Nach § 63 SGB X ist über die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren zu entscheiden, sobald der Widerspruch ganz oder teilweise erfolgreich ist. Die Vorschrift regelt damit einen wichtigen Teil des sozialrechtlichen Verfahrensrechts: Wer trägt die Kosten, wenn ein Bescheid aufgehoben oder geändert wird? Und was gilt, wenn die Behörde keine Kostengrundentscheidung trifft?
1. Gesetzliche Grundlage und Bedeutung
§ 63 SGB X verpflichtet die Behörde, bei erfolgreichem Widerspruch die Kosten zu erstatten. Entscheidend ist, ob der Widerspruch ganz oder teilweise Erfolg hatte. Die Regelung dient dem Schutz des Bürgers, der sich gegen einen fehlerhaften Verwaltungsakt erfolgreich gewehrt hat.
(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. …
(2) …
Die Entscheidung über das „ob“ der Kostenerstattung erfolgt in der Regel zusammen mit dem Widerspruchsbescheid. Sie muss klar erkennen lassen, ob und in welchem Umfang ein Erstattungsanspruch besteht.
Außerhalb des Sozialrechts gilt in Verwaltungsverfahren die Kostenregel gemäß § 80 VwVfG. Inhaltlich entspricht sie dem Grundgedanken des § 63 SGB X: Bei (teilweisem) Erfolg im Vorverfahren sind die notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
2. Pflicht zur Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Behörde verpflichtet, über die Kostenerstattung ausdrücklich zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ist eine eigenständige Verfügung, die neben der Sachentscheidung steht. Unterbleibt sie, liegt ein rechtswidriger Verfahrensmangel vor.
Auch bei vollständiger Abhilfe (z. B. Aufhebung des Bescheids) muss die Behörde eine Kostengrundentscheidung treffen. Unterbleibt diese, ist das Verfahren nicht vollständig abgeschlossen.
Nach § 95 SGG bildet der Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids den Gegenstand der Klage. Damit kann sich die fehlende Kostenentscheidung unmittelbar auf den Streitgegenstand auswirken.
3. Inhalt der Entscheidung nach § 63 SGB X
Wann sind die Kosten zu erstatten?
a) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist
Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht nur, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Hat der Widerspruch nur teilweise Erfolg, erfolgt die Kostenerstattung regelmäßig anteilig (quotenmäßig).
Entscheidend ist ausschließlich der tatsächliche Erfolg des Widerspruchs, nicht der Umfang der Begründung oder der Aufwand des Rechtsanwalts. Unfang der Begründung, die Schwierigkeit der Angelegenheit, … sind bei der Kostenfestsetzung und nicht schon bei der Grundentscheidung zu berücksichtigen.
b) Notwendige Aufwendungen
Nach § 63 Abs. 1 SGB X sind die notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Der Begriff entspricht der Definition in § 91 ZPO.
Erfasst werden alle Kosten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung des Vorverfahrens stehen – insbesondere Porto, Schreibauslagen, Fahrtkosten, Kopien, aber auch Kosten der anwaltlichen Vertretung, sofern deren Zuziehung notwendig war.
c) Notwendige Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
Gemäß § 63 Abs. 2 SGB X ist die Tätigkeit eines Rechtsanwalts ausdrücklich erstattungsfähig, wenn seine Hinzuziehung im Vorverfahren notwendig war.
Die Behörde muss dies im Rahmen der Kostengrundentscheidung prüfen und ausdrücklich feststellen.
Im Regelfall ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig,
wenn die Sache nach Umfang oder Schwierigkeit die Mitwirkung eines Rechtskundigen erfordert oder der Betroffene ersichtlich nicht in der Lage ist, seine Rechte selbst sachgerecht wahrzunehmen.
Die konkrete Höhe der zu erstattenden Kosten wird nicht in der Kostengrundentscheidung selbst getroffen, sondern ist Gegenstand der anschließenden Kostenfestsetzung. Diese erfolgt regelmäßig durch Vorlage der Rechnung und deren Ausgleich durch die Behörde (vgl. unten Abschnitt 4. „Kostenfestsetzung“).
4. Fehlende Kostengrundentscheidung
Was tun, wenn die Behörde im Widerspruchsverfahren keine Kostenentscheidung trifft?
Die Praxis zeigt, dass in vielen Fällen eine ausdrückliche Kostenentscheidung fehlt, obwohl der Widerspruch erfolgreich war. Die Rechtsprechung hierzu war uneinheitlich:
Die fehlende Kostengrundentscheidung gilt als stillschweigende Ablehnung der Kostenübernahme. Der Widerspruchsführer kann dagegen erneut Widerspruch einlegen. Dies kann zu einem zusätzlichen Kostenerstattungsanspruch führen.
Trifft im Abhilfebescheid die Ausgangsbehörde bzw. im Widerspruchsbescheid die zuständige Widerspruchsstelle entgegen der ihr nach § 63 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht keine Kostenentscheidung, so steht dies einer Ablehnung der Übernahme der notwendigen Aufwendungen gleich. Der Widerspruchsführer ist berechtigt, dagegen Widerspruch einzulegen. Eine Verweisung auf einen neuen Antrag ist unzulässig.
Das Bundessozialgericht entschied jedoch später anders und stellte klar:
Die Kostenentscheidung ist ein eigenständiger Verwaltungsakt. Fehlt sie, macht dies den Widerspruchsbescheid nicht rechtswidrig. Sie muss vielmehr durch eine Verpflichtungsklage erzwungen werden.
Sach- und Kostenentscheidung sind rechtlich selbstständige Entscheidungen. […] Ist sie unterlassen worden, macht dies die Sachentscheidung nicht rechtswidrig; vielmehr ist die unterbliebene Kostenentscheidung mit der Verpflichtungsklage zu erwirken.
Im Ergebnis folgt daraus:
- Die Behörde muss über die Kostenerstattung entscheiden.
- Unterbleibt die Entscheidung, kann der Betroffene die Nachholung verlangen.
- Bleibt die Behörde untätig, ist eine Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG zulässig.
Die Entscheidung des BSG führt dazu, dass Betroffene bei ausbleibender Kostenentscheidung eine weitere Klage anstrengen müssen. Der anwaltliche Vertreter sollte daher frühzeitig auf die Nachholung der Entscheidung hinwirken und gegebenenfalls die Verpflichtungsklage vorbereiten.
5. Kostenfestsetzung – Höhe der Kosten
Nach der Kostengrundentscheidung folgt die Kostenfestsetzung.
Im Widerspruchsverfahren entsteht regelmäßig eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV-RVG als Betragsrahmengebühr zzgl. Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG und USt gemäß Nr. 7008 VV-RVG. Die konkrete Höhe richtet sich im Sozialrecht nach § 14 RVG.
6. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu Kostenerstattung gemäß § 63 SGB X und zur Bestimmung der Anwaltsgebühren:
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