Kurz erklärt: Merkzeichen G wird vergeben, wenn die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Leitplanke: eine übliche Wegstrecke von ≈ 2 km in ≈ 30 Minuten kann nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten/Gefahren bewältigt werden. Maßgeblich sind § 229 SGB IX, § 228 SGB IX und die Versorgungsmedizinische Grundsätze (VersMedV, Teil D).
1. Voraussetzungen (§ 229 SGB IX & VersMedV)
Nach § 229 SGB IX ist erheblich beeinträchtigt, wer infolge gesundheitlicher Störungen übliche Wegstrecken nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren zurücklegen kann. Konkretisiert wird dies in Teil D der Versorgungsmedizinische Grundsätze (VersMedV).
2. 2-km/30-Min-Richtschnur
Als ortsübliche Wegstrecke gilt eine Strecke von etwa 2 km, die in etwa 30 Minuten zu Fuß zurückgelegt wird (ebener Weg, leichte Steigungen zulässig). Wird dies behinderungsbedingt nicht erreicht, spricht das stark für „G“.
3. Typische Fallgruppen (Teil D VersMedV)
- Untere Gliedmaßen/LWS: Funktionsstörungen, die für sich GdB ≥ 50 bedingen, oder besonders gehrelevante Schäden (z. B. ungünstige Versteifungen, pAVK).
- Innere Leiden: Herzleistung mind. Gruppe 3, Atembehinderungen mit mind. mittlerer Funktionsminderung, sonstige schwere Leistungsminderung (z. B. ausgeprägte Anämie).
- Anfälle/Diabetes: relevante Tages-Anfallsfrequenz (bzw. häufige Hypoglykämien) mit Gefährdung im Straßenverkehr.
- Orientierungsstörungen: bei hochgradigen Seh-/Hörstörungen oder geistiger Behinderung – wenn sichere Orientierung auf üblichen Wegen nicht mehr gewährleistet ist.
4. Abgrenzung zu aG & orangener Parkausweis
aG vs. G
aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) verlangt eine weit stärkere Einschränkung (enge, in VersMedV Teil D definierte Fälle; behindertenparkplatzberechtigend mit blauem EU-Ausweis).
„G“ allein berechtigt nicht zum Parken auf Behindertenparkplätzen. Mit „G“ kommt häufig der orangefarbene Parkausweis für Parkerleichterungen in Betracht (kommunale Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO).
Vertiefungen:
5. Nachweise & Begutachtung
- Medizinisch: aktuelle Befunde/Arztberichte (Diagnose, Befund, Leistungsbild, Wegstrecke, Gangbild, Atemnot-Klassen, Anfallsfrequenz).
- Funktional: Angabe der max. schmerz-/luftnot-freien Gehstrecke, Pausenbedarf, Hilfsmittel, Treppenfähigkeit, Sturzrisiko.
- Alltag: typische Wege (Arzt, ÖPNV-Haltestelle, Einkauf), Wegezeiten und Abbrüche dokumentieren.
6. Nachteilsausgleiche (§ 228 SGB IX)
Mit „G“ besteht i. d. R. Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr nach § 228 SGB IX, wenn eine Wertmarke gelöst wird (Ausnahmen von der Eigenbeteiligung in besonderen Fällen). Weitere Vergünstigungen ergeben sich aus Landes-/Kommunalrecht.
7. Häufige Fragen
Reicht ein kurzer Attest-Satz („kann nur 10 Minuten gehen“)?
Nein. Entscheidend ist eine nachvollziehbare Funktionsdarstellung (Diagnose + belastbare Angaben zu Gehstrecke, Pausen, Risiken). Je konkreter, desto besser.
Ist die 2-km/30-Min-Grenze starr?
Nein. Sie ist eine Richtschnur. Es kommt auf das Gesamtbild der Beeinträchtigung an (VersMedV Teil D).
Bekomme ich mit „G“ einen Behindertenparkplatz?
Nein. Behindertenparkplätze erfordern den blauen EU-Ausweis (i. d. R. bei aG). Mit „G“ ist aber der orange Ausweis mit Parkerleichterungen möglich.
Kann „G“ auch bei inneren Krankheiten vorliegen?
Ja. Entscheidend ist die gehbezogene Leistungsbegrenzung (z. B. Herzleistung Gruppe 3, relevante Atemfunktionsstörung).
8. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefungen & verwandte Themen:
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§ 228 SGB IX ·
Versorgungsmedizinische Grundsätze ·
§ 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO
Edith Delf says
Darf ich mit meinen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „G“ erheblich gehbehindert einen Behindertenparkplatz z.B. vor öffentlichen Gebäuden benutzen? Der Bescheid ist etwas unverständlich formuliert.
Danke!
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Delf,
ich gehe zunächst davon aus, dass nur die Feststellung der „außergewöhnlichen Gehbehinderung“ (Merkzeichen aG) die Gewährung von Parkerleichterungen gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO nach sich zieht (vgl. dazu den Artikel „Schwerbehindertenrecht – Merkzeichen aG (Außergewöhnliche Gehbehinderung)„.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Birgit Voelkl says
Kann ich mit einer Lungenfunktion von leider nur noch 57% eine Erweiterung meines Schwerbehindertenausweises beantragen? Momentan habe ich einen Ausweis über 30% wegen meiner Osteoporose. Würde dann das Merkzeichen „G“ für mich in Frage kommen?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Frau Voelkl,
schauen Sie einmal in die Versorgungsmedizin-Verordnung (Teil B (GdS-Tabelle), 8. und zu Teil D (Merkzeichen), 1 d):
Sollte bei Ihnen eine Einschränkung mittleren Grades (s. o. Teil B zu 8.3) vorliegen, dann ist jedenfalls ein GdS von zumindest 50 gegeben. Auch die Voraussetzungen des Merkzeichens G könnten vorliegen.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Luck says
Bin voriges Jahr überfallen worden, habe seit dem Angst alleine raus zu gehen. Nach sechs Jahren Rente hat mich der Gutachter als gesund, beschrieben. Habe 50% G, wollte eine Begleitung mitbringen wegen meiner Angst, der Gutachter sagte, nein.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Luck,
soll der Bescheid zur Festsetzung des GdB von 50 aufgehoben werden?
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Danny says
Guten Tag,
zählen denn zu dem inneren Leiden auch psychische Krankheiten, wie Depressionen, extreme Angst- und Panikattacken, die sich u.a. aufs Gehvermögen auswirken ?
Danke für eine Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
D.
Renate Reichert says
Ich habe einen Schwerbehindertenausweis – 50 % G –
Darf ich nach Zahlung von € 2,00 den P und R Parkplatz nutzen, wenn ich eine Kopie des Schwerbehindertenausweises und Kopie der Wertmarke an die Frontscheibe lege?
Irina Maus says
Hallo Frau Sönke Nippel,
ich habe den Antrag gestellt auf „Orangenen “ Parkausweis gestellt und am Samstag 22.07.2023
Ablehnung bekommen haben mit der Begründung : „Dass die Voraussetzungen gem. Erlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes NRW von 02.07.2009 nicht erfüllt sind.
und bei mir seit 2007 habe ich 100% „G“-Behinderung / und noch weitere zusätzliche Krankheiten… Diabetes Typ II.
Wie ist ihre Meinung ist das richtig, oder nicht?
Gruß Frau I.M.
Bitte um den Antwort !
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Frau Maus,
schauen Sie sich doch einmal den Beitrag „aG – light – der orange Parkausweis“ an. Dort scheint mir neben dem Merkzeichen G das Merkzeichen B für eine „automatische Berücksichtigung“ von Bedeutung zu sein. Das haben Sie nicht. Der Hinweis auf den Erlass von 2009 dürfte korrekt sein.
Ob allerdings bei Ihnen die Voraussetzungen für das Vorliegen des Merkzeichens aG vorliegen, ist für mich aus der Ferne nur schwer zu beurteilen. Soweit ich dies überblicke, gibt es keinen „Automatismus“, dass bei einem GdB von 100 und Merkzeichen G Merkzeichen die Voraussetzungen des Vorliegens von Merkzeichen aG gegeben sind (vgl. Sie zu dem Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens aG den Beitrag „Merkzeichen aG: außergewöhnliche Gehbehinderung„).
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Hermann says
Hallo!
Es ist schön, dass man einen kostenfreien Beförderungsanspruch hat. Nur nutzt dieser nichts, wenn kein Bus (u.a.) in der Nähe hält. Gibt es ein einklagbares Recht? Hier ist der nächste Bushalt 3,5 km entfernt. Er könnte genausogut auf dem Mond sein! Beides unerreichbar.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Hermann,
Ihr Recht müsste sich aus einer öffentlichen Pflicht herleiten lassen. Aus Bundes- und Landesgesetzen kann ich eine derartige Pflicht allenfalls aus den Gemeindeordnungen, z. B. aus § 8 GO NRW herleiten – die Gemeinden schaffen innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Betreuung ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen.
In der Bestimmung deutet sich allerdings u. a. aus dem Tatbestandsmerkmal „innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit“ schon eine erste Problematik im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit an.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt