Kann die Versicherungspauschale in Höhe von 30 € zusätzlich zur Erwerbstätigenpauschale in Höhe von 100 € leistungserhöhend vom Einkommen abgesetzt werden?
Diese Frage wird zumindest im Hinblick auf Minijobber, die lediglich ein Einkommen unter 100 € erzielen und die neben dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit Einkommen aus Kindergeld haben, kontrovers diskutiert.
Ausgangspunkt der Kontroverse sind folgende Regelungen:
1. 100 €-Euro Grundpauschale bei Erwerbstätigen gemäß § 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II
Bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, wird pauschal ein einheitlicher Gesamtbetrag von 100 € monatlich vom Erwerbseinkommen abgesetzt, § 11b Absetzbeträge
…
(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetautritt)§ 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II.
2. 30 € Versicherungspauschale entsprechend § 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG II VO
30 € können gemäß § 6 Pauschbeträge für vom Einkommen abzusetzende Beträge
(1) Als Pauschbeträge sind abzusetzen
1. von dem Einkommen volljähriger Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG II VO unabhängig vom tatsächlichen Abschluss einer Versicherung pauschal vom Einkommen abgesetzt werden. Dem Leistungsberechtigten soll damit die Möglichkeit eröffnet werden, sich entsprechend zu versichern (vgl. dazu auch Link: www.sozialgerichtsbarkeit.deBundessozialgericht vom 19. September 2008, B 14 AS 56/07 R).
Können beide Pauschalen nebeneinander leistungserhöhend zum Ansatz gebracht werden?
Eine Mutter erhält 194 € Kindergeld. Sie muss eine Miete in Höhe von 400 € zahlen.
Von dem Kindergeld wird gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG II VO die Versicherungspauschale in Höhe von 30 € zum Abzug gebracht.
Regelbedarf Mutter | 424,00 € |
Alleinerziehendenzuschlag | 147,21 € |
Regelbedarf Kind | 245,00 € |
Miete | 400,00 € |
Gesamtbedarf | 1.216,21 € |
Einkommen aus Kindergeld | – 194,00 € |
Versicherungspauschale | + 30,00 € |
Leistung | 1.052,21 € |
Das Kindergeld wird um 30 € bereinigt. Die Mutter darf von dem Kindergeld 30 € behalten. Die Mutter erhält also 1.052,21 € vom Jobcenter.
Die Mutter aus Beispiel 1 erzielt zusätzlich 40 € Entgelt monatlich aus einer Putztätigkeit.
Nunmehr lässt das Jobcenter den Abzug des Versichungspauschalbetrages unter Hinweis auf eine Rechtsprechung des eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg aufhebende Entscheidung des
Regelbedarf Mutter | 424,00 € |
Alleinerziehendenzuschlag | 147,21 € |
Regelbedarf Kind | 245,00 € |
Miete | 400,00 € |
Gesamtbedarf | 1.216,21 € |
Einkommen aus Kindergeld | – 194,00 € |
Einkommen aus Putztätigkeit | – 40,00 € |
Freibetrag auf das Erwerbseinkommen | + 40,00 € |
Leistung | 1.022,21 € |
Die Mutter erhält also 1.022,21 € vom Jobcenter.
Die oben aufgeworfene Frage, ob die Versicherungspauschale neben der Erwerbstätigenpauschale leistungserhöhend zum Ansatz gebracht werden kann, muss also möglicherweise mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG verneint werden. Die Versicherungspauschale wird nicht neben bzw. zusätzlich zu der Erwerbstätigenpauschale gewährt. Jedenfalls die oben zitierte Entscheidung des BSG vom 5. Juni 2014, die sich mit der Regelung des § 11 Abs. 2 S. 2 SGB II alter Fassung beschäftigt, führt zu diesem Ergebnis. Ob dieses Ergebnis allerdings vom Wortlaut des § 11 b Abs. 2 S. 1 SGB neuer Fassung gedeckt ist, kann meines Erachtens angezweifelt werden. Dies gilt zumindest für Einkommen unterhalb von 100 €.
Aus dem erzielten Verdienst in Höhe von 40 € verbleiben der Mutter gemäß der bisherigen Rechtsprechung des BSG aus Beispiel 2 „unter dem Strich“ also nur 10 €!
- Neben dem Kindergeld in Höhe von 194 € erhält die nicht arbeitende Mutter gemäß Beispiel 1 1.052,21 €. Insgesamt erzielt sie also Einnahmen in Höhe von 1.246,21 € (1.052,21 € Leistungen und 194 € Kindergeld).
- Die arbeitende Mutter erhält Leistungen in Höhe von 1.022,21 €, erzielt einen Verdienst in Höhe von 40 € und erzielt Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 194 €. Insgesamt erzielt sie also Einnahmen in Höhe von 1.256,21 € (1.022,21 € Leistungen, 194 € Kindergeld und 40,00 € Verdienst).
Die oben beschriebene Verfahrensweise von Jobcentern ist nach hier vertretener Auffassung nicht verständlich und nach hiesiger Auffassung auch nicht vom Willen des Gesetzgebers gedeckt. Das Bundessozialgericht sollte die bisher zu § 11 Abs. 2 S. 2 SGB II alter Fassung (jetzt § 11 b Abs. 2 S. 1 SGB II neuer Fassung) vertretene Auffassung überdenken bzw. klarstellen, dass nunmehr der Versicherungspauschalbetrag zusätzlich zu dem Erwerbstätigenpauschalbetrag zu gewähren ist! So könnte die Mutter aus Beispiel 2 Leistungen wie in Beispiel 1 erhalten und so tatsächlich von einem Freibetrag für Einkommen in Höhe von 40,00 € aus ihrer Arbeit profitieren. Kind, Mutter und Gesellschaft wäre damit gedient.
Die heutige Regelung des § 11 b Abs. 2 S. 1 SGB II lautet, dass „ein Betrag von insgesamt 100 € monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätgikeit“ abzusetzen ist. Die damalige Regelung des § 11 Abs. 2 S. 2 SGB II lautete, dass „ein Betrag von insgesamt 100 € abzusetzen“ ist. Auch die jetzige Präzisierung des Gesetzgebers in der neuen Fassung der Vorschrift in § 11 b Abs. 2 S. 1 SGB II, die eine Absetzung der 100 €-Pauschale vom Erwerbseinkommen und nicht eine Absetzung (auch) vom sonstigen Einkommen benennt, spricht dafür, die Versicherungspauschale neben der Erwerbstätigenpauschale leistungserhöhend zum Ansatz zu bringen. Wird nämlich die Absetzung der Erwerbstätigenpauschale vom Erwerbseinkommen geduldet, bleibt noch Raum für die Absetzung der Versicherungspauschale vom sonstigen Einkommen. So würde die heutige Beschränkung der Vorschrift, die Erwerbstätigenpauschale trete „anstelle“ der „Versicherungspauschale“ tatsächlich nur eine Beschränkung im Hinblick auf das Einkommen aus Erwerbstätigkeit, nicht hingegen auch auf sonstiges Einkommen (hier: Kindergeld) beinhalten. Allerdings wäre dann die Versicherungspauschale auf alle Erwerbstätigen anzuwenden, die Kindergeld erhalten. Im Ergebnis würden so nicht nur Kleinstverdiener bis 100 €, sondern auch höher Verdienende profitieren.
Der Gesetzgeber sollte eine weitere klarstellende Regelung veranlassen.
„Umgehen“ lässt sich das oben Ausgeführte allerdings damit, dass für das Kind eine Versicherung abgeschlossen wird.
Gemäß § 6 Abs. 1 Nummer 2 ALG 2-V kann diese Versicherung über die Versicherungspauschale berücksichtigt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der monatliche Beitrag für die Versicherung unter der Pauschale in Höhe von 30 € liegt (
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der monatliche Absatzbetrag von 30,00 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-V auch nicht auf einen Monat (etwa den Monat der Beitragszahlung) zu reduzieren. Die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-V kann insoweit entgegen den vom Beklagten genannten Entscheidungen des SG vom 8. September 2015 (Az S 16 AS 716/14 und S 16 AS 2257/14), deren Begründung er auszugsweise referiert hat, nicht begrenzt werden. Insbesondere ging es bei der vom SG zitierten Entscheidung des BSG vom 25. April 2013, Az B 8 SO 8/12 R, um die Abzugsfähigkeit einer Pauschale wegen Beiträgen zu einer KfZ-Versicherung als mit der Erzielung von Einkommen notwendige Ausgaben gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II, während es vorliegend um den Abzug einer Pauschale für Versicherungsbeiträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II geht.
Wenn auch Sie der Auffassung sind, dass die oben genannte Handhabung geändert werden muss, so würde ich mich über einen entsprechenden Kommentar freuen! Sollten sich hier genügend Stimmen einfinden, so würde ich dies an den Bundestag weiterleiten!
Zunächst bin ich darüber „gestolpert“, dass die Versicherungspauschale in dem Erwerbstätigenfreibetrag enthalten ist.
Wie in dem Beispiel „schön“ aufgezeigt allerdings eine üble Falle.
Danke
Ihre Berechnung stimmt nicht. Die nicht arbeitende Mutter kann keine Versicherungspauschale geltend machen, denn das Kindergeld wird beim Kind als Einkommen angerechnet.
Insofern finde ich Ihre Ausführung irreführend und nicht korrekt.
Ich beziehe eine Erwerbsminderungsrente und zuzüglich Hartz IV. Seit Juni habe ich ein Ehrenamt, ich bekomme pro Monat 40 Euro Aufwandsentschädigung, daß Jobcenter zieht mir die 30 Euro Versicherungspauschale ab. Die 10 Euro die mir das Jobcenter gewährt, reichen nicht aus um die Fahrtkosten zu begleichen.
Ich verstehe dies nicht und kann es auch nicht nachvollziehen.
Mit freundlichen Grüßen M. A.
Hallo M. A.,
schauen Sie sich doch einmal den Beitrag 200 Euro Grundfreibetrag bei ehrenamtlich Tätigen und im Ferienjob an.
Zur Berechnung Ihrer anrechenbaren Einkünfte darf jedenfalls die Aufwandsentschädigung nach einer ersten Einschätzung nicht angerechnet werden.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt