§ 152 SGB IX – Feststellung der Behinderung
(5 Beiträge mit § 152 SGB IX – Feststellung der Behinderung)
1. Gesetzestext (Stand: 30.09.2025)
- (1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Vierzehnten Buches zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Absatz 2), gelten die in § 14 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie § 17 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen sowie § 60 Absatz 1 des Ersten Buches entsprechend. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt. Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit abweichend von Satz 1 geregelt werden.
- (2) Feststellungen nach Absatz 1 sind nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.
- (3) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Für diese Entscheidung gilt Absatz 1, es sei denn, dass in einer Entscheidung nach Absatz 2 eine Gesamtbeurteilung bereits getroffen worden ist.
- (4) Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.
- (5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist.
👉 Systematik: SGB IX · Versorgungsmedizinische Maßstäbe: VersMedV.
2. Kommentierung
Einordnung & Verfahren
§ 152 SGB IX regelt das Verwaltungsverfahren zur Feststellung von Behinderung und GdB sowie die Ausstellung des (Schwer-)behindertenausweises. Das Verfahren ist strikt antragsgebunden; antragsberechtigt ist nur die betroffene Person (Abs. 1 S. 1). Maßstab der Beurteilung sind die in der VersMedV kodifizierten versorgungsmedizinischen Grundsätze; sie sichern eine bundeseinheitliche Bewertungspraxis. Der GdB wird in Zehnergraden (20–100) festgesetzt; unterhalb 20 erfolgt keine Feststellung (Abs. 1). Eine rückwirkende Feststellung ist möglich, wenn ein besonderes Interesse (z. B. renten-/steuerrechtlich) glaubhaft gemacht wird.
Feststellungsverbot & Besonderes Interesse
Liegt bereits eine Entscheidung über das Vorliegen einer Behinderung und deren GdB in einem Rentenbescheid oder einer entsprechenden Verwaltungs-/Gerichtsentscheidung vor, unterbleibt eine Doppelprüfung (Abs. 2). Ausnahmsweise kann dennoch nach § 152 Abs. 1 festgestellt werden, wenn ein eigenständiges Interesse (z. B. Merkzeichen, arbeitsrechtliche Nachteilsausgleiche) glaubhaft ist. Vorentscheidungen gelten insoweit als GdB-Feststellung.
Gesamtbeurteilung statt Summierung
Bei mehreren Gesundheitsstörungen ist eine Gesamtbeurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen vorzunehmen (Abs. 3). Eine rechnerische Addition einzelner Einzelgrade ist unzulässig; ausschlaggebend sind die Gesamtauswirkungen unter Berücksichtigung wechselseitiger Verstärkungen/Überlagerungen. Das entspricht der Systematik der VersMedV.
Vertiefung zur Methodik:
Merkzeichen & Nachteilsausgleiche
Neben dem GdB sind im selben Verfahren die für Nachteilsausgleiche maßgeblichen Merkzeichen festzustellen (Abs. 4), z. B. G, aG, H, Bl, Gl, TBl, RF, B. Diese wirken u. a. auf Mobilitäts-/Steuer-/Telekommunikations- und Parkvorteile. Die tatbestandlichen Voraussetzungen ergeben sich aus SGB IX und VersMedV.
Überblick und Voraussetzungen:
Ausweis – Ausstellung, Gültigkeit, Berichtigung
Der (Schwer-)behindertenausweis wird auf Antrag ausgestellt (Abs. 5). Er weist die Schwerbehinderteneigenschaft (GdB ≥ 50), den GdB und ggf. Merkzeichen nach. Die Gültigkeit wird regelmäßig befristet; der Ausweis ist einzuziehen, wenn der Schutz erlischt, und nach Neufeststellung zu berichtigen. Praktisch relevant: auch leichte Verbesserungen können eine Berichtigung auslösen; bei Verschlechterungen ist ein Neufeststellungsantrag sinnvoll.
Schwerbehinderteneigenschaft – Entstehung
Die Schwerbehinderteneigenschaft knüpft materiell an das Erreichen des GdB 50 an. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Eigenschaft unabhängig von der Bescheidlage besteht; die Feststellung wirkt deklaratorisch. Das wird in der älteren Rspr. (BSG, 30.04.1979 – 8b RK 1/78) betont und ist für Übergangs- und Nachweisfragen bedeutsam.
Praxis & Strategie
Antrag: Vollständige medizinische Unterlagen, zielgerichtete Befundberichte (Funktionsausfälle statt Diagnoselisten) beifügen; Rückwirkungsinteresse substantiieren (z. B. steuer-/arbeitsrechtlich). Gesamtbeurteilung: VersMedV-Stützstellen zitieren; Wechselwirkungen zwischen Störungen herausarbeiten. Merkzeichen: Relevante Voraussetzungen gezielt adressieren (z. B. Wegefähigkeit, Orientierungsstörungen). Widerspruch/Neufeststellung: Bei Teilanerkennungen gutachterliche Begründung auf Widersprüche prüfen, Neubewertung der Gesamtschau verlangen.
3. Beitragsliste
In den folgenden Beiträgen habe ich § 152 SGB IX angesprochen:
Heilungsbewährung – wesentliche Änderung der VerhältnisseWas beinhaltet eine Heilungsbewährung? ... | Wie lange dauert die Heilungsbewährung? ... | Wann beginnt die Heilungsbewährung? ... | Transplantationen, Krebs
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Die Begriffe der Schwerbehinderung, Erwerbsminderung und der Arbeitsunfähigkeit... zu den Begriffen der Schwerbehinderung, Erwerbsminderung und Arbeitsunfähigkeit in den Sozialgesetzbüchern – §§ 2, 69 SGB IX – § 43 SGB VI, § 44 SGB V ...
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Zum Grad der Behinderung – Gesamt-GdB und Einzel-GdBWie wird der Gesamt-GdB bei mehreren Beeinträchtigungen gebildet? Unterschied zwischen Einzel-GdB und Gesamt-GdB, Rechtsprechung, VersMedV.
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Grad der Behinderung (GdB) & Grad der Schädigungsfolgen (GdS) – einfach erklärtGdB und GdS einfach erklärt: Unterschied, Antrag & Verfahren (§ 152 SGB IX), Merkzeichen (VersMedV), Schwerbehinderung ab 50, aktuelle Steuer-Pauschbeträge (§ 33b EStG), Rechtsmittel bei Ablehnung
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