1. Rechtsgrundlage & Systematik
§ 30 Abs. 5 SGB XII regelt den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in der Sozialhilfe.
Im Bürgergeld findet sich die Parallelvorschrift in § 21 Abs. 5 SGB II.
Beide Normen erkennen einen angemessenen Mehrbedarf an, wenn medizinische Gründe vorliegen.
(5) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn deren Ernährungsbedarf aus medizinischen Gründen von allgemeinen Ernährungsempfehlungen abweicht und die Aufwendungen für die Ernährung deshalb unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb eines durchschnittlichen Bedarfs für Ernährung liegen (ernährungsbedingter Mehrbedarf). …
(5)Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.
(6) …
2. Anspruchsvoraussetzungen
- Medizinischer Anlass: Krankheit/Behinderung oder drohende Erkrankung, die kostenaufwändige Ernährung erfordert.
- Kausalität & Plausibilität: Die Diät/Ernährungsform muss ärztlich begründet sein und Mehrkosten verursachen.
- Angemessenheit: Höhe richtet sich nach dem Einzelfall (kein starrer Katalog im Gesetz).
3. Nachweise & ärztliche Begründung
- Ärztliche Bescheinigung mit Diagnose(n), notwendiger Ernährungsform (z. B. Dialysediät, glutenfrei), Begründung der Mehrkosten.
- Substantiierung: Kurz darlegen, wo Mehrkosten entstehen (Spezialprodukte, erhöhte Mengen, Ergänzungsnahrungen).
- Aktualität: Bei Dauerindikationen genügt eine plausibel befristete Bescheinigung; bei Verlaufserkrankungen ggf. erneuern.
Die Verwaltung darf keine „Hochleistungs-Gutachten“ verlangen. Eine konkrete, nachvollziehbare ärztliche Begründung genügt, um die Amtsermittlung auszulösen.
4. Höhe & Orientierung (Deutscher Verein)
Zur Bemessung wird häufig auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zurückgegriffen (z. B. Mehrbedarf 10 % bei eiweißdefinierter Kost, 20 % bei Dialyse- oder Zöliakie-Diät). Diese Empfehlungen sind keine Rechtsnorm und kein antizipiertes Gutachten, werden in der Praxis aber als Orientierung genutzt.
Die Prozentwerte (z. B. 10 %/20 %) sind Richtgrößen. Entscheidend bleibt der Einzelfall und die Angemessenheit.
5. Verfahren, Antrag & Rückwirkung
- Formloser Antrag genügt; Datum sichert den Beginn.
- Rückwirkung: Nachträgliche Bewilligung ist möglich, aber begrenzt (bitte frühzeitig beantragen; bei verspäteter Kenntnis ggf. Überprüfungsantrag stellen).
- Bewilligungszeitraum: Bei Dauerindikationen (z. B. Zöliakie) längere Befristung sinnvoll; ansonsten Verlaufsprüfung.
Nur auf „DV-Empfehlungen“ verweisen reicht nicht. Immer medizinisch begründen (Diagnose, Diät, Mehrkosten) – sonst Ablehnung wegen fehlender Substantiierung.
6. Praxisfälle & Abgrenzung
- Zöliakie/Glutenintoleranz: regelmäßig erhebliche Mehrkosten — häufig 20 % als Orientierung.
- Niereninsuffizienz: eiweißdefinierte Kost (10 %) / Dialysediät (20 %).
- „Vollkost“-Indikationen: meist kein Mehrbedarf (durch Regelbedarf abgedeckt), außer im begründeten Ausnahmefall.
Unterschied zu (Merkzeichen G-Mehrbedarf) bzw. zu (Alleinerziehenden-Mehrbedarf): anderer Rechtsgrund, andere Beweisführung.
7. Häufige Fragen
Brauche ich zwingend konkrete Kassenbons?
Nicht zwingend. Ärztliche Begründung + plausible Darstellung der Mehrkosten reicht typischerweise. Kassenbons können helfen, sind aber kein Muss.
Sind die Prozentsätze fest?
Nein. Die Werte (10 %/20 % …) sind Orientierung. Entscheidend bleibt die Angemessenheit im Einzelfall.
Gilt das Gleiche im Bürgergeld?
Ja, ist die Parallelvorschrift. Begründungslogik und Praxis ähneln sich.
8. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu Mehrbedarfen, Mehrbedarf für behinderte Menschen, Erstausstattung, …:

Tanja says
Hallo,
ich bekam wegen ärztlich attestierter Zöliakie Erkrankung vom Jobcenter lediglich 44,90€ Mehrbedarf pro Monat zugesprochen, anstatt von 89,90€ pro Monat.
Kann ich dagegen erfolgreich Widerspruch einlegen?
Laut meiner Internet Recherche müssten 20% der Regelleistungen anerkannt werden.
Meine Sachbearbeiterin hat das einfach mal halbiert.
Das ist nicht ausreichend, da die glutenfreie Kost sehr kostenintensiv ist.
Danke im voraus für die Antwort.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Tanja,
also: ich finde hier in den oben verlinkten Empfehlungen des Deutschen Vereins auf Seite 12 Regelwerte für Krankheitskostenzulagen (Abschnitt III. 3.5.), die besagen, dass bei Zöliakie/Sprue ein Regelwert von 20 % der Regelbedarfsstufe 1 gilt.
Klebereiweiß Gluten)
Allerdings heißt es ausdrücklich vor der abgedruckten Tabelle (Link s. o., Seite 12):
Im Einzelfall mag eine angemessener Mehrbedarf von 10 % gerechtfertigt sein (hier muss ich allerdings darauf hinweisen, dass ich kein Mediziner bin). Eine derartige Abweichung müsste nach meiner ersten Einschätzung aber auch gesondert begründet werden. Jedenfalls wenn Sie den erhöhten Mehrbedarf nachweisen können, dürfte ein Widerspruch gegen die Entscheidung entgegen den Empfehlungen Aussicht auf Erfolg versprechen. Dies dürfte auch gelten, wenn die Abweichung von den Empfehlungen überhaupt nicht (nachvollziehbar) begründet wird.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Hupa Gerhard says
Hallo,
mein Sohn bekommt Grundsicherung und hat aG 100%B mit Begleitperson.
Kann mein Sohn wegen COPD einen Mehrbedarf wegen Ernährung schwerer Erkrankung mit erheblicher Beeinträchtigung bekommen?
mfG. G. Hupa
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Gerhard,
bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 SGB XII wird ebenfalls ein Mehrbedarf gewährt.
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen G könnten durchaus auch bei der Lungenkrankheit vorliegen.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Nike says
Hallo
Ich habe leider Nahrungsmittel-Allergien und zusätzlich noch eine Histamin-Intoleranz. Außerdem auch noch einen Orange/grünen Schwerbehindertenausweis mit Wertmarke und G. Wie viel Mehrbedarf steht mir zu, falls diese genehmigt würde ?
Mit freundlichen Grüßen
Nicoletta Roth
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Nike,
grundsätzlich muss der tatsächliche Mehrbedarf in vollem Umfang finanziell abgedeckt werden. Entscheidend ist, was im Hinblick auf die dem Mehrbedarf zugrunde liegende Erkrankung ernährungswissenschaftlich notwendig ist. … tja … leider kann ich da nicht konkreter werden …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt