Grundsätzlich gilt sowohl für das Sozialverwaltungsverfahren als auch für das Sozialgerichtsverfahren das Prinzip der Amtsermittlung gemäß § 20 Untersuchungsgrundsatz
(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 20 SGB X und § 103 – Amtsermittlungsgrundsatz
Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 103 SGG, wonach der Leistungsträger und die Gerichte den Sachverhalt selbst erforschen müssen.
Bei der Aufklärung des Sachverhalts ist aber eventuell auch die Mitwirkung des Leistungsberechtigten oder eines Dritten erforderlich. Für diese Konstellationen regeln im SGB I die Mitwirkung des Leistungsberechtigten
§ 60 Angabe von Tatsachen
§ 61 …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§§ 60 ff. SGB I die allgemeinen Mitwirkungspflichten des Leistungsempfängers und z. B. die §§ 56 ff. SGB II spezielle Mitwirkungspflichten des Empfängers von Leistungen nach dem SGB II.
1. Wo sind die Mitwirkungspflichten geregelt?
Die §§ 60 ff. SGB I regeln Einzelheiten bezüglich der Mitwirkungspflichten ausschließlich des Leistungsberechtigten.
Die Vorschriften der §§ 60 bis 64 SGB I betreffen ausdrücklich nur das Leistungsverfahren. Die Vorschriften gelten auch im Erstattungsverfahren. Darüber hinaus können die Mitwirkungspflichten im Zusammenhang mit aus dem Sozialrechtsverhältnis stehenden Nebenpflichten gelten. Außerhalb des Leistungsverfahrens gelten die Vorschriften teilweise entsprechend. Im sozialversicherungsrechtlichen Auskunftsverfahren gelten gemäß dem SGB IV z. B. besondere Vorschriften (z. B. §§ 28 o, 148, … SGB IV).
2. Welche Mitwirkungspflichten kennt das SGB I?
Mit den §§ 60-64 SGB I wird der Leistungsträger ermächtigt,
- den Leistungsberechtigten zur Angabe von Tatsachen (§ 60 Angabe von Tatsachen
(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 60 SGB I ), - den Leistungsberechtigten auch zum persönlichen Erscheinen (§ 61 Persönliches Erscheinen
Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 61 SGB I), - zu ärztlichen und psychologischen Untersuchungen (§ 62 Untersuchungen
Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 62 SGB I), - zu Heilbehandlungen (§ 63 Heilbehandlung
Wer wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf Verlangen …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 63 SGB I) - oder der Teilhabe an berufsfördernden Maßnahmen(§ 64 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Wer wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 64 SGB I).
aufzuzfordern.
Nach § 60 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält (oder diese zu erstatten hat), alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind. Auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers hat er der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Weiter hat er Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Sofern sich in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, Änderungen ergeben, hat der Leistungsberechtigte dies unverzüglich mitzuteilen.
Da es dem Leistungsträger oft nicht möglich ist, alle mit der Sozialleistung zusammenhängenden Fragen schriftlich zu klären, spricht § 61 SGB die schon bisher übliche und in einigen Sozialleistungsbereichen auch ausdrücklich genannte Pflicht zum persönlichen Erscheinen aus, soweit es zur Entscheidung über die Sozialleistung notwendig ist (vgl. Bundesregierung, Drucksache 7/868 vom 27. Juni 1973, Seite 33 zu § 61 SGB I).
§ 62 SGB I stellt klar, dass ärztliche und psychologische Untersuchungen grundsätzlich nicht verweigert, aber auch nur dann verlangt werden dürfen, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen nicht in anderer Weise, etwa durch ärztliche Atteste, geklärt werden können (vgl. Bundesregierung, Drucksache 7/868, Seite 33 zu § 62 SGB I).
Die Pflicht gemäß § 63 SGB I, sich einer erfolgversprechenden Heilbehandlung zu unterziehen, besteht in allen in Betracht kommenden Sozialleistungsbereichen (vgl. Bundesregierung, Drucksache 7/868, Seite 33 zu § 63 SGB I).
§ 64 SGB I erstreckt in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtspraxis die Grundsätze, die für die Heilbehandlung gelten, auf die Teilnahme an berufsfördernden Maßnahmen (z. B. Fortbildungs- und Umschulungskurse – vgl. Bundesregierung, Drucksache 7/868, Seite 33 zu § 64 SGB I).
3. Gelten Mitwirkungspflichten grenzenlos?
Eine Mitwirkung kann nur in den Grenzen des § 65 Grenzen der Mitwirkung
(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit
1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder
2. ihre …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 65 SGB I gefordert werden.
Die Erfüllung der Mitwirkungspflicht muss angemessen und zumutbar sein, § 65 Grenzen der Mitwirkung
(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit
1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 65 Abs. 1 Nrn. 1 und § 65 Grenzen der Mitwirkung
(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit
1. …
2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)2 SGB I. Der Beschaffungsaufwand ist zu berücksichtigen, § 65 Grenzen der Mitwirkung
(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit
…
3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I. Bestimmte Behandlungen und Untersuchungen können abgelehnt werden, § 65 Grenzen der Mitwirkung
(1) …
(2) Behandlungen und Untersuchungen,
1. bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann,…
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 65 Abs. 2 SGB I.
4. Welche Folgen kann eine Verletzung der Mitwirkungspflicht haben?
Der Leistungsberechtigte kann vom Leistungsträger nicht gezwungen werden, den zuvor genannten Aufforderungen nachzukommen. Entsprechende fehlende Mitwirkung kann aber im Rahmen von § 66 Folgen fehlender Mitwirkung
(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 66 SGB I zur Entziehung oder Versagung von Leistungen führen. Voraussetzung dafür ist jedoch unter anderem eine vorherige schriftliche Belehrung des Betroffenen und dass die Aufklärung des Sachverhaltes ohne die Mitwirkung tatsächlich erheblich erschwert wird.
Die schriftliche Rechtsfolgenbelehrung gemäß § 66 Folgen fehlender Mitwirkung
…
(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folgen schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 66 Abs. 3 SGB I muss klar, verständlich, vollständig und richtig sein, sonst kann die Belehrung ihre Warn- und Hinweisfunktion nicht erfüllen. Eine angemessene Frist zur Nachholung muss gesetzt werden. Geschieht dies nicht, hätte dies die Folge, dass eine Versagung und Entziehung von Leistungen nicht mehr in Betracht kommt. Insgesamt muss für den Adressaten der schriftlichen Rechtsfolgenbelehrung die Möglichkeit bestehen, zu erkennen, welche Mitwirkung von ihm verlangt wird und ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, die Mitwirkungspflicht nachholen zu können.
Zur schriftlichen Rechtsfolgenbelehrung gemäß § 66 Abs. 3 SGB I vergleiche auch den Beitrag:
5. Kann der Berechtigte Ersatz für seine Aufwendungen verlangen?
Auf Antrag kann der Berechtigte auf ein Verlangen des Leistungsträgers zur Mitwirkung nach den §§ 61 und 62 SGB I (persönliches Erscheinen und ärztliche Untersuchungen) Ersatz der notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang verlangen, § 65 a Aufwendungsersatz
(1) Wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach den §§ 61 oder 62 nachkommt, kann auf Antrag Ersatz seiner notwendigen Auslagen und seines Verdienstausfalles in angemessenem Umfang erhalten. …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 65 a Abs. 1 S. 1 SGB I. Auch Verdienstausfall kann ggf. geltend gemacht werden. Aufwendungen bei einer Anordnungen des „persönlichen Erscheinens“ sollen Aufwendungen nur in „Härtefällen“ ersetzt werden, § 65 a Aufwendungsersatz
(1) …Bei einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach § 61 sollen Aufwendungen nur in Härtefällen ersetzt werden.
(2) …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 65 a Abs. 1 S. 2 SGB I.
Zu den notwendigen Aufwendungen gehören Geldausgaben für Fahrt-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten sowie sonstigen Kosten z. B. für eine notwendige Begleitperson oder eine Haushaltshilfe.
netloy says
Hallo,
ich leide unter diagnostizierter antisozialer Persönlichkeitsstörungen (u.a. auch Hypertonie Stufe 2, Hypertrophy-Herz, Schilddrüsenunterfunktion und Testeron, also hormonelle Störungen mit starken Stimmungsschwankungen. Das heißt, ich kann, wenn ich auch will, kann ich nicht geforderte Aufgaben in dem Maße erfüllen wie Gesunde. Kann ich dann bei Verweigerung der Vorlage von Kontoauszügen sanktioniert werden?
Steht übrigens auch im Rentengutachten Erwerbsminderung, welcher der Grundsicherung vorliegt.
Besten Dank für eine Antwort
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo netloy,
zunächst würde ich an die „Grenzen der Mitwirkung“ gemäß § 65 Genzen der Mitwirkung
(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit
1. …
2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I denken. Möglicherweise kann Ihnen die Mitwirkung aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Zet says
Hallo bzgl. der Mitwirkungspflicht hätte ich da auch eine Frage.
Und zwar wird vom Jobcenter (einer Optionskommune) ein Merkblatt unterschrieben (Unterschrift das Merkblatt erhalten zu haben) zurückgefordert für die weitere Bearbeitung meines Antrages.
Muss ich dem Nachkommen im Sinne der Mitwirkungspflicht und welche weiteren Folgen hätte die Verweigerung meiner Unterschrift auf dem Dokument?
Alex N says
Ich bin aktuell wegen Erschöpfungssyndrom im Krankenstand. Ursprünglich hatte ich eine Reha zugesagt bekommen (Antritt: 3 Monate vor Ablauf des Krankentagegeldes). Aufgrund Corona habe ich die Reha nun abgesagt. Die Krankenkasse fordert mich jetzt auf die Reha bis 2.10.2020 anzutreten. Konsequenz wäre die Entziehung der Leistungen, sprich des Krankengeldes.
Wie kann ich weiterhin argumentieren, um der Reha zu entgehen?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Alex N,
Ihnen droht, dass die Gewährung von Krankengeld zu Recht wegen mangelnder Mitwirkung auf der Grundlage von § 66 Abs. 2 SGB I versagt werden wird.
Bei Bewilligung einer Reha ist die Erwartung begründet, dass die Durchführung der bewilligten Reha-Maßnahme eine Besserung des Gesundheitszustands des Versicherten herbeiführen wird.
Ob diese Erwartung auch in „Corona-Zeiten“ gilt, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber … warum sollte dies nicht auch in Corona-Zeiten gelten?
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Jennifer D. says
Schönen Abend,
ich bin im Krankengeldbezug und wurde nun von der Krankenkasse aufgefordert ärztliche Unterlagen einzufordern, da dies die Krankenkasse ohne Erfolg einige Wochen versucht hätte.
Ich war in einer stationären Behandlung.
Wie soll mir das nun gelingen, wenn die Krankenkasse nicht an die Unterlagen gekommen ist? Mir wurde Mitwirkung genannt und Drohung Einstellung der Leistungen. Frist von 8 Tagen habe ich bekommen.
Ich hoffe Sie können helfen.
Vielen Dank.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Jennifer,
ist der folgende Beitrag für Sie evtl. relevant?
Beendigung der Arbeitsunfähigkeit durch die Krankenversicherung
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Regina says
Ich habe am 01.07.2019 auf Leistungen nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch verzichtet, da mein Mann und ich noch Barvermögen hatten.
In dieser Erklärung steht: Durch die Erklärung werden meine Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff. SGB I nicht berührt. Daher bin ich verpflichtet für den laufenden Bewilligungsabschnitt meinen Mitwirkungspflichten gegenüber dem Jobcenter nachzukommen.
Ich habe seitdem nichts mehr vom Jobcenter gehört. Wird die Zeit als Anrechnungszeit für mein Rentenkonto geführt, oder nicht?
Mike24 says
Hallo,
wenn ein Sachbearbeiter für eine Wohnung eine – von ihm geforderte – Mietbescheinigung erhält, und danach den unterschriebenen Mietvertrag einsehen will, und ohne diese Einsicht die Miete bei der GruSi nicht berücksichtigt, überschreitet dieser nicht Grenzen?
Er unterstellt einem, einer Mitwirkungspflicht nicht (!) nachzukommen. Aber aus der Mietbescheinigung gehen doch alle Kosten hervor.
Warum „überzieht“ dieser Mitarbeiter so?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Mike,
wenn das so geschehen ist wie sie es darstellen, ist das einfach ein falsches Handeln der Behörde.
Aber: was hat der Sachverständige mit der Entscheidung zur Bewilligung von Kosten der Unterkunft zu tun? Die Behörde – nicht der Sachverständige – entscheidet. Entscheidet die Behörde aufgrund fehlerhafter Tatsachenermittlungen, sollten Sie den entsprechenden Bescheid einfach entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung angreifen und ausführen, dass der Sachverhalt fehlerhaft ermittelt wurde. Meines Erachtens sollten Sie allerdings auf eine entsprechende Nachfrage der Behörde den Mietvertrag vorlegen.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
RICHARD says
Meine Tochter ist Studentin und hat Bafög beantragt. Da sie vermutlich die Kriterien für eine elternunabhängige Förderung nicht erfüllt, hat sie kurze Zeit später bei der zuständigen Wohngeldstelle auch Wohngeld beantragt. Diese Antrag wurde nun negativ beschieden mit der Begründung fehlender Mitwirkung nach 66 SGB i in Verbindung mit 60 SGB i. Konkret weil Sie keinen Bafög Ablehnungsbescheid vorlegen konnte, weil dieser noch nicht ergangen ist. Die Wohngeldstelle war über diesen Umstand fristgerecht informiert. Was tun?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Richard,
Studenten haben ggf. einen Anspruch auf Unterhalt gegenüber ihren Eltern (in der Regel bis zum Abschluss der Ausbildung). Nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 WoGG besteht kein Anspruch, wenn Leistungen zur Förderung der Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach in Frage kommen. … das BAföG ist das speziellere Gesetz und schließt die Anwendung anderer Förderungen weitgehend aus …
… das zuvor Ausgeführte wäre m. E. die richtige Begründung für die Ablehnung … eine fehlende Mitwirkung (Antrag BAföG) „eigentlich“ nicht … (Ihre Tochter hat Ihnen gegenüber ja nach Ihren Angaben wahrscheinlich einen Anspruch) …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Angela says
Ich bin Bezieher von „Grundsicherung im Alter“ nach SGB XII und soll unter Androhung der Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I bis zum 15.8.23 (Eingang 29.7.23) einen Antrag auf Wohngeld stellen, da hier § 2 SGB XII Nachrang der Sozialhilfe greife. Außerdem wird mir mitgeteilt, dass die Leistungen bis zum 30.8.23 befristet werden.
Greift die Mitwirkungspflicht in meinem Fall, denn ich soll ja in Wirklichkeit aus dem System der Grundsicherung im Alter (ich bin 72 Jahre alt) ausscheiden.
Kann ich in das System Wohngeld gezwungen werden, das mich hinsichtlich meiner Rechte auf Zuwendung im Alter schlechter stellt als die „Grundsicherung im Alter“ schlechter stellt?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Angela,
„eigentlich“ können Sie durch den Bezug von Wohngeld nicht schlechter als beim Bezug von Leistungen nach dem SGB XII stehen. Darauf ist „eigentlich“ die gesamte Gesetzessystematik ausgerichtet. Dies ist auch verständlich: Derjenige, der sich (fast) gänzlich selbst versorgen kann und dies durch seine Lebensleistung erwirtschaftet hat, soll möglichst besser stehen, als derjenige, der das nicht erwirtschaftet hat.
Also: Nachteile dürften durch den Bezug von Wohngeld nicht entstehen! Die Anspruchshöhe beim Wohngeld müsste höher sein als bei der Grundsicherung. Dies gilt insbesondere nach den jüngsten Änderungen zum Wohngeld, bei der auch die Betriebskosten bei der Berechnung des Wohngeldes berücksichtigt werden müssen).
Aber: Das Bundessozialgericht entschied im Hinblick auf § 2 Abs. 1 SGB XII (dort ist der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe festgelegt), dass § 2 SGB XII im Hinblick auf das Wohngeld keine Ausschlussnorm ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2021, B 8 SO 2/20 R).
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Michaela says
Guten Tag,
meine Eltern sind Bezieher „Grundsicherung im Alter“. Diese wird Ihnen seit 2015 gewährt, inkl. Zahlung der Mietkosten. Leider wurde die Miete Ende letztes Jahr erhöht. Das Amt hat meine Eltern daher mit einer Frist von 6 Monaten zur Senkung der Mietkosten bis zum 30.06.2024 aufgefordert.
Leider sind meine Eltern schon seit einiger Zeit krank. Meine Mutter (u. a. deshalb) mental, mein Vater körperlich und er hat außerdem im August zwei lebensbedrohliche Operationen vor sich. Daher sind beide (derzeit) gesundheitlich nicht umzugsfähig.
Sie haben aber trotzdem in den vergangenen Monaten im Internet (und t. w. Zeitung) nach einer günstigeren Wohnung gesucht, aber leider nicht ein passendes Angebot gefunden.
Diese Umstände haben wir dem Amt schriftlich mitgeteilt.
Daraufhin fordert das Amt jetzt bis zum 10.06.2024 konkrete Nachweise über die Wohnungssuche und eine umfassende ärztliche Stellungnahme. Und wenn dies nicht geschieht, droht das Amt mit dem Versagen von weiteren Leistungen gemäß § 66 SGB I.
Die Recherche nach einer passenden Wohnung fand hauptsächlich im Internet statt. Und weil keine passenden Angebote gefunden wurden, gibt es darüber auch keine Nachweise. Sie erhalten aber eine ärztliche Stellungnahme von ihrem Arzt bzgl. Umzugsunfähigkeit.
Frage: das Amt kann meine Eltern nicht zwingen auszuziehen, aber kann das Amt meine Eltern zur Wohnungssuche zwingen? Und wenn dies nicht geschieht, kann dann das Amt wie angedroht gemäß § 66 SGB I die komplette Grundsicherung Versagen?
Bedanke mich im Voraus für Ihre Antwort.
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Michaela,
Ihre Eltern haben tatsächlich eine Mitwirkungspflicht.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden nur in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind, § 35 Bedarfe für Unterkunft und Heizung
(1) Bedarfe für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese anerkannt sind …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Ausdrücklich regelt jetzt § 35 Abs. 2 und 3 SGB XII, dass eine Aufforderung zur Kostensenkung durch Wohnungswechsel erfolgen soll, wenn die Kosten nicht angemessen sind. Voraussetzung ist aber, dass der Wohnungswechsel möglich und zumutbar ist, § 35 Bedarfe für Unterkunft und Heizung
…
(3) … Satz 1 gilt für die Aufwendungen für Heizung und nach Ablauf der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 6 für die Aufwendungen für Unterkunft so lange, bis es diesen Personen möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 35 Abs. 3 S. 2 SGB XII. Außerdem darf der Wechsel auch nicht gefordert werden, wenn der Wohnungswechsel unwirtschaftlich wäre, §§ 35 Bedarfe für Unterkunft und Heizung
…
(3) … Eine Absenkung der nach Absatz 1 Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 35 Abs. 3 S. 3 SGB XII.
Jedenfalls kann das Amt Ihre Eltern nicht zwingen, umzuziehen. Nach Ablauf der sechs Monate kann das Amt nur den Ersatz der Kosten für die Unterkunft auf die angemessenen Kosten begrenzen. Dies gilt aber nur, wenn die oben genannten Voraussetzungen (möglicher und zumutbarer Wohnungswechsel und keine Unwirtschaftlichkeit des Wohnungswechsels) vorliegen.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Walter Ewa says
Ich habe am 11.03.2024 einen Antrag auf Grundsicherung im Alter gestellt, da ich nicht einmal 50 Euro Rente bekomme. Jetzt wurde schon zum vierten mal irgentwelche Unterlagen nachgefordert.
Ich bin immer der Aufforderung sofort nachgekommen und habe die Unterlagen persönlich abgegeben. Jetzt habe ich schon seit einer Woche nichts mehr von der Behörde gehört. Obwohl die Dringlichkeit der Hilfe bekannt ist, warte ich schon seit 4 Monaten auf einen Bescheid. Wenn die Miete nicht gezahlt wird, bekomme ich eine fristlose Kündigung. Der Kühlschrank ist leer und mein Konto im Minus. Die Frage ist, ob ich mir besser Rechtsbeistand holen soll oder noch weiter abwarten bis Alles nicht mehr weiter geht. Ich bin völlig verzweifelt.
Josie56 says
Guten Tag, ich habe folgenden Sachverhalt:
K, der einem Beruf nachgeht und eine Familie hat, leidet seit vielen Jahren an einem
psychisch bedingten Übergewicht. Er beantragt aus gesundheitlichen Gründen bei seiner
zuständigen Krankenkasse eine Magenverkleinerung (Operation). Die Krankenkasse fordert K
schriftlich auf, seine „Leidensgeschichte“ (was hat er bisher alles unternommen, um Gewicht
zu verlieren) aufzuschreiben und zuzusenden. Außerdem soll er zum Begriff der „Krankheit“
gem. § 27 SGB V Stellung nehmen, weil das im vorliegenden Fall ja wohl streitig sei.
K kommt den Aufforderungen nicht nach.
Darauf hin wird der Antrag abgelehnt und die Krankenkasse teilt zu Begründung nur mit: „Da
er, K. seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei, habe die Kasse leider keine
andere Möglichkeit, als die Leistung abzulehnen.“ Zusätzliche Informationen sind dem
Schreiben nicht zu entnehmen.
– Hat die Krankenkasse richtig entschieden?
– „Die Krankenkasse fügt noch hinzu: Da Sie auch bei vielen anderen noch
anhängigen Verfahren nicht mitwirken und uns viel Mühe gemacht haben (schließlich
wollen Sie ja etwas von uns!), schien es uns angemessen, Ihnen einmal die Folgen
Ihres das Budget der Krankenkasse belastenden und für uns unverständlichen
Verhaltens vor Augen zu führen.“
Ändert sich die Beurteilung?
Vielen Dank!
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Josie,
m. E. sollte doch der Mitwirkungsanteil von K. vergrößert werden.
Die Eigendiagnose halte ich allerdings nicht unbedingt für sinnvoll. Warum erledigen das nicht die behandelnden Ärzte?
Im Rahmen der Leidensgeschichte sollte K. doch Ärzte benennen können, die ihn in seinem Vorhaben unterstützen. Soweit ich das beurteilen kann, benötigen ein chirurgisches Gutachten, eine Bescheinigung zumindest eines behandelnden Arztes und eine Dokumentation z. B. einer Ernährungsberatung. Damit könnten Sie – oder auch ein Arzt – einen Antrag auf eine Kostenzusage bei der Krankenkasse stellen. Ohne die Unterlagen und Nachweise scheint tatsächlich die Ablehnung des Antrages berechtigt zu sein.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt