§ 103 SGG – Amtsermittlungsgrundsatz (mit Kommentierung)
(4 Beiträge mit § 103 SGG – Amtsermittlungsgrundsatz (mit Kommentierung))
1. Gesetzestext (Stand: 30.09.2025)
- Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
👉 Enthalten im SGG
2. Kommentierung
I. Grundgedanke
Der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG, auch Untersuchungsgrundsatz oder Offizialmaxime) trägt dem öffentlichen Interesse an der materiellen Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung Rechnung.
Das Gericht muss alle zur Sachaufklärung erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Im Verwaltungsverfahren findet sich die Parallele in § 20 SGB X.
II. Reichweite der Aufklärungspflicht
– Gegenstand ist der Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG).
– Nur rechtserhebliche Tatsachen sind aufzuklären; absolute Gewissheit ist nicht erforderlich.
– Die Aufklärungspflicht gilt in jeder Lage des Verfahrens, besonders vor der mündlichen Verhandlung, vgl. § 106 SGG.
III. Mitwirkungspflichten der Beteiligten
Die Beteiligten sind heranzuziehen (§ 103 S. 1 HS. 2 SGG).
Ihre Mitwirkungspflichten richten sich nach den §§ 60–67 SGB I.
Unterlassen sie Mitwirkung, kann das für sie beweisrechtliche Nachteile haben; das Gericht bleibt aber zur Amtsermittlung verpflichtet.
IV. Verhältnis zu Vorbringen und Beweisanträgen
Das Gericht ist an Vorbringen und Beweisanträge nicht gebunden (§ 103 S. 2 SGG).
Es muss sich aber mit Beweisanträgen auseinandersetzen und sie in den Entscheidungsgründen würdigen.
Für die Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG) ist eine Rüge nur möglich, wenn sie sich auf einen (abgelehnten) Beweisantrag stützt.
V. Verhältnis zu § 109 SGG
§ 109 SGG schränkt § 103 SGG ein, indem auf Antrag ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden muss.
Dieser Antrag ist aber kein Beweisantrag im Sinn des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG.
VI. Entstehungsgeschichte (BT-Drs.)
BT-Drs. 3/40 (1953 – Entwurf SGG)
Bereits im ursprünglichen Entwurf wurde der Amtsermittlungsgrundsatz als tragendes Prinzip des sozialgerichtlichen Verfahrens hervorgehoben. Der Gesetzgeber wollte ein Verfahren schaffen, das der besonderen Schutzbedürftigkeit der Sozialleistungsberechtigten entspricht und nicht allein auf Parteivortrag angewiesen ist.
BT-Drs. 7/868 (1973 – Reformüberlegungen)
In den Materialien wird die Rolle der Mitwirkungspflichten betont: Die Amtsermittlung entbindet die Beteiligten nicht von ihrer Pflicht, den Sachverhalt zu fördern. Der Untersuchungsgrundsatz bleibt jedoch Kernbestand der sozialgerichtlichen Prozessordnung.
3. Beitragsliste
In den folgenden Beiträgen habe ich § 103 SGG angesprochen – insbesondere zur Abgrenzung zu § 109 SGG und zur Bedeutung für die Revision:
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