Auch bei rechtswidrigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden gemäß §§ 45, 48, 50 SGB X kann – nachdem der Bescheid bestandskräftig geworden ist – nachträglich ein Überprüfungsantrag gestellt werden:
- Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X. Der Bescheid muss also von Anfang an rechtswidrig gewesen sein. In Abgrenzung zu § 48 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 48 SGB X ist ein Überprüfungsverfahren immer nur dann erforderlich, wenn der Bescheid von Anfang an nachteilig rechtswidrig war, aber trotzdem bestandskräftig wurde. § 48 SGB X behandelt eine Änderung der Verhältnisse nach Erlass des Verwaltungsaktes. - Zwar gilt nach § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
(1) …
(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 44 Abs. 4 SGB X eine rückwirkende Leistungserbringung für die vergangenen vier Jahre seit Beginn des Jahres, in dem die Rücknahme der ursprünglichen rechtswidrigen Bewilligung erfolgte oder eben der entsprechende Überprüfungsantrag gestellt wurde.Im Bereich des SGB II wird in § 41 Abs. 1 S. 2 SGB II allerdings bestimmt, dass statt des 4-Jahres-Zeitraumes eine rückwirkende Leistungsbewilligung nur für ein Jahr seit Beginn des Jahres in Betracht kommt, in dem die Rücknahme der ursprünglichen rechtswidrigen Bewilligung erfolgte oder eben der entsprechende Überprüfungsantrag gestellt wurde.
- Was unter „Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht“ im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X zu verstehen ist und ob insbesondere auch Rückforderungs- und Erstattungsbescheide von § 44 SGB X erfasst werden, die Sozialleistungen nachträglich entziehen, entscheidet das Bundessozialgericht nicht einheitlich, mitunter hat es die Frage der Anwendbarkeit des § 44 SGB X und die Frage der Einschlägigkeit des Tatbestandsmerkmals „Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht“ auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide auch offengelassen.
Zunächst führt das Bundessozialgericht aus (Urteil vom 29. Mai 1991, 9a/9 RVs 11/89):Urteil des BSG vom 29. Mai 1991, 9a/9 RVs 11/89, 1. Leitsatz Die Sonderregelungen des § 44 Abs. 1 und Abs. 4 SGB X, die zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte auch für die Vergangenheit verpflichten, beschränken sich auf Verwaltungsakte, die ausschließlich über die Gewährung von Sozialleistungen entscheiden.
In einer weiteren Entscheidung des Bundessozialgerichts lautet allerdings der 1. Leitsatz (Urteil vom 28. Mai 1997, 14/10 RKg 25/95):
Urteil des BSG vom 28. Mai 1997, 14/10 RKg 25/95, 1. Leitsatz 1. Durfte eine zu Unrecht gewährte Sozialleistung aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht rückwirkend entzogen werden, so kann dies auch noch im Zugunstenverfahren auf Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheides geltend gemacht werden.
Im Ergebnis spricht jedenfalls einiges dafür, § 44 SGB X auf Bescheide zur Rückforderung von Sozialleistungen zumindest analog anzuwenden, wenn sich die Aufhebungs- und/oder Erstattungsbescheide als rechtswidrig belastend darstellen (vgl. Kommentar der Deutsche Rentenversicherung Bund, zu § 44 zu 4. 1 mit weiteren Hinweisen).
Das Rücknahmeverfahren ist ein einheitliches Verwaltungsverfahren und die Rücknahmeentscheidung ist ein Verwaltungsakt, welcher mit der Bekanntgabe an den Beteiligten wirksam wird. Auf die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes hat der von ihm belastete Bürger grundsätzlich einen Anspruch, den er durch den Antrag auf Rücknahme geltend machen kann. Ein verspäteter und damit unzulässiger Widerspruch kann ggf. als Rücknahmeantrag aufzufassen sein. Eventuell ist die Behörde sogar von Amts wegen zur Überprüfung erlassener Verwaltungsakte verpflichtet.
Zum Überprüfungsantrag vergleiche auch den Beitrag
Adi Schwebs meint
Betr: Nicht umlagefähige Nebenkosten
Sehr geehrte Damen/Herren.
ich habe ein >lebenslanges Wohnrecht<. Der Eigentümer: mein Sohn, verlangt von mir die Nebenkosten für Grundsteuern + Gebäudeversicherung + Abwasser. Diese Gebühren habe
ich der Stadt Osnabrück bei der Grundsicherung (die leider beanspruchen muss, o h n e m e i n e Schuld) zur Erstattung eingereicht.
Die Stadt lehnt die Übernahme der Gebühren aber ab. Wie muss ich mich verhalten. Denn der BGH sagt, die Stadt müsse Kosten, erstatten.
Rechtsanwalt S. Nippel meint
Hallo Herr Schwebs,
zunächst gehe ich gemäß Ihrer Schilderung davon aus, dass die Stadt wahrscheinlich die von Ihrem Sohn geltend gemachten Kosten übernehmen muss.
Allerdings müsste ich die ehemals getroffenen Regelungen zum Wohnrecht genau prüfen. Der BGH jedenfalls geht davon aus, dass der Berechtigte in der Regel die Betriebskostenkosten zu tragen, wenn keine andere Regelung vereinbart wurde (vgl. dazu BGH vom 25. September 2009, 5 ZR 36/09, Rdnr. 20):
Sie müssen also Ihrem Sohn grundsätzlich die durch die Benutzung verursachten Nebenkosten (wie Müll, Wasser, Heizung) ersetzen, nicht aber die benutzungsunabhängigen Grundstückslasten wie z.B. Grundsteuer oder Gebäudeversicherung. Dies gilt jedenfalls, wenn Ihr Sohn gemäß den Grundsätzen des § 556 BGB ordnungsgemäß abgerechnet hat.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Lea Friedemann meint
Hallo,
Ich bekomme seit Jahren monatlich eine „Pauschale zur Teilhabe am Leben“ (Konzerte, Kino, …) in Höhe von 50 €. Jetzt hab ich bei meinem Amt eine Beförderungungspauschale beantragt, sprich Geld fürs Taxi (82€/monatl.). Mein Amt hat anscheinend nur von 50 auf 82 EUR aufgestockt, anstatt, dass ich jetzt beides bekomme.
Mein Betreuer war leider so lange nicht da, dass die Widerspruchsfrist abgelaufen ist (ich weiß nicht, wie das geht), aber er versteht die Welt auch nicht mehr.
Ich bin 25, sitze im Rollstuhl, bekomme Grundsicherung und wohne ambulant.
Rechtsanwalt S. Nippel meint
Hallo Frau Friedemann,
die „Lösung“ für den Fall kenne ich nicht.
Sollten Ihnen jedoch zwei Leistungen in Höhe von 50,00 € und 82,00 € pro Monat zustehen, dann müsste der Überprüfungsantrag positiv beschieden werden. Der Überprüfungsantrag kann auch nach Ablauf der Widerspruchsfrist gestellt werden.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Ivonne Hähnlein meint
Hallo,
darf eigentlich ein Arbeitsvermittler einen Überprüfungsbescheid erlassen? Er ähnelt auch stark einem abgeänderten Einladungsschreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt S. Nippel meint
Hallo Frau Hähnlein,
zunächst wüsste ich nicht, warum ein „Arbeitsvermittler“ nicht einen Überprüfungsbescheid erlassen dürfte. Wie die Agentur oder auch das Jobcenter die Zuständigkeiten unter den Mitarbeitern verteilt, dürfte grundsätzlich in deren Ermessen liegen.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Janko Weber meint
Ich habe an anderer Stelle im Internet gelesen dass das Jobcenter 6 Monate Zeit hat auf den Überprüfungsantrag zu reagieren.
Ich glaube ich bin im falschen Film! Mir werden ohne Grund die Leistungen gestrichen und wenn ich diesen Fehler korrigieren lassen will hat das Jobcenter ein halbes Jahr Zeit das in Ordnung zu bringen. Oder sich noch etwas anderes einfallen zu lassen warum mir die Leistung zu entziehen ist. Was mache ich in dieser Zeit? Unter der Brücke verhungern?
Rechtsanwalt S. Nippel meint
Hallo Herr Weber,
sollte tatsächlich Not bestehen, so gibt es neben dem eigentlich primären Rechtsschutz (Widerspruch) noch das Überprüfungsverfahren und dann selbstverständlich auch noch das Eilverfahren vor den Sozialgerichten.
Mit freundlichen Grüßen
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Tanja Ste meint
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich benötige dringend Ihren fachlichen Rat.
Mein Erwerbsminderungsrentenantrag wurde im Widerspruchsverfahren abgelehnt, da der von mir beauftragte VdK keine Widerspruchsbegründung schrieb.
Die Rentenversicherung teilte mir telefonisch mit, das ich einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X stellen könne. Es wurde mir mitgeteilt, dass mit dem Überprüfungsantrag nochmals der Rentenantrag nach Vorlage neuer ärztlicher Dokumente, geprüft werden würde.
Der VdK teilte mir im Falle des Überprüfungsantrages mit, dass es sich bei dieser Überprüfung nur darum handelt, das geprüft wird, ob der Widerspruchsbescheid Formfehler enthält und riet mir von diesem Schritt ab und sagte, wir sollen vor dem Sozialgericht Klage erheben. Denn würde ich den Überprüfungsantrag stellen, könnte ich, wenn dieser abgelehnt wird, nicht mehr vor das Sozialgericht ziehen, da diese Überprüfung nicht um die Sache an sich geht (Rente) sondern nur um den Überprüfungsantrag nach §44.
Welche Aussage ist nun richtig?
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt S. Nippel meint
Hallo,
die Aussage des VdK, Klage gegen den ablehnenden Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides zu erheben, ist nachvollziehbar.
Der Überprüfungsantrag ist in der Regel nachrangig und sollte nur im „Notfall“ gestellt werden, insbesondere dann, wenn z. B. der Widerspruch verfristet wäre.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Tanja Ste meint
Hallo Herr Nippel,
vielen Dank für Ihre Antwort.
Was bedeutet das der Widerspruch verfristet wäre?
Grüße
Megan Specht meint
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Nippel,
ich war vom Juni 2017 bis September 2018 arbeitsunfähig. Krankenversichert bin ich privat. Demzufolge wurden ab Ende Juli keine Beiträge mehr zur Rentenversicherung gezahlt. Ich sollte einen Antrag stellen, um die Beiträge selber zu bezahlen. Das tat ich in der 3-Monats-Frist. Ich wartete auf einen Bescheid, in welcher Höhe der Monatsbeitrag sein würde. Trotz mehrmaliger Anfragen bei der Rentenversicherung erhielt ich erst im Juli 2018!! den Bescheid mit einer Ratenzahlung der austehenden Beiträge bis Juni 2018 und den ab Juli 2018 bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit zu zahlenden Beitrag. Alles in allem eine monatliche Belastung von über 900 € (insgesamt über 8.000 € !!).
Ich habe der Rentenversicherung mehrmals mitgeteilt, dass ich diesen Betrag nicht zahlen kann, auch nicht in Raten. Aufgrund der Krankheit (Reha, mehrmonatiger Klinikaufenthalt) und der daraus entstanden finanziellen Verluste bin ich in allen Bereichen in Zahlungsschwierigkeiten gekommen (u.a. Kredite etc.). Meine Krankenkasse hat die Zahlung im Juli 2018 – obwohl ich noch arbeitsunfähig war – eingestellt und ich bekam ALG II, welches ich ebenfalls zurückzahlen muss, da es sich mit der Arbeitsaufnahme überschnitten hatte. Ich habe kein Vermögen und alle finanziellen Mittel ausgeschöpft und komme kaum monatlich über die Runden.
Mein Antrag auf Rücknahme des Bescheides aus Juli 2018 auf Zahlung der ausstehenden Rentenbeiträge wurde jetzt abgelehnt, und ich soll jetzt den ausstehenden Betrag in Raten zahlen. Begründet wird das mit §44 des SGB X).
Ich gehe nächstes Jahr in Rente (45 Jahre voll). Ich kann die Raten nicht zahlen und verzichte lieber auf die paar Euro Rente, die ich ohne die Nachzahlung (Beitragsfehlzeiten) bekommen würde.
Es rechnet sich einfach nicht, so viel Geld nachzuzahlen für die paar Euro Rente, die ich dann mehr bekommen würde. Aber ich würde mindestens 25 bis 30 Jahre Raten zahlen müssen bei einer Ratenzahlung von z. B. 20 € im Monat. Das ist doch Irrsinn (dann bin ich fast 90 Jahre alt).
All diese Gründe und Darstellung meiner finanziellen Situation akzeptiert die Rentenversicherung nicht und ich soll jetzt einen Ratenvorschlag machen.
Was kann ich tun? Kann die Rentenversicherung auf die Nachzahlung bestehen und können sie pfänden? Wenn ich den Antrag 2017 nicht gestellt hätte, hätte ich auch nichts nachzahlen müssen, es wären eben beitragsfreie Zeiten gewesen.
Haben Sie einen Rat für mich?
Besten Dank und mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt S. Nippel meint
Hallo,
… Sie waren arbeitsunfähig … Sie haben einen Antrag gestellt um Beiträge selber zu zahlen … was für einen Bescheid erhielten Sie dann? … sollten Sie freiwillig zahlen?
Ich verstehe den Sachverhalt einfach nicht …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt