Nicht selten stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine erteilte Vorsorgevollmacht widerrufen werden kann.
Die Ausgangslage kann verschieden sein: Der Vollmachtgeber kann widerrufen. Ein Widerruf der Vorsorgevollmacht kann ggf. in der Vollmacht „unwiderruflich“ ausgestaltet werden. Durch einen weiteren Bevollmächtigten kann ein Widerruf erfolgen. Es kann ein Kontrollbevollmächtigter bzw. ein Vollmachtsüberwachungsbetreuer bestellt werden.
1. Widerruf der Vorsorgevollmacht durch den Vollmachtgeber
Der Vollmachtgeber kann die Vorsorgevollmacht jederzeit frei widerrufen. Die Vorsorgebevollmächtigung beinhaltet ein Auftragsverhältnis. § 671 Widerruf; Kündigung
(1) Der Auftrag kann von dem Auftraggeber jederzeit widerrufen, von dem Beauftragten jederzeit gekündigt werden.
…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 671 BGB bestimmt, dass der Auftraggeber den Auftrag jederzeit frei widerrufen kann. Das Erlöschen einer Vollmacht regelt § 168 Erlöschen der Vollmacht
Das Erlöschen der Vollmacht bestimmt sich nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Die Vollmacht ist auch bei dem Fortbestehen des Rechtsverhältnisses widerruflich, sofern sich nicht aus diesem ein anderes ergibt. Auf die Erklärung des Widerrufs findet die Vorschrift des § 167 Abs. 1 entsprechende Anwendung.
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 168 BGB. Allerdings wird die Vollmacht faktisch dann unwiderruflich, wenn der Vollmachtgeber aus körperlichen und/oder geistigen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die erteilte Vollmacht zu widerrufen.
Der Widerruf ist im Hinblick auf vermögensrechtliche Angelegenheiten nur solange möglich, solange Geschäftsfähigkeit vorliegt. Im Hinblick auf den nicht vermögensrechtlichen Teil der Vollmacht genügt Einsichtsfähigkeit.
Eine Regelung zum Ausschluss des Widerrufs der Vorsorgevollmacht in der Vollmachtsurkunde ist zwar möglich. Der Ausschluss dürfte aber grundsätzlich unwirksam sein (Urteil des BGH vom 13. Mai 1971, VII ZR 310/69):
… Nach § 671 Abs. 1 BGB kann jedoch ein Auftrag von dem Auftraggeber jederzeit widerrufen werden. Dieses Recht beruht auf dem Wesen des Auftrags als eines persönlichen Vertrauensverhältnisses, das grundsätzlich eine uneingeschränkte Bindung des Auftraggebers an den Willen des Beauftragten verbietet. Deshalb ist das Widerrufsrecht, wie in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem anerkannt ist, jedenfalls dann unverzichtbar, wenn der Auftrag nur den Interessen des Auftraggebers dient. Dementsprechend ist auch die Unwiderruflichkeitsabrede wirkungslos, die einer auf Grund eines solchen Auftrags erteilten Vollmacht beigefügt wird. …
2. Widerruf durch einen von mehreren Vorsorgebevollmächtigten
Kann einer von mehreren Bevollmächtigten die Vollmacht eines Anderen kündigen?
Das OLG Karlsruhe führt dazu in einer www.landesrecht-bw.deEntscheidung vom 3. Februar 2010 (19 U 124/09) aus:
1. Erhalten mehrere Personen – jede für sich – gleichrangige Generalvollmacht (Solidarvollmacht), so ist mangels abweichender Bestimmungen des Vollmachtgebers keiner der Bevollmächtigten befugt, die Vollmacht des anderen zu widerrufen.
2. Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass der Vollmachtgeber mangels Geschäftsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, selbst über den Widerruf der Vollmacht zu befinden. In einem solchen Fall ist für diesen erforderlichenfalls ein Vollmachtsüberwachungsbetreuer (§ 1815 Abs. 3 BGB) zu bestellen.
3. Der Kontrollbetreuer (Vollmachtsüberwachungsbetreuer)
Ein Betreuer kann auch für die Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestimmt werden, § 1815 Umfang der Betreuung
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(3) Einem Betreuer können unter den Voraussetzungen des § 1820 Absatz 3 auch die Aufgabenbereiche der Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten sowie zusätzlich der Geltendmachung von Auskunfts- und Rechenschaftsansprüchen des Betreuten gegenüber Dritten übertragen werden (Kontrollbetreuer).
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 1815 Abs. 3 BGB.
Im Ergebnis hat dann der Kontrollbetreuer die Befugnis, auch eine erteilte Vollmacht zu widerrufen. Der für den Aufgabenkreis der Kontrolle nach § 1815 Abs. 3 BGB bestellte Betreuer hat gegenüber dem Bevollmächtigten Auskunftsansprüche gemäß § 666 Auskunfts- und Rechenschaftspflicht
Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt ) § 666 BGB. Er kann die Vorlage von Unterlagen. Liegen Anhaltspunkte für einen Vollmachtsmissbrauch vor, kann der Kontrollbetreuer die Vollmacht widerrufen.
Voraussetzung für die Bestellung eines Kontrollbetreuer durch einen Dritten ist zunächst, dass der Betreute keine Einsichtsfähigkeit mehr besitzt (vgl. www.juris.bundesgerichtshof.deBGH vom 14. Oktober 2015, XII ZB 177/15):
… Daher muss auch vor der Bestellung eines Kontrollbetreuers festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass er seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen. Die Feststellungen zum krankheitsbedingten Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen nach ständiger Rechtsprechung des Senats durch ein Sachverständigengutachten belegt sein …
Der Aufgabenkreis der Kontrolle gemäß § 1815 Abs. 3 BGB neuer Fassung darf einem Betreuer aber nur dann übertragen werden, wenn das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt und mildere Maßnahmen nicht zur Abwehr eines Schadens für den Betroffenen geeignet erscheinen (Leitsätze a) und b) des www.juris.bundesgerichtshof.deUrteils des BGH vom 28. Juli 2015, XII ZB 674/14):
a) Der Betreuer kann eine Vorsorgevollmacht nur widerrufen, wenn ihm diese Befugnis als eigenständiger Aufgabenkreis ausdrücklich zugewiesen ist (Abgrenzung zu den Senatsbeschlüssen vom 13. November 2013 – XII ZB 339/13 – FamRZ 2014, 192 und vom 1. August 2012 – XII ZB 438/11 – FamRZ 2012, 1631).
b) Dieser Aufgabenkreis darf einem Betreuer nur dann übertragen werden, wenn das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt und mildere Maßnahmen nicht zur Abwehr eines Schadens für den Betroffenen geeignet erscheinen.
Casi says
Was bedeutet es, wenn jeder der Bevollmächtigten mit sich selbst im eigenen Namen (oder als Vertreter Dritter?) Rechtsgeschäfte tätigen darf?
Danke für Ihre geschätzte Antwort.
Konrad Siess says
Wie kann eine Tochter die Vorsorgevollmacht ihrer Mutter, die selbst nicht mehr bestimmen kann, wieder loswerden?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Herr Siess,
wenn Sie die Vollmacht nicht mehr ausüben wollen, können Sie die Vollmacht „zurückgeben“. … Sie hätten möglichst schon der Annahme der Vollmacht widersprechen sollen … Ihre Mutter hat Ihnen durch das Ausstellen Vertrauen entgegengebracht. … Mit der Annahme der Vollmacht haben Sie Verantwortung übernommen. … Rechtlich handelt der Vollmachtnehmer im Verhältnis zum Vollmachtgeber regelmäßig als Auftragnehmer im Sinne der §§ 662 ff. BGB.
Ihre Mutter scheint nicht mehr für sich selber bestimmen zu können. Möglichst hätten Sie schon die Vollmacht nicht annehmen sollen. … Nach Annahme des Auftragsverhältnisses können Sie das Auftragsverhältnis aber immer noch gemäß § 671 Abs. 2 BGB kündigen. Im Ergebnis sollte dann ggf. das Betreuungsgericht informiert werden, dass Betreuungsbedarf besteht … Ein geeigneter Betreuer sollte gefunden werden. …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Mirjam says
Wie kann ich zusätzlich eine Vorsorgevollmacht kommen für meinen im Heim lebenden Vater mit Teildemenz?
Da der Bruder zu dem meinerseits kein Kontakt mehr besteht seiner Vor- und Fürsorgepflichten mit Generalvollmacht nicht nachkommt … er gibt nicht mal den Geschwister Bescheid wenn der Vater im Krankenhaus liegt … und untersagt auch dem Altersheim den Geschwistern Bescheid zu geben …
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hall Mirjam,
Ihr Vater kann die Ihrem Bruder erteilte Vollmacht ggf. widerrufen bzw. auch Ihnen eine Vollmacht erteilen …
Bei Verletzung der Pflichten aus dem der Vorsorgevollmacht zugrunde liegenden Auftragsverhältnis drohen Ersatzansprüche des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer (also Ihres Vaters gegenüber Ihrem Bruder). Das sollten Sie Ihrem Bruder eventuell klarmachen …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Petra Schäfer says
Sehr geehrter Herr Nippel,
in dem Fall geht es darum, ob eine Vorsorgevollmacht auch das Recht der Besucherbestimmung im Krankenhaus regeln kann?
Der Betroffene liegt auf der Intensiv und kann sich verbal nicht mehr selbst mitteilen. Seine aktuelle Lebenspartnerin, mit der er seit 1,5 Jahren zusammen ist und auch mit ihr zusammen gewohnt hat, darf ihn nicht mehr besuchen (laut Ärzte), weil die Ex-Lebensgefährtin noch die Vollmachten habe (es wurde versäumt, diese zu widerrufen) und dies nun untersagt hat.
Der Erkrankte gab bei dem letzten Besuch der aktuellen Lebenspartnerin, dieser zu verstehen, dass er will, dass Sie ihn weiter besucht.
Auf die Frage, ob Sie ihn besuchen solle, hat er mit dem Kopf genickt. Es besteht ein sehr inniges Vertrauensverhältnis zwischen beiden.
Es dient sicher nicht dem Wohl des Patienten, dass seine langjährige Expartnerin über seine Angelegenheiten verfügt, obwohl sie bereits über 1 Jahr getrennt waren.
Ist es rechtlich möglich, dass die aktuelle Partnerin Ihren Lebensgefährten weiter besuchen darf?
Mit freundlichem Gruß
P. Schäfer
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Frau Schäfer,
das klingt tatsächlich dramatisch …
Kann denn der Betreute die Vollmacht nicht mehr widerrufen und dies zumindest dem Personal deutlich machen? … dazu genügt die Einsichtsfähigkeit des Vollmachtgebers … (s. o.) …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt