Versicherte, die noch mindestens 3 Stunden, aber nicht mehr als 6 Stunden täglich erwerbsfähig sein können, erhalten eine volle Erwerbsminderungsrente (Arbeitsmarktrente), wenn das verbliebene Restleistungsvermögen wegen Arbeitslosigkeit nicht in Erwerbseinkommen umgesetzt werden kann bzw. wenn ein entsprechender Arbeitsplatz nicht vermittelt werden kann. Es ist dann die Frage zu beantworten, ob ein „verschlossener Arbeitsmarkt“ vorliegt. Liegt rein medizinisch eine teilweise Erwerbsminderung, also ein Restleistungsvermögen von mehr als 3 und unter 6 Stunden vor, kann eine volle Erwerbsminderungsrente – eine Arbeitsmarktrente – geleistet werden, wenn dem Versicherten kein geeigneter Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden kann.
Das Rechtsinstitut der „Arbeitsmarktrente“ wurde von der Rechtsprechung entwickelt. Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des BSG demnach auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens 3 bis unter 6 Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist. In jüngerer Vergangenheit hat dies u. a. das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestätigt (vgl. www.sozialgerichtsbarkeit.deUrteil des Landessozialgerichts vom 13. August 2014, L 9 R 1721/14):
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des BSG auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist.
Der Rentenversicherungsträger muss also bei einem Restleistungsvermögen von täglich mehr als 3 und unter 6 Stunden prüfen, ob dem Versicherten noch ein entsprechender Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden kann.
Dies gilt trotz der Regelung des § 43 Rente wegen Erwerbsminderung
…
(3) …; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der besagt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 43 Rente wegen Erwerbsminderung
…
(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; ….
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 43 Abs. 3 erster Halbsatz SGB VI, der sich nur auf die Erwerbsfähigkeit von mindestens sechs Stunden bezieht. Nur bei den über sechs Stunden täglich Leistungsfähigen ist also die Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Bitte achten Sie darauf, dass der Begriff der Arbeitsunfähigkeit nur mittelbare Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI zulässt!
Arbeitsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer infolge einer Krankheit daran gehindert ist, die ihm nach dem Inhalt eines Arbeitsvertrages obliegende Tätigkeit oder eine gleichartige Erwerbstätigkeit zu verrichten, oder die Tätigkeit nur unter der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fortsetzen kann.
Bei der Beurteilung der Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI ist jedoch die ausgeübte oder die zuletzt versicherte Tätigkeit ohne Bedeutung.
Damit für einen Versicherten der Teilzeitarbeitsmarkt nicht als verschlossen gilt, muss diesem eine ausreichende Anzahl an Arbeitsplätzen, die seinem (Rest-)Leistungsvermögen entsprechen, zur Verfügung stehen.
Gelingt es weder der Arbeitsverwaltung noch dem Rentenversicherungsträger, dem Versicherten einen geeigneten Arbeitsplatz innerhalb eines Jahres ab Rentenantragstellung zu vermitteln, gilt der Arbeitsmarkt als verschlossen. In diesem Fall muss dann die volle Erwerbsminderungsrente als Arbeitsmarktrente geleistet werden. Im Hinblick auf die weiterhin ungünstige Arbeitsmarktlage, vor allem für teilweise erwerbsgeminderte Versicherte, gilt der Arbeitsmarkt ohne weitere Ermittlung grundsätzlich als verschlossen.
Diese „Arbeitsmarktrente“ setzt nicht voraus, dass der Versicherte sich auch tatsächlich bei der Agentur für Arbeit meldet. Es ist irrelevant, ob der Versicherte tatsächlich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat bzw. dass der Versicherte arbeitslos im Sinne des § 118 SGB III ist. Keine Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes und damit kein Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente besteht, wenn teilweise erwerbsgeminderte Versicherte einen geeigneten Teilzeitarbeitsplatz aufgeben.
Mit der Arbeitsmarktrente trägt der Rentenversicherungsträger nur einen Teil des Risikos der Arbeitslosigkeit. Gemäß § 224 Erstattung durch die Bundesagentur für Arbeit
(1) Zum Ausgleich der Aufwendungen, die der Rentenversicherung für Renten wegen voller Erwerbsminderung entstehen, …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 224 SGB VI zahlt die Bundesanstalt für Arbeit hierfür der Gesetzlichen Rentenversicherung einen Ausgleichsbetrag in Höhe der Hälfte der Aufwendungen für die Renten wegen voller Erwerbsminderung.
Wolli says
Hallo,
wie sieht es aus bei einer Erwerbsminderungsrente wenn das Restleistungsvermögen noch bei größer 6 Stunden liegt, innerhalb eines Jahres aber kein Arbeitsplatz gefunden wurde?
Wann und wer beantragt die Arbeitsmarktrente? Der Versicherte oder ?
Vielen Dank vorab
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Wolli,
bei einem Restleistungsvermögen über 6 Stunden liegt keine Erwerbsminderung vor. Eine Rente kommt dann nicht in Betracht.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Patrick Neumann says
Endlich erklärt es mal jemand so, dass man es versteht. Dennoch eine Rückfrage: Angenommen, ich beziehe eine Teilerwerbslosenrente (3-6 Stunden arbeitsfähig) und gehe einer entsprechenden Teilzeitbeschäftigung von 3-6 Stunden täglich nach. Weiter angenommen, ich verliere diese Arbeit irgendwann, weil ich häufig arbeitsunfähig krank gemeldet bin: Dann bekäme ich ja ALG I und die bisherige (halbe) Erwerbsminderungsrente. Würde die dann auf Antrag nach einem Jahr (vorausgesetzt, für mich wird nichts Neues gefunden) auf eine Arbeitsmarktrente (also finanziell in eine volle Erwerbsminderungsrente) aufgestockt?
Michel says
Ich wurde vom Sozialgericht (Gutachter) untersucht. Fragestellung war ob ich erwerbsunfähig bin.
Der Gutachter stellte fest hier, dass ich 3-6 Stunden arbeitsfähig bin. Vollschicht also 8 Stunden und mehr nicht mehr drin ist.
Bin auch zu 80 Prozent anerkannt schwerbehindert seit 1985. Die Deutsche Rentenversicherung lehnt Leistungen ab, Reha-Kur vor Rente. Darauf hatte das Jobcenter mich ausgemustert und zum Sozialamt (Grundsicherung) verschoben. Dagegen hatte ich geklagt. Verfahren noch am laufen hier, Rückkehr zum Jobcenter.
In einer Lektüre fand ich, dass teilweise Jobcenter und Deutsche Rentenversicherung Leistungen erbringen müssen. Beide sagen aber nein hierzu. Förderungen bzw. Teilhabe am Arbeitsleben denke ich beide kommen dafür auf auch laut Gesetz. Sehe ich dies richtig so hier?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Michel,
anhand der Darstellung vermag ich keine belastbare Antwort zu geben:
Es könnte sein, dass Sie lediglich im Hinblick auf die zuletzt ausgeführte Tätigkeit nicht mehr „arbeitsfähig“ sind (so haben Sie das auch geschrieben). Dann hätte weiter geprüft werden müssen (und dies ist wahrscheinlich auch geschehen), ob Sie dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Hinblick auf eine andere Tätigkeit noch für 3-6 Stunden zur Verfügung stehen – dann wären Sie noch „leistungsfähig“, eine andere Tätigkeit für mehr als 6 Stunden auszuüben. Diese „allgemeine Leistungsfähigkeit“ kann bestehen, auch wenn Sie im Hinblick auf eine bisher ausgeübte Tätigkeit nicht mehr arbeitsfähig sind. Sie können dann nämlich noch für andere Tätigkeiten für mehr als 6 Stunden arbeitsfähig sein. Die Frage der Arbeitsfähigkeit richtet sich immer nur auf eine bestimmte Tätigkeit. Wenn Sie noch leistungsfähig im Hinblick auf andere Tätigkeiten sein sollten, so läge eine teilweise Erwerbsminderung nicht vor.
Die Frage nach Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben betrifft dann einen anderen Themenbereich.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Elbdeich says
Moin,
ich habe eine Frage.
Ich beziehe Bürgergeld, volle Erwerbsunfähigkeit Rente (Arbeitsmarkt), Schwerbeschädigt Merkzeichen G.
Das Jobcenter lehnt meinen Antrag auf Mehrbedarf (17 %) ab, weil meine Volle Erwerbsunfähigkeitsrente sich auf den Arbeitsmarkt bezieht.
Eine erneute Überprüfung meiner Leistungsfähigkeit wurde mündlich abgelehnt, da ich schon diese Rente beziehe und das Gutachten zu teuer wäre.
Wie kann ich mich in diesem Fall verhalten?
Danke
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Elbdeich,
schauen Sie sich den Beitrag „Mehrbedarf für behinderte Menschen beim Hartz IV (Bürgergeld) und der Sozialhilfe“ zu 4. an.
Den Sinn oder Unsinn der ungleichen Behandlung im SGB II und XII vermag ich nicht zu erklären.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt