Das SGB XII kennt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt eine besondere Vermutungsregelung, wenn Menschen mit anderen Personen in einer Wohnung leben.
Es geht dabei **nicht um Verwandtschaft oder Unterhaltspflichten**, sondern allein um das **wirtschaftliche Zusammenleben** – also darum, ob Kosten gemeinsam getragen werden.
Die Folge ist regelmäßig eine Haushaltsersparnis: Wer in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, benötigt für den Lebensunterhalt weniger Geld als eine alleinstehende Person.
1. Gesetzliche Grundlage
Die maßgebliche Regelung findet sich in § 39 SGB XII.
Sie gilt für die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel und lautet (Stand 2025):
- Lebt eine leistungsberechtigte Person mit anderen Personen in einer Wohnung oder in einer sonstigen Unterkunft zusammen, wird vermutet, dass sie von diesen Personen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.
- Die Vermutung gilt nicht, wenn glaubhaft gemacht wird, dass eine Unterstützung nicht erfolgt.
Die Vorschrift knüpft also nicht an ein Verwandtschaftsverhältnis an, sondern allein an das Zusammenleben.
Damit unterscheidet sie sich vom § 9 Abs. 5 SGB II, der nur für Verwandte oder Verschwägerte gilt.
2. Vermutungsregel des § 39 SGB XII
Die Vorschrift enthält eine **doppelte Vermutung**:
1. Wer zusammenlebt, wirtschaftet gemeinsam (Haushaltsgemeinschaft).
2. Wer gemeinsam wirtschaftet, erhält Leistungen zum Lebensunterhalt von den Mitbewohnern.
Beide Vermutungen sind widerlegbar.
Der Leistungsberechtigte kann durch einfache, glaubhafte Erklärung nachweisen, dass keine Unterstützung erfolgt.
Beispiel:
Zwei Rentnerinnen teilen sich eine Wohnung, führen getrennte Haushaltskassen und kaufen jeweils für sich ein.
Dann ist die Vermutung widerlegt – trotz gemeinsamer Wohnung liegt keine Haushaltsgemeinschaft i. S. v. § 39 SGB XII vor.
3. Haushaltsersparnis und Regelbedarfsstufe 2
Die Vermutungsregelung steht in engem Zusammenhang mit der Regelbedarfsstufe 2 nach der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung.
Sie geht davon aus, dass zwei zusammenlebende Erwachsene durch gemeinsames Wirtschaften Kosten sparen – z. B. bei Miete, Strom, Heizung, Hausrat oder Lebensmitteln.
Die **Haushaltsersparnis** beträgt rund 10 % des Regelbedarfs.
Daher gilt für zusammenlebende Paare, Ehe- oder Lebensgemeinschaften und vergleichbare Wohnformen regelmäßig die Regelbedarfsstufe 2 statt 1.
Dies soll sicherstellen, dass Ehepaare **nicht schlechter gestellt** werden als andere zusammenlebende Personen (Art. 6 GG).
4. Bedeutung für die Praxis
In der Praxis wird die Anwendung des § 39 SGB XII häufig missverstanden.
Eine Haushaltsgemeinschaft liegt nicht schon dann vor, wenn Personen gemeinsam wohnen,
sondern erst, wenn eine wirtschaftliche Einheit gebildet wird („Wirtschaften aus einem Topf“).
Das BSG betonte, dass die Vermutung im Einzelfall durch plausible Angaben zu getrennten Haushaltskassen, Einkaufslisten oder Mietanteilen widerlegt werden kann, vgl. BSG, 23. Juli 2014 – B 8 SO 14/13 R.
Merke:
Allein das Teilen einer Wohnung begründet keine Haushaltsgemeinschaft.
Entscheidend ist, ob gemeinsame Mittel verwendet werden, um den Lebensunterhalt zu decken.
5. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefend zum Thema haushaltsgemeinschaft und Bedarfsgemeinschaft:



Jimmy says
Hallo guten Tag,
ein Ehepaar (mit Eigenheim) überlegt eine gute Bekannte in die Familie aufzunehmen, die bisher von Grundsicherung SGB XII in eigener Wohnung lebte. Die Bekannte ist älter und kam überraschend ins Krankenhaus und kann aktuell nicht mehr alleine zurück nach Hause. Sie hat im Krankenhaus einen Pflegegrad bekommen.
Verstehe ich § 39 richtig, dass in einem solchen Fall „Zusammenleben mit Mensch mit PG“ keine Vermutung der Bedarfsdeckung besteht? Das Ehepaar will nicht für die Bekannte aufkommen, will auch nicht alles beim Sozialamt „offen legen“, die Pflege übernähme ein Pflegedienst. Ein Untermietvertrag mit geringer Miete für ein Zimmer soll die Unterkunftskosten regeln. Als Alternative bleibt nur ein Pflegeheim.
Viele Grüße J.G.
Georg says
Guten Morgen Herr Rechtsanwalt Nippel,
meine Eltern beziehen beide Grundsicherung im Alter und wohnen zur Miete. Außerdem ist meine Mutter pflegebedürftig (Pflegegrad 4).
Mein Vater pflegt meine Mutter und erhält dafür zusätzlich 765 Euro im Monat von der Pflegekasse. Ich habe meinen Eltern angeboten, wieder zu ihnen in die Wohnung zu ziehen, um meinen Vater besser bei der Pflege unterstützen zu können. Kommt hier das Angehörigen-Entlastungsgesetz auch zur Anwendung oder müssen meine Eltern mit Abzügen bei ihrer Grundsicherung rechnen?
Mein Jahreseinkommen liegt weit unter 100.000 Euro.