45 SGB X – Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes
§ 45 Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes
- (1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
- (2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
- 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
- 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, ode/li>
- 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
- (3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
- 1. die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
- 2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.
- (4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
- (5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
§ 45 Abs. 1 S. 1 SGB X regelt die Rücknahme eines rechtswidrigen und begünstigenden Verwaltungsaktes und gleichzeitig, was ein begünstigender Verwaltungsakt ist (erster Halbsatz). Die Vorschrift enthält nur das sozialrechtliche Verfahren betreffende Regelungen, die in anderen Verfahrensregelungen (VwVfG, AO) keine Entsprechung finden.
§ 45 SGB X betrifft - anders als § 48 SGB X - Verwaltungsakte, die bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe (von Anfang an) rechtswidrig gewesen sind.
§ 48 SGB X betrifft hingegen solche Verwaltungsakte, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe noch rechtmäßig waren und erst später rechtswidrig geworden sind. Die Vorschrift gilt nur für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung.
Die Rücknahme nach § 45 SGB X steht - anders als in den Fällen des § 44 SGB X - grundsätzlich im Ermessen der Behörde.
Ermessensgesichtspunkte sind:
- - wirtschaftliche Folgen,
- - einstehen müssen für das Verhalten eines Vertreters,
- - Weiterleitung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen,
- - Verwaltungsaufwand,
- - Maß der Unredlichkeit,
- - Verschulden an fehlerhafter Entscheidung,
- - ...
Bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte ist der Vertrauensschutz des Adressaten auf den Bestand des Verwaltungsaktves besonders zu berücksichtigen:
- - § 45 Abs. 2 Satz 1 und S. 2 SGB X regeln einen allgemeinen Vertrauensschutz.
- - Ein "Regelvertrauensschutz" wird in § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X geregelt.
- - Nur im Ausnahmefall – bei Unlauterkeit – kann sich der Betroffene nicht auf den Vertrauensschutz berufen, § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X.
§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB X nennt Täuschung, Drohung und Bestechung.
§ 45 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 SGB X kann mit „unrichtigen oder unvollständigen Angaben“ auch eine unterlassene Mitteilung wesentlicher Änderungen erfassen. Die unterlassenen Angaben müssen dann zumindest grob fahrlässig erfolgen. Maßstab ist eine persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit des Betroffenen.
Bei der Kenntnis im Sinne des § 45 Abs. 3 S. 3 Nr. 3 SGB X ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des rechtswidrigen Bescheides abzustellen. - - Besonderheiten gelten bei einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X. Hier findet eine Rücknahme für die Vergangenheit nur bei Unlauterkeit statt.
- - In § 45 Abs. 4 SGB X werden Rücknahmefristen bei einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit geregelt. In der Regel gilt bei einer Aufhebung für die Vergangenheit die Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X.
In den folgenden Beiträgen habe ich § 45 SGB X angesprochen:
Die Korrektur von Verwaltungsakten durch einen Überprüfungsantrag
... eine Besonderheit im Sozialrecht beinhaltet der Antrag auf Überprüfung gemäß § 44 SGB X ... bestandskräftige Entscheidungen können noch überprüft werden ...
... | mehr
Die Aufhebung von Verwaltungsakten gemäß den §§ 44-49 SGB X
... zu den Voraussetzungen und Folgen einer Aufhebung von Verwaltungsakten gemäß den §§ 44-49 SGB X ... | 1. § 44 SGB X – Rücknahme eines ... | 2. § 45 SGB X ..
... | mehr
Rücknahme und Aufhebung von Entscheidungen gemäß den §§ 45, 48 SGB X
§ 45 und § 48 SGB X – wesentliche Tatbestandsvoraussetzungen ... | schutzwürdiges Vertrauen ... | fehlender Vertrauensschutz ... | Ermessen ... | Fristen ...
... | mehr
Rückforderung von Leistungen im Sozialrecht – § 45 Abs. 2 SGB X (Vertrauensschutz)
... der Begünstigte muss auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertrauen dürfen | zur Rückforderung von Leistungen im Sozialrecht - § 45 Abs. 2 SGB X ...
... | mehr