Rechtsanwalt und Sozialrecht

von Rechtsanwalt Sönke Nippel in Remscheid

  • Startseite
  • Kontakt

Kostengrundentscheidung im Widerspruchsverfahren

5. Dezember 2016, aktualisiert am 25. Januar 2021 | Kommentar schreiben

Urteil unter Lupe

Kostengrundentscheidung im Widerspruchsverfahren 1Fraglich ist, welche Konsequenzen eine unterbliebene Kostengrundentscheidung im Widerspruchsverfahren hat. Diese Frage ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn das Verfahren für den Widerspruchsführer erfolgreich durchgeführt wird. Entscheidet die Behörde entgegen § 63 Erstattung von Kosten im Vorverfahren
 
(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetautritt)
§ 63 SGB X
nicht über die Kosten, so ergeben sich mehrere Lösungsansätze:

  1. Der Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides könnte mit Widerspruch oder Klage angreifbar sein.
     
    Die fehlende Kostengrundentscheidung zum erfolgreichen Widerspruch könnte als Ablehnung der Kostenübernahme zu werten sein. Die unterbliebene Kostengrundentscheidung könnte damit zumindest zu einer Teilrechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides führen. Dagegen könnte der Widerspruch oder auch die Klage das richtige Rechtsmittel sein.
  2. Der Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides könnte auch ohne eine Kostengrundentscheidung gemäß § 63 SGB X bestandskräftig werden. Die Behörde müsste die fehlende Kostengrundentscheidung nachholen.
     
    Der Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ohne die Kostenentscheidung könnte sich als eigenständige Regelung darstellen und der Erlass der Kostengrundentscheidung könnte im Ergebnis mit einer Verpflichtungsklage erzwungen werden.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen befürwortete, dass der Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides mit der fehlenden Kostengrundentscheidung mit dem Widerspruch angegriffen werden kann und im Ergebnis dann auch die Kosten des – weiteren – Widerspruchsverfahrens einen zusätzlichen Kostenerstattungsanspruch auslösen können (Bild: in neuem Tab öffnen - zum Urteilwww.sozialgerichtsbarkeit.deLSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Oktober 2004, L 13 RJ 35/04).

Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Oktober 2004, L 13 RJ 35/04

Jedenfalls folgt der Senat im Ergebnis der von Krasney (KK – Krasney, aaO.) und Schneider-Danwitz (Gesamtkommentar, aaO.) vertretenen Meinung. Trifft im Abhilfebescheid die Ausgangsbehörde bzw. im Widerspruchsbescheid die zuständige Widerspruchsstelle entgegen der ihr nach § 63 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht keine Kostenentscheidung, so steht dies einer Ablehnung der Übernahme der notwendigen Aufwendungen gleich. Der Antragsteller bzw. der Widerspruchsführer ist damit berechtigt, gegen diese im Ergebnis für ihn negative Kostenentscheidung mit dem Rechtsbehelf des Widerspruchs vorzugehen. Er ist nicht verpflichtet, sich auf einen Neuantrag verweisen zu lassen, zumal im SGB X eine § 140 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vergleichbare Regelung fehlt.

Das Bundessozialgericht favorisiert allerdings die zuletzt genannte Ansicht und hob die Entscheidung des LSG auf (Bild: in neuem Tab öffnen - zum Urteilwww.sozialgerichtsbarkeit.deBSG, Urteil vom 17. Oktober 2006, B 5 RJ 66/04 R):

Urteil des BSG vom 17. Oktober 2006, B 5 RJ 66/04 R, Rdnr. 13

Sach- und Kostenentscheidung sind rechtlich selbstständige Entscheidungen. Dabei dürfte es letztlich nur eine Frage der Bezeichnung sein, ob sie – soweit in demselben Dokument enthalten – als Einzelregelungen oder Verfügungssätze eines „Verwaltungsaktes“ angesehen werden, der das Dokument als Ganzes umschreibt oder ob sie als zwei selbstständige (materielle) Verwaltungsakte in demselben „Bescheid“ aufzufassen sind. Die Rechtmäßigkeit der Sachentscheidung ergibt sich stets allein aus den rechtlichen Anforderungen, die das Gesetz jeweils an diese stellt, wohingegen sich die Kostenentscheidung iS des § 63 Abs 1 S. 1 SGB X nach den dort normierten Vorgaben richtet. Die Kostenentscheidung ist nicht Teil der Sachentscheidung, sondern zusätzlich zu treffen. Ist sie unterlassen worden, macht dies die Sachentscheidung nicht rechtswidrig und damit anfechtbar; vielmehr ist die unterbliebene Kostenentscheidung mit der Verpflichtungsklage zu erwirken.

Im Ergebnis gestattet also das Bundessozialgericht, dass die Behörde den anwaltlichen Vertreter „an der Nase herum führen kann“:

Trifft die Behörde – offensichtlich entgegen den gesetzlichen Vorgaben des § 63 SGB X – keine Entscheidung hinsichtlich der Kosten, so kann und muss der anwaltliche Vertreter die Behörde entsprechend benachrichtigen und um Nachholung der Kostengrundentscheidung „bitten“ und gegebenenfalls nach einem halben Jahr eine Untätigkeitsklage erheben (im Hinblick auf § 88 – Untätigkeitsklage
 
(1) Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist …
 
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)
§ 88 Abs. 1 SGG
). Die Entscheidung des Bundessozialgerichts überzeugt nicht. So wird der ohnehin schon rechtswidrig handelnden Behörde erlaubt, den Antragssteller mit seinem Verfahrensbevollmächtigten noch weiter zu drangsalieren. Es entsteht Mehraufwand. Die Behörde kann mit dem Betroffenen und dessen Verfahrensbevollmächtigten „spielen“.

 

mehr zum Thema:


Weitere Beiträge zum Allgemeinen Sozialrecht liste ich auf der folgenden Übersichtsseite auf:
  • Allgemeines Sozialrecht in Stichworten
    Allgemeines Sozialrecht - Übersicht

    1. SGB I – Allgemeiner Teil                         4. ...
    2. SGB X – Sozialver­waltungs­ver­fahren
    3. SGG – Sozial­gerichtsgesetz | mehr


Die folgenden Beiträge beschäftigen sich mit weiterführenden Themen zum allgemeinen Sozialrecht:
  • Buch rot mit Paragraf
    Rechtsanwaltsgebühren im Sozialrecht

     In sozialrechtlichen Angelegenheiten entstehen bei Beauftragung eines Rechtsanwaltes Gebühren gemäß dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (im Folgenden: RVG) … | mehr

  • silberner Paragraf unter Lupe
    Anrechnung der nach § 63 SGB …

    Das Sozialgericht Gießen entschied in einem Urteil vom 12. Dezember 2014 www.sozialgerichtsbarkeit.de(S 29 AS 460/14), … | mehr

  • Paragraf im Scheinwerferlicht
    Zur Höhe der Geschäftsgebühr für Widerspruchsverfahren …

    Das Bayerische Landessozialgericht sieht bei der Bestimmung der Geschäftsgebühr für einen Widerspruch gegen eine geringe … | mehr


Über das Stichwortverzeichnis finden Sie weitere Beiträge zu sozialrechtlichen Fragestellungen:
  • Sozialrecht in Stichworten
    Stichwortverzeichnis - Sozialrecht in Stichworten

    Mit einem Klick auf das Stichwort oder den Paragrafen gelangen Sie zu einer Übersicht der Beiträge die das Stichwort enthalten ... | mehr


 
Frage

Schreiben Sie einen Kommentar,
fragen/antworten Sie! Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse veröffentliche und nutze ich nicht. Die Angabe der E-Mail-Adresse dient nur der Vermeidung von Spam. Nutzen Sie einen "Spitznamen", wenn Ihr Name nicht genannt werden soll. Erforderliche Felder sind nur der (Spitz-)name und die E-Mail-Adresse.
 
Bitte stellen Sie eine Frage in dem richtigen Zusammenhang! Bitte verschaffen Sie sich durch die Übersichtsseiten und das Stichwortverzeichnis einen Überblick, zu welchem Beitrag die Frage passt. Ich werde nicht alle Fragen beantworten können.
 


p.s.: Ich bin leider gezwungen, eine Frage bzw. einen Kommentar manuell freizuschalten. Dies kann einige Tage dauern. Andernfalls würden die Beiträge „in Spam versinken“.

Urteil unter Lupe

Rechtsanwalt Sönke Nippel
Kippdorfstraße 6-24
42857 Remscheid
 
Telefon: 0 21 91 / 46 00 876

ZUM IMPRESSUM
 
ZUR DATENSCHUTZERKLÄRUNG

Link zum Beitrag Einleitung

▲