Die mit dem am 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Pflegestärkungsgesetz III (PSG III) beschlossenen Neuregelungen sehen eine größere Anzahl an Abstufungen der Pflegebedürftigkeit vor. Die fünf neuen Pflegegrade sind als Folge der vielfältigen Veränderungen beim Pflegebedürftigkeitsbegriff und beim Neuen Begutachtungsinstrument mit den bis Ende 2016 geltenden Pflegestufen I bis III nur eingeschränkt vergleichbar.
Bei genauerem Hinsehen hat sich die Anzahl der Abstufungen zwar nicht verändert, wenn man im alten System die Pflegestufen 0 bei eingeschränkter Alltagskompetenz und die Härtefälle oberhalb der Pflegestufe III hinzurechnet. Verändert haben sich allerdings die Voraussetzungen für die einzelnen Stufen, weil an die Stelle des früher maßgebenden Umfangs des Hilfebedarfs nach der Zeit eine Analyse der Ausprägung der Selbstständigkeit des Betroffenen getreten ist.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das Neue Begutachtungsinstrument stehen in einem untrennbaren fachlichen Zusammenhang. Das Neue Begutachtungsinstrument greift die Elemente des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs aus § 14 Begriff der Pflegebedürftigkeit
(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 14 SGB XI auf und konkretisiert diese in § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
(1) Pflegebedürftige erhalten nach der Schwere der Beeinträchtigungen …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 SGB XI für die Zwecke der Begutachtung im Rahmen der Pflegeversicherung.
1. neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff
§ 14 SGB XI enthält die maßgebenden Definitionen des Begriffs der Pflegebedürftigkeit.
§ 14 Begriff der Pflegebedürftigkeit
(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 14 Abs. 1 SGB XI legt die grundlegenden Kriterien für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit fest: gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten, die einen Hilfebedarf begründen.
Es folgt in § 14 Begriff der Pflegebedürftigkeit
(1) …
(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
1. Mobilität:
…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 14 Abs. 2 SGB XI ein Katalog mit sechs Bereichen, in denen der Schweregrad der individuellen Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ermittelt wird:
- Mobilität:
Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;- kognitive und kommunikative Fähigkeiten:
Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen:
motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;- Selbstversorgung:
Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;- Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b) in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
c) in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d)in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte:
Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff soll vor allem die Ermittlung des Hilfebedarfs von Personen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen verbessern und ihnen dadurch einen gleichrangigen Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung verschaffen.
2. neues Begutachtungsinstrument
Für die Zuordnung zu einem Pflegegrad hat das neue, pflegefachlich begründete Begutachtungsinstrument eine zentrale Bedeutung. § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
(1) … Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt.
(2) …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 Abs. 1 S. 2 SGB XI weist darauf hin.
Je nach dem Ausmaß der Pflegebedürftigkeit wird der Pflegebedürftige einem von fünf Pflegegraden zugeordnet, § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
…
(3) Zur Ermittlung des Pflegegrades sind die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen. …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 Abs. 3 SGB XI. Der Pflegegrad hängt von der Schwere der Pflegebedürftigkeit ab. Der Schweregrad kommt nach pflegefachlichen Verständnis im Ausmaß der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit und der Fähigkeiten zum Ausdruck, § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
(1) Pflegebedürftige erhalten nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). …
…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 Abs. 1 S. 1 SGB XI.
Statt der in § 15 SGB XI alter Fassung genannten „Mindestzeiten“ werden in § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
(1) …
(2) … Die Module des Begutachtungsinstruments werden wie folgt gewichtet:
1. Mobilität mit 10 Prozent,
2. kognitive …
…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 Abs. 2 S. 8 Nrn. 1 bis 5 SGB XI jetzt die „Module“ aus § 14 Abs. 2 SGB XI aufgezählt und in § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
(1) …
(2) … Die Summen der Punkte werden nach den in ihnen zum Ausdruck kommenden Schweregraden der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten wie folgt bezeichnet:
1. Punktbereich 0: …
2. …
…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 Abs. 2 S. 6 Nrn. 1 bis 5 SGB XI „Punktbereiche“ genannt, die zur Ermittlung des Pflegegrades gemäß § 15 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
…
(3) Zur Ermittlung des Pflegegrades sind die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen. …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 15 Abs. 3 SGB XI verschieden gewichtet werden.
3. erstes Fazit
Welche Auswirkungen die neuen Regelungen im Hinblick auf eine gerichtliche Überprüfung haben, bleibt abzuwarten. Die „alte Bewertungsmethode“ nach dem Bewertungsfaktor Zeit war jedenfalls für die meisten Betroffenen mit eigenem Sachverstand nachvollziehbar. Das neue System mit den gewichteten Punktebewertungen gemäß § 15 Abs. 2 S. 7 SGB XI in Verbindung mit der Anlage 2 (zu § 15)
Bewertungssystematik (Summe der Punkte und gewichtete Punkte)
Schweregrad der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten im Modul
…
(Link: www.gesetze-im-internet.de vom Bundesministerium der Justiz)Anlage 2 zu § 15 SGB XI und dem Grad der Selbstständigkeit gemäß § 15 Abs. 3 SGB XI in den Modulen gemäß § 14 Abs. 2 SGB XI dürfte hingegen schwerer fassbar sein.
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Zur besseren Übersicht folgt ein Auszug aus der Tabelle 2 zu § 15 SGB XI:
Module | Ge- wich- tung | 0 keine | 1 geringe | 2 erheb- liche | 3 schwere | 4 schwer- ste | |
1 Mobilität | 10 % | 0-1 _____ 0 | 2-3 _____ 2,5 | 4-5 _____ 5 | 6-9 _____ 7,5 | 10-15 _____ 10 | Summe der Einzelpunkte im Modul 1 _____ gewichtete Punkte im Modul 1 |
2 Kognitive und kommunikative Fähigkeiten _______ 3 Verhaltensweisen und psychische Problemlagen _______ höchster Wert aus Modul 2 oder 3 | 15 % | 0-1 | 2-5 | 6-10 | 11-16 | 17-33 | Summe der Einzelpunkte im Modul 2 |
15 % | 0 | 1-2 | 3-4 | 5-6 | 7-65 | Summe der Einzelpunkte im Modul 3 | |
0 | 3,75 | 7,5 | 11,25 | 15 | gewichtete Punkte für Module 2 und 3 | ||
4 Selbstver- sorgung | 40 % | 0-3 ______ 0 | 3-7 ______ 10 | 8-18 ______ 20 | 9-36 ______ 30 | 37-54 ______ 40 | Summe der Einzelpunkte im Modul 4 ______ gewichtete Punkte im Modul 4 | 5 Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen | 20 % | 0 ______ 0 | 1 ______ 5 | 2-3 ______ 10 | 4-5 ______ 15 | 6-15 ______ 20 | Summe der Einzelpunkte im Modul 5 ______ gewichtete Punkte im Modul 5 |
6 Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte | 15 % | 0 ______ 0 | 1-3 ______ 3,75 | 4-6 ______ 7,5 | 7-11 ______ 11,25 | 12-18 ______ 15 | Summe der Einzelpunkte im Modul 6 |
7 Außerhäusliche Aktivitäten | Die Berechnung der Modulwerte ist entbehrlich, da die Darstellung der qualitativen Ausprägungen bei den einzelnen Kriterien ausreichend ist, um Anhaltspunkte für eine Versorgungs- und Pflegeplanung ableiten zu können. | ||||||
8 Haushalts- führung | Die Berechnung der Modulwerte ist entbehrlich, da die Darstellung der qualitativen Ausprägungen bei den einzelnen Kriterien ausreichend ist, um Anhaltspunkte für eine Versorgungs- und Pflegeplanung ableiten zu können. |
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