Nr. 3106 VV-RVG – Terminsgebühr
(3 Beiträge zum Stichwort "Nr. 3106 VV-RVG – Terminsgebühr")
1. Gesetzestext (Stand: 30.09.2025)
3106 | Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG). Die Anmerkung nennt u. a. Fälle ohne mündliche Verhandlung (Vergleich, Gerichtsbescheid, Anerkenntnis). In diesen Fällen beträgt die Gebühr 90 % der Verfahrensgebühr (ohne Erhöhung nach Nr. 1008). | 65,00 € bis 665,00 € |
👉 enthalten in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG
2. Kommentierung
Entstehungstatbestände
Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG fällt in Verfahren vor den Sozialgerichten an, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG). Für Verfahren, in denen Wertgebühren anfallen, ist dagegen Nr. 3104 VV-RVG einschlägig. Klassischer Entstehungstatbestand ist die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins, also insbesondere die mündliche Verhandlung. Die Vorschrift trägt aber der Besonderheit Rechnung, dass im sozialgerichtlichen Verfahren häufig im schriftlichen Verfahren entschieden wird. Deshalb erfasst die Anmerkung ausdrücklich auch Fälle ohne mündliche Verhandlung.
Typische Konstellationen sind:
- Vergleich oder Vertrag i. S. von Nr. 1000 VV-RVG – seit 2021 ausdrücklich erfasst, auch ohne Termin, wenn eine einvernehmliche Einigung zustande kommt.
- Entscheidung im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung – etwa, wenn die Beteiligten auf einen Termin verzichten.
- Gerichtsbescheid – auch hier entsteht die Terminsgebühr, da die Parteien die Möglichkeit haben, einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen.
- Anerkenntnis – einschließlich Erledigungserklärungen, die einem Anerkenntnis gleichstehen können.
In diesen Fällen entsteht eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 90 % der Verfahrensgebühr. Eine Erhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG ist in diesen Fällen nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, dass auch ohne mündliche Verhandlung eine angemessene Vergütung für die anwaltliche Tätigkeit entsteht, da andernfalls die anwaltliche Mitwirkung an Vergleichen oder Anerkenntnissen wirtschaftlich unattraktiv wäre.
Bemessung
Die Mittelgebühr liegt bei 365,00 €. Innerhalb des Gebührenrahmens erfolgt die Bemessung nach den Kriterien des § 14 RVG. Bei der fiktiven Terminsgebühr ist die zugrunde liegende Verfahrensgebühr die Bemessungsbasis, von der 90 % angesetzt werden. Auch hier gilt: Abweichungen von der Mittelgebühr sind zulässig, müssen aber mit Blick auf Umfang, Schwierigkeit, Bedeutung, wirtschaftliche Verhältnisse und Haftungsrisiko sachlich begründet werden. In der Praxis bewegt sich die Gebühr oft zwischen 300 und 400 €, bei besonders komplexen Verfahren kann sie auch deutlich darüber liegen, solange die Voraussetzungen von § 14 RVG erfüllt sind.
Streitfragen & Hinweise
- Teilanerkenntnis: Umstritten ist, ob bereits ein Teilanerkenntnis die fiktive Terminsgebühr auslöst. Das LSG NRW (Beschluss v. 01.03.2018 – L 20 SO 95/18) verneinte dies und stellte klar, dass ein bloßes Teilanerkenntnis nicht genügt.
- Erledigungserklärung: Kann gebührenrechtlich einem Anerkenntnis gleichstehen. So entschied das SG Hannover (Beschluss v. 23.11.2009 – S 34 SF 168/09), dass auch eine Erledigungserklärung, wenn sie einer Anerkenntniserklärung gleichkommt, die Gebühr auslösen kann.
- Schriftlicher Vergleich: Seit der Reform 2021 ist ausdrücklich klargestellt, dass auch ein schriftlicher Vergleich nach Nr. 1000 VV-RVG eine Terminsgebühr auslöst, selbst wenn kein Termin stattfindet.
Daneben bestehen Streitfragen bei Sonderkonstellationen, etwa wenn die Klage durch schlichte Prozesserklärung zurückgenommen wird. Hier entsteht keine Terminsgebühr, da weder ein Vergleich noch ein Anerkenntnis vorliegt. Ebenso wird diskutiert, ob in Eilverfahren (z. B. einstweiliger Rechtsschutz) ohne Termin dieselben Maßstäbe gelten; überwiegend wird dies bejaht.
Abgrenzungen & Systematik
Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG gilt ausschließlich in Verfahren mit Betragsrahmengebühren. Sobald Wertgebühren entstehen, ist Nr. 3104 VV-RVG einschlägig. Für die zweite Instanz gilt Nr. 3205 VV-RVG, die eine 75 %-Mechanik vorsieht, für das Revisionsverfahren vor dem BSG Nr. 3213 VV-RVG. Damit fügt sich Nr. 3106 in eine systematische Kette von Terminsgebühren ein, die in jeder Instanz unterschiedlich ausgestaltet sind.
Zu beachten ist ferner, dass der Gebührenanspruch für jeden Rechtszug gesondert entsteht. Führt ein Verfahren also über mehrere Instanzen, kann der Rechtsanwalt in jeder Instanz eine Terminsgebühr beanspruchen, sei es aufgrund mündlicher Verhandlung oder aufgrund der fiktiven Tatbestände. Dies erhöht die praktische Bedeutung der Vorschrift erheblich.
Praxis-Hinweise
Für die anwaltliche Praxis ist die Nr. 3106 VV-RVG von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Viele sozialgerichtliche Verfahren enden ohne mündliche Verhandlung durch Anerkenntnis, Erledigungserklärung oder schriftlichen Vergleich. Ohne die Regelung zur fiktiven Terminsgebühr wären diese Verfahren gebührenrechtlich unterbewertet. Der Anwalt sollte deshalb stets prüfen, ob die Voraussetzungen der Anmerkungen zu Nr. 3106 erfüllt sind und die Entstehung der Gebühr ggf. gegenüber der Landeskasse oder der Behörde dokumentieren.
Praktische Hinweise:
- Anerkenntnis ohne Termin: Löst 90 % der angemessenen Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG aus.
- Mehrere Auftraggeber: Erhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG gesondert prüfen; dies gilt auch bei der fiktiven Terminsgebühr.
- Dokumentation: Bei streitigen Konstellationen (z. B. Teilanerkenntnis) sollte in der Handakte notiert werden, warum die Gebühr geltend gemacht wird.
Nr. 3102 VV-RVG (SG-Verfahrensgebühr) ·
Nr. 3205 VV-RVG (LSG-Terminsgebühr) ·
Nr. 3213 VV-RVG (BSG-Terminsgebühr) ·
Nr. 1008 VV-RVG (Mehrere Auftraggeber) ·
§ 14 RVG (Bemessung)
3. Beitragsliste (Zitatstellen)
👇 In diesen Beiträgen wird Nr. 3106 VV-RVG erwähnt:
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