„Angemessene“ Kosten der Unterkunft (KdU) sind die Aufwendungen bis zur Grenze dessen, was am örtlichen Wohnungsmarkt für einfachen Standard verfügbar ist, § 22 SGB II / § 35 SGB XII. Zunächst werden die tatsächlichen Kosten ersetzt. Nach Ablauf der Karenzzeit und nach einer Kostensenkungsaufforderung muss die Behörde nur noch die Kosten für Wohnraum oberhalb des „einfachen Standards“ tragen.
Es stellt sich also die Frage: Welche Kosten sind angemessen?
I. Grundlagen & Rechtsrahmen
Maßstab für die Bestimmung, welcher Wohnraum angemessen ist, ist der untere Wohnungsmarkt einfachen Standards im richtigen Vergleichsraum. Die Behörde muss dazu tragfähige, aktuelle Daten nutzen und diese transparent machen. Es müssen also Statistiken zu den Mietpreisen erstellt und bewertet werden. Ohne belastbare Datengrundlage sind Kürzungen aufgrund Mietpreisgrenzen, die nicht auf einer tragfähigen Grundlage beruhen, angreifbar.
Das Bundessozialgericht hat Mindestvoraussetzungen zur Bestimmung der Angemessenheit im Rahmen eines schlüssigen Konzeptes aufgestellt (vgl. dazu u. a. BSG, 17.09.2020 – B 4 AS 22/20 R; B 4 AS 77/12 R). Die Vorgaben des BSG sind gesetzlich nicht im Einzelnen geregelt. Sie dienen dazu, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszugestalten.
Dabei dürfen allerdings nicht zu enge Maßstäbe angelegt werden. So betont das Bundessozialgericht, dass z. B. die Ermittlung der angemessenen Kosten allein auf der Basis von Angebotsmieten nicht schon rechtswidrig ist.
Karenzzeit: In den ersten 12 Monaten des Bürgergeldbezugs werden die tatsächlichen KdU regelmäßig übernommen. Danach gelten wieder die Angemessenheitsgrenzen. Heizkosten sind nur insoweit zu tragen, wie sie nicht offensichtlich unangemessen sind.
II. „Schlüssiges Konzept“ & Mietspiegel
Die Ermittlung angemessener Unterkunftskosten gehört also zu den zentralen Aufgaben Grundsicherungsträger. So legen die Kommunen Höchstwerte für die von ihr höchstens zu übernehmenden Kosten der Unterkunft fest. Für rechtssichere Richtwerte ist ein schlüssiges Konzept erforderlich.
Das schlüssige Konzept muss den gesamten einfachen Markt im Vergleichsraum abbilden (aktuelle, nachvollziehbare Methode; keine „Rosinen“). Das BSG lässt einfache/qualifizierte Mietspiegel zu, wenn hieraus grundsicherungsspezifische Schlüsse möglich sind (BSG, 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R).
- 2. Die Auswertung eines nach verschiedenen Baualtersklassen, Wohnlagen und Ausstattungsgraden ausdifferenzierten qualifizierten Mietspiegels als Grundlage zur Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft muss gewährleisten, dass ein einzelner Wert entsprechend seiner tatsächlichen Häufigkeit auf dem Markt in einen grundsicherungsrelevanten Mittelwert einfließt.
III. Wohnfläche & Wohnungsgrenzen
Für die abstrakte Angemessenheit sind u. a. Wohnungsgröße, Standard und Vergleichsraum maßgeblich.
In NRW gilt für einen Ein-Personen-Haushalte i. d. R. 50 m² (seit 01.01.2010) – bestätigt durch das BSG (BSG, 16.05.2012 – B 4 AS 109/11 R).
Für jede weitere Person werden 15 m² anerkannt.
In WGs/Untermiete wird regelmäßig nach anteiligen Kosten beurteilt. Maßgeblich sind die tatsächlichen Zahlungen und – soweit relevant – die anteilige Fläche.
IV. WoGG-Fallback & Sicherheitszuschlag
Fehlt ein tragfähiges Konzept oder bildet es den Markt erkennbar nicht ab, können ersatzweise die WoGG-Werte mit einem sachgerechten Sicherheitszuschlag herangezogen werden.
WoGG + Zuschlag ersetzt kein Marktmonitoring: Es muss (auch dokumentiert) möglich sein, Wohnungen einfachen Standards zu den so ermittelten Werten tatsächlich anzumieten.
Vertiefend zur Berechnung des Wohngeldes und insbesondere zu den Mietenstufen im WoGG:
V. Praxis: Checkliste & Nachweise
Wenn Sie der Auffassung sind, dass im unteren Preissegment einfach keine Wohnung innerhalb der als angemessen angesehenen Kosten angeboten werden, so empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
- Bescheide/Fristen sichern (Begründungsbausteine, Beträge, Fristläufe).
- Marktlage belegen (wöchentliche Screenshots im unteren Segment, Filter dokumentieren).
- Suche nachweisen (Exposés, Anfragen, Absagen; Kontaktprotokoll).
- Konzept prüfen (Vergleichsraum, Datenbasis, Aktualität, Bruttokalt).
- Rechtsmittel (gegen den Kürzungsbescheid Widerspruch und ggf. Eilverfahren; Altfälle über Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X). Hinweis: Gegen die Kostensenkungsaufforderung selbst ist kein Rechtsbehelf zulässig.
Vertiefend zur Kostensenkungsaufforderung
Schritt-für-Schritt-Anleitung für einen Widerspruch gegen das Jobcenter
VI. Häufige Fragen (FAQ)
- Welche m² sind „angemessen“?
In NRW i. d. R. 50 m² (1-Person-HH) +15 m² je weitere Person; Besonderheiten können die Grenze erhöhen (Behinderung, Umgang). - Ohne schlüssiges Konzept gekürzt?
Kürzungen sind angreifbar; ggf. WoGG-Werte mit Sicherheitszuschlag als Ersatzmaßstab heranziehen. - Bruttokalt oder Nettokalt?
Bruttokalt ist maßgeblich (ohne Heizung). Falsche Basis → Einwand erheben. - Gilt die Angemessenheit in der Karenzzeit?
In den ersten 12 Monaten werden die tatsächlichen KdU regelmäßig übernommen; danach gelten wieder die Angemessenheitsgrenzen. Heizkosten nur, soweit nicht offensichtlich unangemessen.
VII. Weiterführende Beiträge & Rechtsgrundlagen
Weiterführend zu angemessenen Kosten der Unterkunft, angemessenen Heizkosten und Betriebskostennachzahlungen:
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