§ 43 SGB II regelt die Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen des Jobcenters. Die Höhe der Aufrechnung kann je nach Fallgruppe bis zu 30 % des Regelbedarfs betragen.
1. Voraussetzungen
§ 43 Abs. 1 SGB II enthält gegenüber der allgemeinen Aufrechnung nach § 51 SGB I erleichterte Voraussetzungen.
Erforderlich ist eine Aufrechnungslage (gleichartige und fällige Forderungen). Da Widerspruch und Klage gegen Erstattungs-/Ersatzansprüche aufschiebende Wirkung haben, darf nicht aufgerechnet werden, solange der Anspruch nicht bestandskräftig ist – außer es ist ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet. Zuständig muss das Jobcenter sein.
Bei Zuständigkeitswechsel kommt eine Verrechnung nach § 52 SGB I in Betracht. Die Verrechnung betrifft einen anderen Leistungsträger. So ist die Verrechnung zwischen der Deutschen Rentenversicherung und dem Jobcenter nach rückwirkender Bewilligung einer Rente üblich. Auch bei rückwirkender Bewilligung von Krankengeld und/oder Arbeitslosengeld kommt ggf. eine Verrechnung zwischen Leistungsträgern in Betracht. Auch bei der Verrechnung muss der Anspruch bestandskräftig sein („soweit die Aufrechnung zulässig ist„, § 52 letzter Halbsatz SGB II“).
2. Folgen (Höhe der Aufrechnung)
Die Begrenzungen stehen in § 43 Abs. 2 SGB II:
- 10 % des maßgebenden Regelbedarfs bei Erstattungen nach §§ 42, § 43 SGB I, bei endgültiger Festsetzung nach § 328 SGB III sowie bei Aufhebungen nach § 48 SGB X.
- bis zu 30 % in den übrigen Fällen – typischerweise bei vorwerfbarem Verhalten der leistungsberechtigten Person.
Bezugsgröße ist stets der für die Person maßgebende Regelbedarf.
3. Form
Die Aufrechnung ist durch Verwaltungsakt zu erklären, § 43 Abs. 4 S. 1 SGB II. Der Bescheid muss hinreichend bestimmt sein (Dauer, Höhe, Forderungen).
4. Ermessensausübung
Ermessensgründe müssen erkennbar sein, vgl. § 35 SGB X. Regelmäßig betrifft das nur noch das „Ob“ der Aufrechnung (Entschließungsermessen). Die Höhe (10 %/30 %) ist heute gesetzlich festgelegt; insoweit besteht kein Ermessen. Das bestätigte das BSG im Urteil vom 09.03.2016 – B 14 AS 20/15 R (BSG 09.03.2016 – B 14 AS 20/15 R).
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[27] cc) Die Höhe der vom Beklagten im Grundlagenverwaltungsakt erklärten monatlichen Aufrechnung in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs entspricht der ein Ermessen ausschließenden Vorgabe in § 43 Abs 2 S. 1 SGB II. Danach beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die nicht auf §§ 42 und 43 SGB II, § 328 Abs 3 S. 2 SGB III oder § 48 Abs 1 S. 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X beruhen, 30 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs. Aufgrund dieser Regelung ziehen alle anderen Erstattungsansprüche nach § 50 SGB X, die nicht einer Aufhebung nach § 48 Abs 1 S. 2 Nr 3 SGB X folgen, eine Aufrechnung in Höhe von 30 % nach sich (BT-Drucks 17/4095 S 35).
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[34] a) Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Aufrechnung in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre bei einer auf vorwerfbarem Verhalten des Leistungsberechtigten beruhenden Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen steht mit Verfassungsrecht in Einklang.
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Bei Minderjährigen ist das Unterbleiben einer Aufrechnung besonders zu prüfen (Existenzsicherung).
5. Rechtsschutz
Der Widerspruch gegen den Aufrechnungsbescheid hat aufschiebende Wirkung. § 39 SGB II (sofortige Vollziehbarkeit) erfasst die Aufrechnung nicht (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg, L 28 B 1053/07). Bis zur Bestandskraft sind keine Kürzungen zulässig. Nach dem Widerspruchsbescheid ist die Anfechtungsklage statthaft.
Greifen Sie bei einem Kombinationsbescheid alle Punkte an (Rückforderung/Erstattung und Aufrechnung). Sonst kann Teil-Bestandskraft entstehen.
Vertiefend zur Aufrechnung nach dem SGB XII:
6. Häufige Fragen
Gilt die 30-%-Grenze auch bei mehreren Erstattungsfällen?
Ja, die Grenze bezieht sich auf den maßgebenden Regelbedarf und ist als Obergrenze zu verstehen. Mehrere Forderungen dürfen zusammen grundsätzlich nicht über 30 % hinausgehen (Ausnahme: die 10-%-Fälle nach § 43 Abs. 2 S. 1 1. HS SGB II werden nebeneinander oft auf insgesamt 10 % begrenzt).
Wie lange darf aufgerechnet werden?
Bis zum Ausgleich der Forderung; typischerweise wird eine Dauer von bis zu drei Jahren zugrunde gelegt (systematisch an § 44b Abs. 3 SGB XII angelehnt; im SGB II gilt vorrangig der Forderungsausgleich und die Verjährung nach SGB X).
Kann ich eine laufende Aufrechnung stoppen?
Ja, durch Widerspruch/Klage mit aufschiebender Wirkung, wenn die Rechtsgrundlage falsch angewandt oder die Aufrechnungslage fehlt. Außerdem können Ermessensfehler (beim „Ob“) zur Aufhebung führen.
7. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu Aufrechnung, Erstattung und aufschiebenden Wirkung:
§ 43 SGB II · § 51 SGB I · § 52 SGB I · § 328 SGB III · § 48 SGB X · § 35 SGB X · § 39 SGB II · § 86a SGG.



Kiko says
Gibt es für die Aufrechnung einer Heizkostenrückerstattung eine Frist?
Die Abrechnung für 2017 ist vom Vermieter mit dem 16.10.2018 datiert und wurde am 29.10.2018 eingereicht. Die Rückerstattung erfolgte am 28.11.2018 als Gutschrift. Damals hätte ich eine Aufrechnung auf die Leistungen für Dezember 2018 also verkraften können.
Im Schreiben vom 25.10. 2019 stellt das Jobcenter fest, dass meine Ansprüche sich ab, 01.12.2018 vermindert hätten. Einen Bescheid dazu hatte ich damals nicht erhalten. Das „Polster“ auf meinem Konto ist nun nach über einem Jahr nicht mehr vorhanden. Nun beabsichtigt das Jobcenter Die Rückerstattung auf meine zukünftigen Leistungen aufzurechnen.
Geht das noch?
Manni says
Guten Tag,
wie lange kann ich nicht gezahlte Heizkosten vom Jobcenter einfordern also einen Antrag auf Überprüfung stellen der tatsächlich vom Jobcenter geleisteten Heizkosten.
Geht das überhaupt? Hatte da mal was gehört und glaube schon zwei Jahre nur ein halbes Jahre jeweils Heizkosten bezahlt bekommen.
Mfg
Rechtsanwalt S. Nippel says
Hallo Manni,
eine Nebenkostenabrechnung Ihres Vermieters mit einem Zahlungsanspruch aus der Abrechnung Sie beim Jobcenter vorlegen und beantragen, dass Ihnen die vom Vermieter geltend gemachten Kosten ersetzt werden. Das Jobcenter muss dann darüber entscheiden.
Gegen eine ablehnende Entscheidung des Jobcenters können Sie innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Ist die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen können Sie eine Überprüfung beantragen. Informationen zum Überprüfungsantrag erhalten Sie in dem Beitrag Die Korrektur von Verwaltungsakten durch einen Überprüfungsantrag.
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt