kind haben sich durch neue Entwicklungen zum Elternunterhalt neue Aspekte ergeben: Das Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10. Dezember 2019 bestimmt unter anderem in Abweichung von einer geschichtlich weit – bis in die Antike – zurückliegende Elternunterhaltspflicht, dass Einkommen des Kindes erst ab 100.000 Euro einzusetzen ist. Im Hinblick auf den Einsatz von Einkommen in der Haushaltsgemeinschaft und die Berechnung der Leistungen müsste dies Auswirkungen auf die Regelung des § 1 Abs. 2 Bürgergeld-V haben – möglicherweise nicht nur für Kinder. § 1 Abs. 2 Bürgergeld-V müsste meines Erachtens entsprechend angepasst werden. Einkommen der Angehörigen sollte kaum noch berücksichtigt werden. Ob dann in der Folge der Verwaltungs- und Personalaufwand zur Ermittlung des Einkommens Angehöriger und zum anschließenden Abzug beim Leistungsempfänger gemäß den bisherigen Vorgaben noch gerechtfertigt ist, bezweifele ich.
Insgesamt irritiert an der Regelung zur Berechnung des Bedarfes des Leistungsempfängers in der Haushaltsgemeinschaft, dass der Angehörige, der in vielen Fällen einer „moralischen Pflicht“ nachkommt, genau dafür „bestraft“ wird. Im Ergebnis wird die ohnehin von dem Angehörigen übernommene Last zusätzlich dadurch erschwert, dass er dem Leistungsempfänger noch etwas „zustecken“ muss. Sein Einkommen wird leistungsmindernd angerechnet. Leistungsempfängern und sich sorgenden Angehörigen kann dann nur widerwillig geraten werden, „sich zu trennen“ und der Allgemeinheit die Unterhaltslast wieder aufzubürden.
Weiterhin irritiert, dass eine Differenzierung zwischen verschiedenen Verwandten und Angehörigen z. B. nach dem Grad der Verwandtschaft (wie im Unterhaltsrecht des BGB) nach einer ersten diesseitigen Einschätzung nicht erfolgt (jedenfalls nicht ausdrücklich). Dies geschieht, obwohl schon der Wortlaut der maßgeblichen Bestimmung zur Haushaltsgemeinschaft eine derartige Differenzierung nahe legt. § 9 Hilfebedürftigkeit
(1) …
(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 9 Abs. 5 SGB II spricht ausdrücklich „Verwandte“ und „Verschwägerte“ an.
Mit den folgenden Rechner können Sie Ihren Gesamtbedarf und Ihren möglichen Anspruch auf Bürgergeld überschlägig ermitteln:
§ 1 Abs. 2 Bürgergeld-V ist im Bereich des SGB XII nicht anwendbar.
Dies wird damit begründete, dass in § 39 SGB XII ein weitergehender Personenkreis erfasst werde (vgl. Conradis in Lehr und Praxiskommentar zu § 39 Rdnr. 10). Allerdings wird die Art und Weise der Berechnung bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung modifiziert durchgeführt:
Schreiben Sie einen Kommentar,
stellen Sie eine Frage