Auch der Widerspruch gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters hat gemäß § 86a aufschiebende Wirkung
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 86 a Abs. 1 S. 1 SGG aufschiebende Wirkung, wenn die Bewilligung von Leistungen ausschließlich für die Vergangenheit aufgehoben wird. Dies gilt trotz der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzuges in § 39 Sofortige Vollziehbarkeit
Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,
1. der Leistungen …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 39 Nr. 1 SGB II. Dies ergibt sich u. a. aus einem Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. April 2008 (www.justiz.nrw.deL 7 B 329/07 AS EB) und ist gesicherte Rechtsprechung.
Was bedeutet aufschiebende Wirkung?
Die Behörde darf den Verwaltungsakt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf nicht vollziehen.
Wann entfällt die aufschiebende Wirkung?
Die aufschiebende Wirkung entfällt mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Darüber hinaus kann die aufschiebende Wirkung auch per Gesetz ausgeschlossen sein: Eine derartige Regelung enthält § 39 SGB II. Die Vorschrift ordnet die sofortige Vollziehbarkeit einer Entscheidung des Jobcenters an. Es gibt also zunächst keine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage gegen die Entscheidung des Jobcenters. Dies bestimmt § 39 SGB II.
§ 39 Sofortige Vollziehbarkeit
Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,
1. der Leistungen …
(Link: zum Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 39 Nr. 1 SGB II steht der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und Klage bei einem Erstattungsbescheid trotz der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzuges also nicht entgegen, soweit Leistungen aus der Vergangenheit betroffen sind:
Die Regelung des § 39 Nr. 1 SGB II ist damit einschränkend (teleologisch restriktiv) dahingehend auszulegen, dass sie keine Verwaltungsakte erfasst, mit denen die Bewilligung von Leistungen ausschließlich für die Vergangenheit aufgehoben und die Erstattung dieser Leistungen gemäß §§ 45 ff., 50 SGB X angeordnet wird.
Die Vollstreckung der angegriffenen Bescheide ist also solange unzulässig, bis über den Widerspruch und die Klage abschließend entschieden ist.
Wird dennoch während des Widerspruchsverfahrens oder während des Klageverfahrens die Vollstreckung betrieben, so muss ggf. ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage betrieben werden.
Die Aufhebung der Bewilligung laufender Leistungen (auch mit Wirkung für die Vergangenheit) ist strikt von der Erstattung bereits erbrachter Leistungen zu trennen. Im Rahmen der Regelung des § 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG hat der Rechtsbehelf gegen die Aufhebung der laufenden Leistungen keine aufschiebende Wirkung. Die laufende Leistung wird also trotz Anfechtung durch Widerspruch oder Klage nicht mehr ausbezahlt. Diesem Rechtsbehelf kommt also keine aufschiebende Wirkung zu.
Rechnet der Leistungsträger die laufende Leistung mit einer Erstattungsforderung auf, die angefochten ist, handelt er rechtswidrig! Diese Aufrechnung würde eine Vollziehung der Erstattung darstellen, die durch die aufschiebende Wirkung nach § 86 a Abs. 1 SGG ausgeschlossen ist.
Rappel says
Sehr geehrter Herr RA Nippel,
wenn ich das richtig verstanden habe, hätte also der Widerspruch gegen einen Bescheid, in dem die Anrechnung eines Nebenkostenguthabens nach § 22 (3) SGB II verfügt wird, keine aufschiebende Wirkung.
Richtig?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Rappel,
bei der Beantwortung will ich vorsichtig sein:
Für mich ist klar, dass zumindest der Fall des § 50 SGB X (Erstattung von Leistungen) nicht von § 39 SGB II erfasst wird. Beispielsweise sind Vollstreckungsmaßnahmen der Regionaldirektionen unzulässig, solange Widerspruch gegen eine Erstattungsentscheidung eingelegt wurde. Dies folgt aus der ausdrücklichen Benennung nur der Aufhebung, der Rücknahme, des Widerrufs und der Entziehung in § 39 Nr. 1 SGB II, nicht aber der Benennung der Erstattung gemäß § 50 SGB X.
§ 39 SGB II wurde vom Gesetzgeber reformiert und die Bescheide nach den §§ 44 bis 49 SGB X angesprochen, ohne dass § 50 SGB X oder der Begriff der Erstattung in den Wortlaut von § 39 SGB II aufgenommen wurde. Dies geschah, obwohl dem Gesetzgeber der Streit um die Erstattung (bzw. um die Anwendung auch auf Entscheidungen nach § 50 SGB X) bekannt war. Folglich werden Erstattungsbescheide gemäß § 50 SGB X nicht von § 39 SGB II erfasst.
Ist nun eine Entscheidung nach § 22 Abs. 3 SGB II (Minderung des Bedarfs für KdU für den Folgemonat nach der Rückzahlung) eine Erstattungsentscheidung?
Meines Erachtens ist die Frage zu verneinen. § 22 Abs. 3 S. 1 SGB II nennt ausdrücklich eine Minderung („ …, mindern die Aufwendungen …“). § 39 SGB II sagt ausdrücklich, dass der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt zur Feststellung einer Minderung des Auszahlungsanspruches keine aufschiebende Wirkung hat.
Also: meines Erachtens hat der Widerspruch gegen eine Feststellung der Minderung keine aufschiebende Wirkung. § 39 Nr. 1 SGB II sagt ausdrücklich, dass ein Widerspruch gegen eine derartige Feststellung keine aufschiebende Wirkung hat. Aber: vollstreckt werden kann jedenfalls dann nicht, wenn die Zahlung der Kosten der Unterkunft im Folgemonat ohne Kürzung erfolgte … (das wäre nämlich eine Erstattung …). Erfolgte hingegen die Kürzung nach der Feststellung zeitgerecht im Folgemonat (was oft nicht der Fall sein dürfte), dann muss ein Erstattungsbescheid erlassen werden, gegen den meines Erachtens Widerspruch mit aufschiebender Wirkung eingelegt werden kann.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Anni says
Ein wunderschönen guten Tag, meine Tochter ist jetzt volljährig und das Jobcenter möchte jetzt Rückerstattung vom Jahr 2014 haben wo sie erst 13 Jahre alt war. Was kann meine Tochter machen ?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Anii,
schauen Sie sich doch einmal den Beitrag „Beschränkung der Minderjährigenhaftung“ an. Vielleicht erhalten Sie dort Antworten auf Ihre Fragestellung.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Heiko64 says
BITTE NUR BEI KOTENLOSER BERATUNG
Guten Morgen, habe gestern von der Arge ein Änderungsbescheid bekommen.
Begründung
Es sind folgende Änderung eingetreten.
Ab Oktober 2020 wurde ein vorläufiges Einkommen in Höhe von 450 € berücksichtigt. Nachdem die notwendigen Unterlagen eingereicht wurden, kann der Betrag des Einkommens gegebenenfalls angepasst werden. Dazu werden alle bisher erhaltenen und zukünftigen Lohnabrechnungen und die zu der Zahlung gehörenden Nachweise (Kontoauszüge/Empfangsquittungen) benötigt.
Grundlage für die Abänderung
Die Entscheidung zur Aufhebung beruht auf § 48 Absatz 1 Satz 1 Zehntes Sozialgesetzbuch – SGB X in Verbindung mit § 40 Absatz 1 Satz 1 SGB II. Die Entscheidung ist mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum zurückzunehmen. (01.10.2022 – 31.12. 2022) aufzuheben
Meine Lebensgefährtin macht doch nur ein 450€ BRUTTO-Job und angerechnet wird 450€ netto.
Was müssen wir tun?
Vielen Dank Heiko
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Heiko,
also: alle geforderten Angaben erbringen und darauf drängen, dass alle Absetzbeträge berücksichtigt werden (vgl. dazu den Beitrag Hinzuverdienst beim Bürgergeld, Absetzbeträge und Freibeträge).
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt
Viktoriia says
Hallo,
meine Tochter hat ihren Arbeitsplatz verlassen, um zu studieren.
Das Arbeitsamt betrachtete ihr Handeln als unsozial im Sinne des § 34 SGB II, weil die Arbeitsagentur die Zahlung von Leistungen für drei Monate gesperrt hatte. Man hat uns mitgeteilt, dass wir unsere Leistung zurückbekommen.
Ist dies richtig?
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Viktoria,
Das Arbeitsamt betrachtet ? … unsozial im Sinne des § 34 SGB II?
§ 34 SGB II wendet sich an das Jobcenter … Aber: wenn von der Arbeitsagentur tatsächlich ein Sperre ausgesprochen wurde, so muss das Jobcenter auch eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II annehmen. Die Leistungen würden zumindest gekürzt …
Aber: warum soll das Jobcenter überhaupt für Ihre Tochter zuständig sein? Ihre Tochter studiert. Meines Erachtens muss jetzt BAföG gewährt werden. BAföG schließt Leistungen nach dem SGB II weitgehend aus.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt