Kurzfassung: Unterlässt das Jobcenter den rechtzeitigen Hinweis auf den erforderlichen Fortzahlungsantrag, kann ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch greifen.
Grundlage sind die Beratungs- und Auskunftspflichten (§§ 14, 15 SGB I) i. V. m. der Antragstellung (§ 16 SGB I; § 37 SGB II). Das Bundessozialgericht bejaht eine Hinweispflicht des Jobcenters, vgl. BSG, 18.01.2011 – B 4 AS 29/10.
1. Ausgangspunkt & Anspruchsgrundlagen
Hat ein Leistungsberechtigter keinen neuen Antrag gestellt, kann gleichwohl ein Anspruch über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bestehen. Er setzt eine objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung des Trägers sowie einen hierdurch verursachten sozialrechtlichen Schaden voraus; der/die Betroffene ist so zu stellen, als wäre rechtmäßig gehandelt worden (Naturalrestitution).
Rechtsgrundlagen im Verfahren sind u. a. § 14 SGB I (Beratung), § 15 SGB I (Auskunft), § 16 SGB I (Antragstellung) sowie zum Antragserfordernis im SGB II § 37 SGB II.
Vertiefend zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch:
2. Aufklärungspflicht zum Weiterbewilligungsantrag
Die Nebenpflicht des Leistungsträgers, vor Ablauf des Bewilligungszeitraums auf den notwendigen Fortzahlungsantrag hinzuweisen, kann sich aus dem Sozialrechtsverhältnis und besonderen Umständen ergeben. Anträge müssen nicht zwingend schriftlich gestellt werden; eine (fern-)mündliche Antragstellung ist möglich. Nach § 16 SGB I sollen Leistungsträger auf klare, sachdienliche Anträge hinwirken und fehlende Angaben ergänzen lassen (Amtsermittlungsgrundsatz).
3. Rechtsprechung des BSG
Das Bundessozialgericht hat eine Pflichtverletzung bejaht, wenn das Jobcenter nicht auf den Fortzahlungsantrag hinweist (BSG, 18.01.2011 – B 4 AS 29/10 R):
Das Jobcenter versäumt eine ihm obliegende Aufklärungspflicht, wenn es – nachdem es nach Ablauf des ersten Bewilligungszeitraums Alg II ohne einen Fortzahlungsantrag weitergezahlt hat – für den dritten Bewilligungsabschnitt nicht auf das Erfordernis eines Fortzahlungsantrages für die weitere Leistungsgewährung hinweist.
Weiter führt das Gericht aus:
[13] Der Beklagte hat es vorliegend pflichtwidrig unterlassen, den Kläger über die Erforderlichkeit eines Antrags auf Fortzahlung von AlG II in zeitlichem Zusammenhang mit dem Ende des letzten Bewilligungszeitraums hinzuweisen. […] Aus dem Sozialrechtsverhältnis […] folgt […] die Verpflichtung […], den Leistungsempfänger […] darauf aufmerksam zu machen, dass eine Fortzahlung […] von einer Antragstellung abhängig ist und erst der Antrag die Leistungsgewährung auslöst, wenn das Antragserfordernis für den Leistungsempfänger nicht offensichtlich sein muss. […]
[14] Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind § 14 SGB II und § 15 SGB II. […]
4. Praxis-Hinweise
- Frühzeitig erinnern: Kurz vor Ablauf des Bewilligungszeitraums schriftlich (oder nachweisbar telefonisch) einen Fortzahlungsantrag anzeigen.
- Dokumentation sichern: Eingangsbestätigungen, Telefonnotizen, E-Mails aufbewahren.
- Bei Versäumnis: Herstellungsanspruch geltend machen und auf die Hinweispflicht verweisen (BSG 18.01.2011 – B 4 AS 29/10 R).
- Antragserfordernis: Beachte § 37 SGB II; formloser Antrag genügt, Unterlagen können nachgereicht werden.
5. Häufige Fragen
Reicht ein telefonischer Antrag?
Ja. Ein Antrag kann auch (fern-)mündlich gestellt werden; der Träger muss auf eine sachdienliche Antragstellung hinwirken (§ 16 SGB I).
Muss das Jobcenter an den Fortzahlungsantrag erinnern?
In typischen Konstellationen ja: Es besteht eine Hinweis- und Beratungspflicht, rechtzeitig vor Ablauf auf die Antragserfordernis aufmerksam zu machen (BSG 18.01.2011 – B 4 AS 29/10 R).
Was bewirkt der Herstellungsanspruch konkret?
Naturalrestitution: Der/die Betroffene wird so gestellt, als wäre ordnungsgemäß beraten worden – z. B. Leistungsgewährung ab dem Zeitpunkt, zu dem bei rechtzeitigem Hinweis ein Antrag gestellt worden wäre.
6. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu Antragstellung & Herstellungsanspruch:
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