§ 66 SGB I – Folgen fehlender Mitwirkung
(5 Beiträge mit § 66 SGB I – Folgen fehlender Mitwirkung)
1. Gesetzestext (Stand: 30.09.2025)
- (1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.
- (2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannter Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.
- (3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
2. Kommentierung
I. Zweck und Systematik
§ 66 SGB I sanktioniert die Verletzung von Mitwirkungspflichten (§§ 60–62 SGB I · § 65 SGB I). Abs. 1 adressiert die erschwerte Sachaufklärung; Abs. 2 fokussiert auf die fehlende Mitwirkung mit leistungsrechtlich relevanten Folgen (z. B. Reha-/Arbeitsfähigkeit). Abs. 3 statuiert das zwingende Hinweis- und Fristsetzungserfordernis. Die Vorschrift wirkt im System mit § 67 SGB I (Nachholung) zusammen.
II. Rechtsfolgen: Versagung und Entziehung
- Versagung: vorläufige Nichtgewährung einer beantragten oder von Amts wegen zu erbringenden Leistung.
- Entziehung: vorläufige Einstellung/Reduzierung einer bereits bewilligten Dauerleistung.
- Die Maßnahmen gelten „bis zur Nachholung“ und sind ermessensgebunden; Verhältnismäßigkeit ist zu wahren.
III. Verhältnis zur Amtsermittlung
Die Amtsermittlungspflicht (§ 20 SGB X) entfällt nicht. Jedoch darf der Leistungsträger „ohne weitere Ermittlungen“ entscheiden, wenn die Aufklärung durch fehlende Mitwirkung erheblich erschwert wird (Abs. 1 S. 1) bzw. eine absichtliche Erschwerung vorliegt (Abs. 1 S. 2).
IV. Mitwirkungshandlungen nach Abs. 2
Abs. 2 knüpft an Fallgruppen mit besonderem Leistungszweck an (Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Gefährdung/Minderung der Erwerbsfähigkeit, Schädigungsfolgen, Arbeitslosigkeit). Unter Würdigung aller Umstände muss mit Wahrscheinlichkeit eine Beeinträchtigung/ausbleibende Verbesserung der Selbständigkeit/Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit anzunehmen sein.
V. Verfahrensgarantien (Abs. 3)
Vor Versagung/Entziehung sind schriftlicher Hinweis auf die Rechtsfolge und eine angemessene Frist zur Mitwirkung zwingend. Fehlt dies, ist die Sanktion rechtswidrig.
VI. Rechtsschutz
- Gegen Entziehung: Widerspruch und Anfechtungsklage.
- Gegen Versagung: Widerspruch und kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage.
- Bei nachgeholter Mitwirkung: (Teil-)Leistungsgewährung nach § 67 SGB I.
VII. Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 7/868)
§ 66 beruht auf Zumutbarkeit, Verhältnismäßigkeit und Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Leistungskürzung. Abs. 1 betrifft die verzögerte/vereitelte Sachaufklärung; der Träger darf nach Hinweis und Fristsetzung versagen/entziehen. Abs. 2 knüpft an Fälle an, in denen pflichtwidriges Verhalten zu höheren Leistungsinanspruchnahmen führt; die Folgen sollen nicht allein die Gemeinschaft tragen. Bei Nachholung eröffnet § 67 die (teilweise) nachträgliche Leistungserbringung.
§§ 60–62 SGB I · § 65 SGB I · § 67 SGB I · § 20 SGB X ·
Versagung · Entziehung · Mitwirkungspflicht.
3. Beitragsliste
In den folgenden Beiträgen habe ich § 66 SGB I angesprochen:
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