Die §§ 56 bis 62 SGB II im achten Kapitel des SGB II enthalten Mitwirkungspflichten in Form von Anzeige-, Melde-, Auskunfts- und Bescheinigungspflichten der am Leistungsbezug nach dem SGB II Beteiligten sowie Dritter, deren Aktivitäten Einfluss auf die Leistungserbringung nach dem SGB II haben können.
Die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I sind ergänzend anwendbar, soweit im Achten Kapitel des SGB II keine Spezialregelungen getroffen werden (BSG, 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R).
[14] Das SGB II ist für eine ergänzende Anwendung der §§ 60 ff SGB I grundsätzlich offen (ebenso Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, K § 56 RdNr 3, Stand November 2004; Reinhardt in Krahmer, Hrsg, LPK-SGB I vor §§ 60 bis 67, RdNr 2). Zwar sind verschiedene Mitwirkungsobliegenheiten der Antragsteller bzw Leistungsempfänger im SGB II auch ausdrücklich und explizit normiert (vgl §§ 56, 58 Abs 2 und 59 SGB II). Sie stellen jedoch eine bereichsspezifische Ausgestaltung der allgemeinen Mitwirkungsvorschriften des SGB I dar. Ergänzend ist dabei jeweils auf die in §§ 60 ff. SGB I normierten Pflichten abzustellen.
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1. Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten
§ 56 SGB II regelt eine Anzeige- und Bescheinigungspflicht des Leistungsempfängers bei Arbeitsunfähigkeit.
Unterschieden wird zwischen der Anzeigepflicht nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und der Nachweispflicht nach § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II.
Ohne schuldhaftes Zögern muss der Leistungsberechtigte den Beginn der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer nicht aber den Befund unverzüglich anzeigen. Spätestens am dritten Kalendertag der Arbeitsunfähigkeit muss der erwerbsfähige Leistungsberechtigte eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorlegen.
Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist im SGB II nicht definiert. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist anhand des arbeitsrechtlichen Arbeitsunfähigkeitsbegriffes zu bestimmen. Da der Leistungsberechtigte bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II (Bürgergeld) gerade keine Tätigkeit ausübt und zur Aufnahme jeder zumutbaren Tätigkeit verpflichtet ist, muss die zumutbare Tätigkeit den Referenzmaßstab bilden.
- Sofortmeldung an Jobcenter: Beginn & voraussichtliche Dauer (kein Befund nötig).
- Nachweis (ärztliche Bescheinigung) bis Tag 3 der AU einreichen.
- Folge-AU rechtzeitig nachreichen, wenn die AU fortbesteht.
- Kontaktweg: Eingangsbestätigung sichern (eServices, Faxjournal, Einwurf-Einschreiben).
eAU-Hinweis: Anders als im Arbeitsverhältnis wird eine elektronische AU dem Jobcenter nicht automatisch übermittelt. Anzeige und Nachweis sind weiterhin aktiv gegenüber dem Jobcenter zu erbringen.
2. Auskunftspflicht und Mitwirkungspflicht Dritter
§ 60 SGB I erweitert gemeinsam mit §§ 57, 58 SGB II die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten. § 60 SGB II erweitert diese Pflichten auch auf Dritte, die keine Leistungen beziehen.
§ 60 Abs. 1 SGB II
Wer jemandem, der Leistungen nach dem SGB II erhält, Leistungen erbringt, hat darüber auf Verlangen Auskunft zu erteilen, § 60 Abs. 1 SGB II. Anders als § 60 Abs. 2 SGB II regelt Abs. 1 die Auskunftspflicht nur für denjenigen, der Leistungen tatsächlich erbringt und nicht auch für denjenigen, der lediglich zur Erbringung der Leistungen verpflichtet ist.
§ 60 Abs. 2 SGB II
§ 60 Abs. 2 SGB II regelt die Auskunftspflicht für diejenigen, die Leistungen tatsächlich erbringen und zur Leistung gegenüber dem Leistungsempfänger verpflichtet sind.
§ 60 Abs. 3 SGB II
§ 60 Abs. 3 SGB II regelt die Auskunftspflicht im Beschäftigungsverhältnis.
Nach § 60 Abs. 3 SGB II hat derjenige, der jemandem, der Leistungen nach dem SGB II beantragt hat oder bezieht, oder dessen Partnerin oder Partner beschäftigt, sowie derjenige, der ein nach § 60 Abs. 2 SGB II zur Auskunft verpflichtet beschäftigt, seinerseits auf Verlangen der Agentur für Arbeit über die Beschäftigung Auskunft zu erteilen.
§ 60 Abs. 3 SGB II überschneidet sich aufgrund des sehr ähnlichen Wortlauts in seinem Anwendungsbereich mit § 57 SGB II. In seinem Anwendungsbereich verdrängt § 57 SGB II als speziellere Norm die Regelungen in § 60 Abs. 2 SGB II. Gemäß § 57 SGB II hat ein Arbeitgeber auf Verlangen Auskunft über Gründe und den Grund für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu geben. Auch § 58 SGB II regelt Pflichten des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber hat eine entsprechende Einkommensbescheinigung auszustellen.
§ 60 Abs. 4 SGB II
Die Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 4 SGB II beruht auf der Annahme einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen zwei Partnern. Voraussetzung ist das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen zwei Partnern. Dafür ist das Jobcenter beweisbelastet. Eine Beweislastumkehr kommt nicht in Betracht.
§ 60 Abs. 5 SGB II
§ 60 Abs. 5 SGB II begründet Mitwirkungspflichten für Arbeitgeber und Auftraggeber von Personen, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt oder bezogen haben oder gegenwärtig beziehen.
| Norm | Wer ist verpflichtet? | Worüber? | Beispiel-Nachweis |
|---|---|---|---|
| § 60 Abs. 1 SGB II | Leistungs-Erbringer an LB | Erbrachte Leistungen | Bescheinigung der Krankenkasse/Unterhaltskasse |
| § 60 Abs. 2 SGB II | Erbringer und Verpflichtete | Leistungstatbestände | Unterhaltstitel, Zahlungsnachweise |
| § 60 Abs. 3 SGB II | Arbeitgeber/Arbeitgeber des Verpflichteten | Beschäftigung, Entgelt, Beendigung | Arbeits-/Einkommensbescheinigung, Kündigungsschreiben |
| § 60 Abs. 4 SGB II | Partner bei VuE | Haushalts-/Wirtschaftsgemeinschaft | Miet-/Nutzungsvertrag, Haushaltskostenaufstellung |
| § 57, § 58 SGB II | Arbeitgeber | Beendigungsgründe; Einkommensbescheinigung | AG-Schreiben, § 58-Bescheinigung |
Hinweis: Bei § 60 Abs. 4 SGB II (VuE) trägt das Jobcenter die Beweislast; eine Beweislastumkehr findet nicht statt.
3. Folgen bei Verletzung einer Mitwirkungspflicht
Das Jobcenter muss sich von vornherein entscheiden, ob es nach den §§ 56 ff. SGB II oder den §§ 60 ff. SGB I vorgeht.
Praxis: Bei Pflichten nach §§ 56–62 SGB II greifen primär die dortigen Spezialfolgen. Eine Versagung/Entziehung nach § 66 SGB I kommt nur bei Pflichten aus §§ 60 ff. SGB I in Betracht und setzt eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung voraus.
Nur wenn eine Obliegenheit nach den §§ 60 ff. SGB I verletzt wurde und der Leistungsberechtigte durch Rechtsfolgenbelehrung auf die möglichen Rechtsfolgen hingewiesen worden ist, können die Leistungen versagt oder entzogen werden, § 66 Abs. 3 SGB I.
- Adressierte Pflicht klären: Geht es um § 56–62 SGB II (Spezialnorm) oder um §§ 60 ff. SGB I (Allgemeinteil)?
- Rechtsfolgenbelehrung prüfen: Nur bei korrekter Belehrung nach §§ 60 ff. SGB I → § 66 SGB I (Versagung/Entziehung).
- Zeitnah reagieren: Fristverlängerung/konkrete Benennung, was (noch) fehlt; Gründe für Unmöglichkeit darlegen.
- Zahlungseinstellung vs. Versagung: Vorläufige Einstellung i. d. R. nur bei gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. gesonderten Beitrag „vorläufige Zahlungseinstellung“).
Häufige Fragen – kurz & praxisnah
- Ich bin krank – muss ich trotzdem zum Termin?
Bei AU gilt: unverzüglich anzeigen, Nachweis fristgerecht. Termine ggf. verlegen lassen. - Dürfen Arbeitgeber „alles“ mitteilen?
Nur die gesetzlich verlangten Angaben (§§ 57–60 SGB II). Datenschutz bleibt zu beachten. - Versagung erhalten – was tun?
Begründet nachreichen, Abhilfe anregen; sonst Widerspruch. Parallel existenzsichernde Leistungen prüfen.
Auskunftsverlangen sind auf den gesetzlichen Zweck beschränkt (Ermittlung leistungsrelevanter Tatsachen). Weitergehende Angaben dürfen nicht verlangt werden. Maßgeblich sind u. a. die Grenzen aus §§ 67 ff. SGB X.
4. Muster Antwortschreiben auf Mitwirkungsaufforderung
Betreff: Ihre Aufforderung zur Mitwirkung vom [Datum], BG-Nr. [x]
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu den angeforderten Unterlagen teile ich mit:
- [Unterlage A] reiche ich bis zum [Datum] nach.
- [Unterlage B] kann ich derzeit nicht beibringen, weil [Grund]. Ich bitte um Fristverlängerung bis [Datum] und nenne hilfsweise folgende Nachweise: [Ersatznachweise].
- Bitte konkretisieren Sie, welche Angaben in Punkt [Ziff.] noch fehlen.
Ich weise darauf hin, dass Maßnahmen nach § 66 SGB I nur bei ordnungsgemäßer Rechtsfolgenbelehrung in Betracht kommen.
Ich nutze – soweit möglich – die eServices des Jobcenters. Bitte bestätigen Sie den Eingang der Unterlagen.
Bitte teilen Sie mit, auf welche Rechtsgrundlage Sie ein etwaiges Auskunftsverlangen gegenüber Dritten stützen und in welchem Umfang Auskünfte benötigt werden.
Mit freundlichen Grüßen
[Name, Unterschrift]
5. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Vertiefend zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten gemäß dem SGB I und den Folgen einer Verletzung, der vorläufigen Zahlungseinstellung und dem Widerspruchsverfahren:

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