Ein Dilemma für den Mandanten und den Rechtsanwalt nicht nur im Bereich der Beratungshilfe, sondern auch im Bereich des „sonstigen Sozialverwaltungsrechts“, welches der Gesetzgeber möglichst bald korrigieren sollte: Die durch die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes bereits im Vorverfahren vorgewarnte Behörde „spart“ auf Kosten des Widerspruchsführers oder des Klägers teilweise die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren im Widerspruchsverfahren.
1. Dilemma im „normalen“ Sozialverwaltungsverfahren
Die Regelungen der VV-Nrn. 3103 und 2401 führen zu dem meines Erachtens widersinnigen Ergebnis, dass derjenige, der „das Kind nicht schon frühzeitig in den Brunnen fallen lassen will“ und deshalb vorsorglich einen Rechtsanwalt schon im Vorverfahren vor dem Widerspruchsverfahren einschaltet, sich später sogar eine Kürzung der Gebühren durch die Behörde gefallen lassen muss:
Beispiel 1:
Der Mandant beauftragt bereits im Vorverfahren einen Rechtsanwalt. Die Behörde wird dadurch „vorgewarnt“, lässt sich aber nicht „beirren“ und beharrt auf ihrer Entscheidung. Das Vorverfahren muss der Mandant im Ergebnis „aus eigener Tasche“ bezahlen. Später „spart“ die Behörde sogar noch zum Nachteil des Mandanten bei der Kostenerstattung.
Im sozialrechtlichen Vorverfahren fallen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 309,40 € an.
Geschäftsgebühr gemäß VV-Nr. 2400 240,00 € Postpauschale gemäß VV-Nr. 7002 20,00 € Zwischensumme 260,00 € Umsatzsteuer gemäß VV-Nr. 7008 59,40 € Summe 309,40 € Im Widerspruchsverfahren fallen dann nur noch 166,60 € Rechtsanwaltsgebühren an, weil der Rechtsanwalt sich bereits in den Fall einarbeiten konnte.
Geschäftsgebühr gemäß VV-Nr. 2401 120,00 € Postpauschale gemäß VV-Nr. 7002 20,00 € Zwischensumme 140,00 € Umsatzsteuer gemäß VV-Nr. 7008 26,60 € Summe 166,60 € Im Klageverfahren fallen aufgrund des vorangegangenen Widerspruchsverfahrens ebenfalls nur verminderte Anwaltsgebühren in Höhe von 226,10 € statt in Höhe von 321,30 € an.
Verfahrensgebühr gemäß VV-Nr. 3103 170,00 € Postpauschale gemäß VV-Nr. 7002 20,00 € Zwischensumme 190,00 € Umsatzsteuer gemäß VV-Nr. 7008 36,10 € Summe 226,10 €
Der vorsorglich handelnde Mandant und Versicherungsnehmer wird so für sein vorsorgliches Handeln – Beauftragung eines Rechtsanwalts bereits im Vorverfahren – gebührenrechtlich „bestraft“. Er bleibt aber nicht nur auf den Kosten des Vorverfahrens sitzen:
Hätte der Mandant den Anwalt erst zum Widerspruchsverfahren hin beauftragt, müsste die Behörde „mehr erstatten“. Die Behörde müsste für das Widerspruchsverfahren die Anwaltsgebühren gemäß VV-Nr. 2400 in Höhe von 240,00 € (zzgl. Postpauschale und Umsatzsteuer) statt jetzt nur noch 120,00 € gemäß VV-Nr. 2401 erstatten. Ein Ergebnis, das nicht befriedigen kann.
2. Dilemma im Bereich der Beratungshilfe
Wird der Rechtsanwalt nach Gewährung von Beratungshilfe nur in dem Widerspruchsverfahren tätig und nicht auch in dem vorherigen Antragsverfahren, so erhält er höhere Gebühren, als wenn er zusätzlich noch in dem Vorverfahren tätig war.
Beispiel 2:
Der Rechtsanwalt wird nur im Widerspruchsverfahren tätig.
Die Behörde muss bei dem erfolgreichen Widerspruch eine Richtgebühr gemäß VV-Nr. 2400 in Höhe von 240,00 € zzgl. 20,00 € Post und Telekommunikationspauschale gemäß VV-Nr. 7002 und Umsatzsteuer gemäß VV-Nr 7008 erstatten, insgesamt also
Geschäftsgebühr gemäß VV-Nr. 2400 240,00 € Postpauschale gemäß VV-Nr. 7002 20,00 € Zwischensumme 260,00 € Umsatzsteuer gemäß VV-Nr. 7008 59,40 € Summe 309,40 €
Beispiel 3:
Der Rechtsanwalt wird auch im Vorverfahren tätig.
Für das Vorverfahren erhält der Rechtsanwalt gemäß VV-Nr. 2503 70,00 € zzgl. 14,00 € für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen und Umsatzsteuer, insgesamt also
Verfahrensgebühr gemäß VV-Nr. 2503 70,00 € Postpauschale gemäß VV-Nr. 7002 14,00 € Zwischensumme 84,00 € Umsatzsteuer gemäß VV-Nr. 7008 15,96 € Summe 99,96 € Für das erfolgreiche Widerspruchsverfahren erhält der Rechtsanwalt gemäß VV-Nr. 2401 den Richtwert in Höhe von 120,00 €, zzgl. der Postpauschale und der Umsatzsteuer, insgesamt also
Geschäftsgebühr gemäß VV-Nr. 2401 120,00 € Postpauschale gemäß VV-Nr. 7002 20,00 € Zwischensumme 140,00 € Umsatzsteuer gemäß VV-Nr. 7008 26,60 € Summe 166,60 €
Trotz Mehrarbeit und dem höherem Haftungsrisiko erhält der Anwalt für das Tätigwerden im Vorverfahren und im Widerspruchsverfahren 99,96 € und 166,60 €, also insgesamt 266,56 €. Die unterliegende Behörde muss für das Tätigwerden des Rechtsanwalts nur im Widerspruchsverfahren 309,40 € ersetzen. Ist die Behörde aber bereits durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren „vorgewarnt“, muss sie „nur“ 166,60 € ersetzen. Ein Ergebnis, das nicht befriedigen kann.
RAe Schlicht Ortmann Blase - Frau Hollack - says
Ich brauche Mal Ihre Hilfe! Habe gegenüber dem Jobcenter abgerechnet. Wir waren im Verwaltungsverfahren tätig und dann im Widerspruchsverfahren und auch anschließendem Klageverfahren. Habe natürlich bei Jobcenter alle Gebühren Nr. 2400 und 2401 abgerechnet. Nun will das Jobcenter natürlich die Erstattung der 309,40 € nicht vornehmen.
Gibt es da irgendwelche Entscheidungen, habe leider nichts passendes gefunden? Können Sie mir weiterhelfen oder braucht das Jobcenter generell diese Kosten nicht tragen. Aus dem RVG geht das nicht explizit hervor.
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
B. Hollack
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo,
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten im Widerspruchsverfahren ist § 63 SGB X.
Weitere Kosten muss das Jobcenter m. E. nicht ersetzen. Höchst ärgerlich, wenn man dann noch im Vorverfahren tätig geworden ist und jetzt die Gebühren des Widerspruchsverfahrens nur nach VV-Nr. 2401 und nicht nach 2400 ersetzt werden. Aber eine Erstattung von Kosten des Verfahrens vor dem Widerspruch sieht das SGB X nicht vor (ich lasse mich gerne eines Besseren belehren). Evtl. hilft dann eine Abrechnung über einen ggf. vorhandenen Beratungshilfeschein.
Grüße
Sönke Nippel
p.s.: die „Anrechnung“ der Geschäftsgebühr über VV-Nr. 2401 hat sich heute gemäß Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 geändert
Turrican4D says
Hallo Herr Nippel,
ich bin rechtsschutzversichert und mein Anwalt hat im Februar 2008 für mich ein Widerspruchs- und direkt im Anschluss ein Klageverfahren in Sachen einer zu niedrig angesetzten KdU gegen die Optionskommune geführt.
Das Widerspruchsverfahren war nicht erfolgreich und statt einen Erfolg des Klageverfahrens durch Urteil des zuständigen Sozialgerichts gegen die Beklagte anzupeilen, hat er am ersten und einzigen Verhandlungstag im April 2011 eine vergleichsweise Einigung angestrebt, auf die sich die Beklagte erst im Januar 2013(!) einließ.
Nun falle ich im Oktober 2013 mit einem Schrecken aus allen Wolken, als mein Anwalt mir eine Kostennote zukommen ließ, in der er sage und schreibe Gebühren für vier Widerspruchsverfahren nach VV-Nr. 2400 zzgl. Post und Telekommunikation & MWSt, also 4 x 309,40 € = 1237,60 € ansetzt und mir selbst in Rechnung stellt, mit dem Hinweis, dass meine Rechtsschutzversicherung die Kostenübernahme des Widerspruchsverfahrens mit Schreiben März 2013 verweigert habe!
Dass bei Streitigkeiten im ALG2-Bereich auch während eines laufenden Klageverfahrens weiterhin alle sechs Monate ALG2-Bescheide erteilt werden, gegen die mein Anwalt Widerspruch einlegte, heißt doch nicht automatisch, dass es sich um mehr als ein einziges Widerspruchsverfahren handelt, oder?
Außerdem hätte mein Anwalt doch vor Eröffnung des Widerspruchsverfahrens eine Deckungsanfrage bei meiner Versicherung einholen müssen, statt erst fünf Jahre später und mich im Falle einer Ablehnung darüber informieren müssen, BEVOR er ohne Rücksprache mit mir jahrelang Brief um Brief an die Behörde schickt?
Zudem hätte er doch, wenn er ein Urteil des Sozialgerichts nicht abwarten will und stattdessen lieber einen Vergleich anstrebt, darauf hinwirken müssen, dass in besagtem Vergleich die Beklagte sich verpflichtet, die Anwaltsgebühren des Klägers in voller Höhe zu übernehmen, so dass hier meines Erachtens doch ein Beratungsfehler vorliegt.
Ich bin geschockt, enttäuscht und auch ein wenig sauer und wäre für Ihre Meinung sehr dankbar.
Grüße
T.W.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Turrican,
Sie sprechen von KdU und ALG II – handelte es sich um Leistungen nach dem SGB II, um die gestritten wurde?
Warum haben Sie dann keine Prozesskostenhilfe beantragt?
Ohne genaueste Kenntnis des Vorgangs wage ich hier nicht, eine Auskunft zu treffen. Nach Ihren Angaben scheint Einiges „schief gelaufen“ zu sein.
Versuchen Sie doch ggf. einen Beratungshilfeschein von dem für Sie zuständigen Amtsgericht zu erhalten und beauftragen Sie einen Kollegen möglichst in Ihrer Nähe mit der Prüfung der Kostennote. Ggf. würde auch Ich Ihnen gerne helfen.
Grüße